Foto via starry eyed.
Manchmal wache ich auf und weiß nicht wie alt ich bin. In meinen Papieren behaupten sie, ich sei dreiundzwanzigeinhalb. Ich bezweifle das. Und dann habe ich Angst, niemals erwachsen zu werden.
Ich könnte einer geregelten Arbeit nachgehen, um neun Uhr in der Früh ein paar Runden auf meinem Bürostuhl drehen, um gähnende acht Stunden später den Feierabend mit einer faden Weißweinschorle zu begießen. Mit Kollegen, die ebenso adrett gekleidet sind wie ich; mit meinem Chef zum Beispiel, der ständig jammert, weil er sich beim Hinsetzten immer wieder am Stock stößt, der ihm bis zum Rand im Arschloch steckt.
Ich habe keinen Chef, immer zu wenig Geld und einen Bürostuhl, der sich vor lauter Rost nicht mehr drehen will. Ich begieße meinen Feierabend oft gar nicht und wenn, dann mit Bier bis tief in die Nacht und Freunden, die Stöcke über dem Knie zerbrechen, sie in Seen werfen, oder Baumhäuser daraus bauen.
Ich könnte tanzen gehen zu sexy Musik, mit dem Hintern wackeln, bis der Raum in Flammen steht. Ich könnte hohe Schuhe dabei tragen und mit den Augen klimpern und mein Make Up nachziehen, sobald der erste Schweißtropfen mein Antlitz ruiniert. Ich könnte mich benehmen und aufhören, wenn’s am schönsten ist und Wasser trinken, um vom Magen nicht auf links gestülpt zu werden. Auch das Rauchen könnte ich sein lassen und das betrunkene Nachrichtenschreiben kurz vor dem Heimweg.
Stattdessen fliegt mir mein eigenes Hirn um die Ohren, wenn ich meinen Körper in schäbigen Gummizellenkellern zu schrammelig-wobbeliger Nichtmusik explodieren lasse. Der Raum steht in Flammen, damit ich ihn mit meinen Schweißperlen löschen kann. Verwischte Schminke malt mir Augenränder ins Gesicht, ich rieche nach Kneipenmutti und Vogelkäfig, sehe scheiße aus und bin glücklich. Statt Wasser kaufe ich Red Bull, um den Morgen nicht zu verschlafen und der Magen dreht sich erst später um. Wenn ich im Bett liege und SMS schreibe, die niemand lesen kann.
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Ich könnte die Helden meiner Jugend vergessen, weil ich erkannt habe, dass es Besseres gibt. Ich könnte alte Fotoalben sortieren und darüber lachen, wie ich früher war und wer ich war und wie ich aussah. Ich könnte in mir ruhen und angekommen sein, bei mir selbst. Ich könnte anfangen, Poster in Glas zu rahmen und endlich Untersetzter für den Wohnzimmertisch kaufen.
In meinen Wänden klaffen Narben von all dem Klebeband, das die Poster mit meinen Helden drauf hält. Ich weiß noch immer nicht, ob ich Acid Rock bin oder Dubstep oder Jazzer, nicht an einem einzigen Tag kann ich mich entscheiden. Meine Fotos stecken nicht in Alben, sondern in der Chaoskiste. Ich schluchze ein bisschen, wenn ich sie sehe, weil es früher nicht schlimm war, unentschlossen zu sein, ich weine, weil es so schön war, nichts zu müssen und alles zu dürfen. Weil ich mein verfilztes Haar von damals gern wieder hätte, bloß weil sich sowas heute nicht mehr gehört. Ich kreische, wenn ich Bikini Kill höre und Brandon Boyd sehe. Ich finde mich oft, weil ich mich ständig verliere. Und ich kratze lieber Kaffeeränder vom Holztisch, als mein Karma mit miesen Untersetzern zu versauen.
Foto: Nike van Dinther
Ich könnte mich gesund ernähren, aber ich esse lieber Pizza. Ich könnte Briefe pünktlich zur Post bringen, statt sie in die Schuhe meiner Mitbewohnern zu legen. Ich könnte in meine Rente einzahlen, aber ich lebe lieber und ein Sparschwein hab ich auch nicht. Ich könnte meine Dreckswäsche sortieren, stattdessen trage ich Grau. Denn es ist mir egal. Ich könnte, könnte, könnte, dabei weiß ich nichtmal, was ich will.
Manchmal stehe ich lange vor dem Spiegel und betrachte meine allererste Falte, mitten auf der Stirn. Nicht die Jahre sind schuld, sondern die Nikotinüberdosis, jeden Tag. Eine kleine, ganz feine zweite Linie bildet sich neuerdings darunter und auch die kommt nicht vom Alter. Sondern vom Stirnrunzeln und Kopfzerbrechen. Seit ich das weiß, habe ich Angst. Angst davor, erwachsen zu werden.