Die Sache mit den vergessenen Freunden.

15.11.2011 Allgemein, Leben
Foto: Nike van Dinther

Manchmal, wenn der Tee noch ganz heiß ist und der Plattenspieler traurige Musik spielt, dann wirst auch du ein bisschen traurig. Weil du eine echt schlechte Freundin bist. Weil du vergisst, wer an dich denkt, weil die Zeit eben nicht stehen bleibt und dir andauernd Momente klaut, in denen vertraute Stimmen dir Herzen auf’s trockene Brot schmieren könnten. Weil du vergisst zu fragen, wenn dich niemand erinnert. Weil du viel zu selten zeigst, dass dein Kopf nicht bloß bei dir, sondern auch bei ihnen ist. Bei deinen Freunden, den tollsten Menschen der Welt.

Damals, als du Sandförmchen-Kuchen noch viel lieber mochtest als Crème brûlée, da hattest du hundert Freunde. Wer auch immer dir einen Ball zuwarf oder im Urlaub Höhlen mit dir baute, wer Süßigkeiten mit dir teilte oder Kreidebilder vor dein Haus malte, wer auch immer bei dir war, es waren deine Freunde. Mama-Freund, Papa-Freund, Omi-Freund. Anne, Peter, Susi und noch viele, viele mehr. Dann musstest du zur Schule gehen und schnell begreifen, was Feinde sind. Feinde klauen Stifte, kleben Kaugummi in lange Zöpfe und petzten was das Zeug hält, Feinde sind böse und blöd. Und plötzlich sind da gar nicht mehr so viele Freunde, aber die, die du hast sind wichtiger denn je. Weil Parallelklassen-Kinder stinken.

Abi in der Tasche, ab ins Ausland oder die Ferne. Selbst wenn du bleibst, dann sind alle anderen weg, irgendwann. Home is where your heart is, aber deine Herzen sind irgendwo in der Welt verstreut, sie einzusammeln wäre mühsam. Du machst dir neue Freunde, da, wo du nun bist und wohnst und lebst und trinkst und rauchst und verzweifelst und liebst und lachst und weinst. Freunde kommen und gehen, sagt man, nur die ganz besonderen sind noch da, wenn du den Fuchsschwanz an den Rolator hängst. 

Schon viel früher aber kommt der Punkt an dem du feststellst, dass du noch nie so sehr wusstest, wen du wirklich liebst. Mit wem du nicht bloß Joints, sondern auch richtiges Leid teilen kannst, wer nicht lacht, wenn du fällst. Vielleicht hast du nur fünf Lieblingsmenschen, vielleicht aber auch zehn oder 20 und dann wird’s kompliziert. Früher hast du dich gefragt, warum Eltern immer Zuhause sind und so selten in netter Gesellschaft und wenn, dann eben immer mit denselben Vögeln, mit Jutta und Ute und Ulf. Heute weißt du: Ihnen fehlt ganz einfach Zeit. Genau wie dir.

Foto: Nike van Dinther

Am anderen Ende des Telefons warten die vielleicht wichtigsten Menschen deiner Jugend, die Jungs und Mädchen, die jetzt schon fast Männer und Frauen sind, ein bisschen erwachsen, so wie du, die mit dir groß geworden sind, Spicker geteilt haben und dir die Haare hielten, als du zum allerersten Mal kotzen musstest von zu viel Schnaps. Du sagst, du müsstest einen Wochenplaner haben, in den du einträgst wann du wen wie lange anrufst, damit sie bloß nicht denken, du hättest irgendwen vergessen, denn vergessen tust du niemanden, du hast nur einfach so viel um die Ohren und bist vielleicht ein bisschen faul. Natürlich hast du keinen, weil keine Zeit bleibt, einen zu basteln, entschuldigst du dich. Und immer wenn du zum Hörer greifst, dann zeigt die Küchenuhr schon fünf vor knapp und du müsstest schon längst dort sein und nicht hier, dort bei deinen Neufreunden, die jetzt auch einen Platz in deinem Herzen haben, die bei dir sind und mit denen du jetzt dein Leben teilst, dein neues Leben eben. Und nichtmal die kriegst du unter einen Hut, weil auch sie arbeiten und studieren müssen, Kaffee trinken und feiern und schlafen. Und immer wieder fragst du dich: Wie soll ein einziger Mensch das bloß schaffen? Allen gerecht zu werden, zu entscheiden und zu planen und niemanden zu verärgern? Die Antwort lautet: Gar nicht. Weil’s nämlich nicht nötig ist. Solange du nur weißt, wo dein Herz ist und die, um die es geht, eben auch.

Du meldest dich viel zu selten, vergisst sogar Geburtstage und schläfst manchmal lieber als stundenlang zu reden. Du verschiebst Telefonate und Verabredungen, manchmal, wenn es nicht anders geht, weil die Decke gefährlich nahe über dem Kopf baumelt. Beinahe täglich knabbert an dir das schlechte Gewissen, aber am Ende merkst du, dass es allen so geht, genau so wie dir. Und trotzdem bist du ein Glückspilz.Weil niemand von euch ersetzbar ist, weil jeder von euch sicher sein kann, dass alle sofort da sind, wenn auch nur einer in der Klemme steckt. Einer für alle, alle für einen. Weil ihr wisst, dass ihr mit vereinten Kräften zieht, bis das Schäfchen wieder im Trockenen steht, jedes Mal. Weil du Freunde hast, die nie böse sind, sondern traurig, weil sie fragen, statt zu urteilen, verzeihen, statt zu schimpfen, wenn du dich entschuldigst. Weil ihr eben wirklich dicke Freunde seid und nicht bloß Larifaripartyfreunde. Die richtig wahren echten Freunde muss man nicht jeden Tag sehen oder hören, die muss man vermissen und wissen und fühlen, dass da jemand ist, der sich freut, wenn du dich meldest. Der da ist, wenn es brennt, für den du bis ans Ende der Welt fahren würdest. Selbst wenn du fast schon nicht mehr weiß, wie der andere eigentlich aussieht. Aber das ist auch eigentlich egal, denn deine Freunde sind so oder so die schönsten Menschen auf der Welt.

 

5 Kommentare

  1. Mauri

    och da hat die nike mich zum weinen gebracht, ganz wirklich. so kurz vor’m abi und bei der krassen verbundenheit zu meiner super stufe hat mich das jetzt mitgenommen. ich nenne meinen blog jetzt um, in sentimental-mau.com ! das zweite mal weinen in einer woche, und die ist nichtmal zu ende!

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