Für manche ist Christiana der Ort all ihre Träume – bis sie schließlich selbst einen Fuß in die dänische Freistadt gesetzt haben und desillusioniert den Heimweg antreten.
Seit 1971 existiert die 34 Hektar große Siedlung in Kopenhagen bereits. Ausgerufen wurde sie von dänischen Hippies, viele von ihnen sind irgendwann verschwunden, der Rest ist heute steinalt. Man könnte beinahe annehmen, die freigeistige Gemeinde sei inzwischen einem Seniorenpark gewichen – wäre da nicht die jüngere, zugezogene Generation, die starr an der gesetzlosen Ideologie festhält. Denn Regeln gibt es hier nur wenige, es gilt das Faustrecht. Christiana wird basisdemorktisch verwaltet, man setzt also auf Selbstregulierung. Fotografieren ist verboten. Touristen sollten das wissen. Die Polizei setzt keinen Fuß in die anarchistische Gemeinschaft.
Ärger mit den Behörden hatten die ungefähr 900 Bewohner der Freistadt seit jeher. Gestern titelte die Vice dann, die dänische Regierung habe die Situation Christianas gravierend verschlimmert: Im vergangenen Monat erkannte der oberste Gerichtshof der Stadt die Legalität ab.
Und was geschieht jetzt? Wird nun eine ganze Stadt entrümpel?
via.
Ich selbst bin noch nie dort gewesen, kenne die Gegend im Stadtteil Christianshavn nur aus früheren Recherchen, Dokumentarfilmen und Erzählungen alter Freunde. Ich stellte mir immer ein buntes Dorf voll friedlicher Menschen vor, einen Ort, der Ursprung aller Kreativität sein könnte. Ein Traumland, in dem man im Einklang mit der Natur und allen Lebewesen existiert, in dem Sorgen und Probleme so fern sind wie die Planeten, in dem Liebe und Kunst die höchsten Güter sind. Bevor ich selbst dort sein konnte, wurde meine Meinung verzerrt, ich begann zu begreifen, dass es in unserer Gesellschaft wahrscheinlich tatsächlich unmöglich ist, einem solchen Traum nachzueifern. Dass die Realität anders aussehen muss. Schon allein die tagtägliche Touristen-Invasion muss den Schein der unendlichen Ruhe und Geborgenheit zerstören.
Und dennoch: Es gibt sie, die Familien, die Christiana ihre Heimat nennen. Menschen, die dort ihre ganz persönliche Freiheit gefunden haben. Es steht uns nicht zu, über sie zu urteilen – wir sehen zwar das große Ganze, die Bierflaschen auf den Bildern, die wackeligen Alten – aber vergessen wir dabei nicht das Individuum? Christiana ist aus einer Intention heraus entstanden, aus Idealen, die durchaus nicht anzuprangern sind – was der Alltag daraus gemacht hat, sehen wir jetzt. Nur darf man die Freistadt deshalb „verbieten“ und deren Bewohner zunehmend kriminalisieren? Eine wahrhaftige Lösung, die nach Verbesserung der dortigen Situation strebt, eine Lösung, die Miteinander statt Gegeneinander verlangt, ist wohl nur in einem Traumland möglich – und Traumländer haben in unserer Welt anscheinend keinen Platz.
Foto via moritz w. Mehr Bilder von der aktuellen Lage in Christiana seht ihr hier.