Warum es gut ist, Tagebuch zu schreiben – auch wenn man schon groß ist.

08.10.2012 DIY, Leben, Allgemein, Buch

Manchmal sitze ich in der U8 und beobachte traurige Menschen. Oder lustige Menschen, einfache Menschen, Möchtegernmenschen und Menschen, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie überhaupt merken, dass sie Menschen sind. Jeder kennt das. Gedanken pumpen durch den Kopf, und zwar so schnell und planlos, dass man alles Gedachte schon nach ein paar Minuten wieder vergessen hat. In solchen Situationen zücke ich mein Tagebuch. Nicht, um Sätze wie „Heute war wieder ein irrer Tag“ aufzuschreiben – doch, auch! – aber vor allem, um Einfälle, Geistesblitze und Erkenntnisse zu konservieren. Wenn man groß ist, dann hat man für so etwas in der Regel ein Notizbuch. Auch ich besitze so etwas, musste aber nach Jahren feststellen, dass mich meine eigene „Bibel der Inspiration“ im Grunde mehr behindert als fördert, mir am Ende sogar Bretter vor den Denkapparat schiebt.

Weil ich Zwänge entwickle, zum Beispiel diese Sache mit den richtigen Kugelschreiber. Ein Mal mit blauer Farbe gestartet, ist es mir unmöglich plötzlich einen schwarzen Stift zu benutzen. Alles muss irgendwie seine Ordnung oder gewollte Unordnung haben, auch allererste Ideen sollten im besten Fall visuell ansprechend sein, schließlich will man irgendwann einmal dieses Buch aufklappen und denken „Wow, deine Einfälle sind ja der Wahnsinn!“. So läuft das aber nicht. Und jedem, der sich mit ähnlichen Problemen herumschlägt, empfehle ich das Umsatteln auf das konventionelle Tagebuch, bloß im unkonventionellen Sinne. Man fühlt sich dabei ziemlich pubertär und kindisch, keine Frage. Wenn man’s aber zulässt, staunt man Bauklötze, was da alles in den Untiefen des Kopfes schlummert.

„Habe heute mit Anna den Film „Vicky, Cristina, Barcelona“ geschaut – Bin ich jetzt Vicky oder Cristina?“

Ein Tagebuch unterliegt schließlich keinerlei Regeln. Egal ob man Torben heute scheiße fand und mit fetten Lettern ICH HASSE DICH auf die leere Seite kritzelt, Bilder von Freunden und Helden einklebt oder ganze Kurzgeschichten verfasst, erlaubt ist alles, was Spaß macht, sinnlos ist oder das Herz zum Hüpfen bringt. Der Grund für mein persönliches Tagebuch-Comeback war dabei eigentlich ein anderer: Von leichter Paranoia gebeutelt, unterliege ich der ständigen Angst, irgendetwas vergessen zu können. Schlüsselmomente, Lieblings-Tracks, irrwitzige SMS der besten Freundin. Was, wenn ich morgen mein Gedächtnis verliere? Was schräg klingt, kann aber zu einem ziemlich netten Hobby für die wenigen Momente, in denen man allein ist, avancieren. Bilder auswählen, ausdrucken, kritzeln, Belangloses loswerden, Aggressionen rauslassen, Liebe visualisieren. Allesallesalles –  Ohne den Gedanken „Scheiße, sowas gehört jetzt wirklich nicht ein Notizbuch, diese neurotische, kindische Rumlaberei“. Ich sage: Doch! Weil alles, was aus Spontanität oder dem Herzen entspringt am Ende irgendwie Sinn und in der Retrospektive ziemlich glücklich macht.

10 Kommentare

  1. Julia

    <3
    "Ein Mal mit blauer Farbe gestartet, ist es mir unmöglich plötzlich einen schwarzen Stift zu benutzen."

    Hah! Bei mir ist es genau umgekehrt – und ich dachte schon, ich wäre ein bisschen komisch…
    Schön zu sehen, dass es noch mehr Menschen gibt, die das klassische Tagebuch als Gedankensammelbecken und Inspirationsquelle benutzen.

    Antworten
  2. toni

    Oh, das kann ich alles so gut nachvollziehen!
    das mit den farben habe ich mir mitlerweile abgewöhnt, gut so. Bei mir ist jedoch die grundvoraussetzung schwarz, blanko und DINA4. meins ist seit gestern voll und ich finde die vorstellung ein neues zu kaufen, scheußlich, retrospektive immer dabei haben ist dann nämlich nicht mehr drin.

    Antworten
  3. Ola

    Ich benutz für eben sowas, was du beschreibst, gerade ein Notizbuch, weil ein Tagebuch für mich viel mehr mit „Ordnung“ assoziert ist, und ich da gefühlt nicht einfach meine spontanen Geistesblitze reinkritzeln kann bzw möchte. Hab einen ganz ollen, billigen kleinen Ringblock und als Stift, was sich grad findet. Heftchen, Moleskines und Co find ich zu schwer und unpraktisch. Aber ohne irgendwas geht´s definitiv nicht. Man läuft um einiges wacher durch die Welt, wenn man etwas dabei hat, um Gedanken und Eindrücke festzuhalten. Ich würd sogar behaupten, kein guter Schreiberling kommt ohne so etwas aus.

    Antworten
  4. Annemarie

    Hi, manchmal tut es richtig gut sich „auszukotzen“. Und wenn mal keine Freundin dafür in der Nähe sein sollte, oder man diese nicht mit seinem Seelenmüll belästigen möchte (manchmal weiß man doch selbst: das ist jetzt gerade nur was temporäres, jedenfalls gehts mir oft so), dann empfinde ich das „Runterschreiben“ als sehr hilfreich. Aber in öffentlichen Verkehrsmitteln würde ich das nie tun, also privates Zeugs schreiben, never ever. Nicht weil es kindisch rüberkommen würde (die Gefahr besteht bei mir ohnehin nicht, eher wäre ich in dem Fall die „crazy Alte“), sondern weil ich viel zu paranoid wäre, wenn andere mir über die Schultern gucken und meine privatesten Gedanken lesen. Neenee. Aber das mit den Notizen, um sich Dinge (oder Ideen) zu merken, die man sonst vergessen würde, halte ich für eine sehr gute Idee. Ich mach das manchmal auf dem Handy, aber dann auch nur Stichworte. Sollte ich eigentlich öfter machen, es geht bestimmt viel verloren. Glg, Annemarie

    Antworten
  5. maja

    Welchen Unterschied macht es ein Notizbuch oder ein Tagebuch zu benutzen?
    Der Zusammenhang erschließt sich mir da nicht.
    Hauptsache Papier und hauptsache es ist greifbar, wenn man es braucht. Die Art und Weise wie man schreibt hängt doch nicht von der Kategorie (Tagebuch/Notizheft) ab, oder? Du schreibst, weil es in diesem Moment sein muss, egal ob kariert, liniert oder blanko…

    Antworten
  6. Laura

    Herrlich! Schleppe mein kleines schwarzes Buch auch überall mit mir herum und kenne diese Zwänge auch nur zu gut. Vor allem der Hang zum blauen Kugelschreiber. Auch bei mir musste das anfangs eine ganz bestimmte Ordnung haben, das fing schon mit dem neutral schwarzen Buchdeckel an. Irgendwann musste ich dann zwangsweise mit meinen Gewohnheiten brechen, als der einzige Kuli, den ich zur Hand hatte, der schwarze meines besten Freundes war. Kein Witz. Lange Rede kurzer Sinn: Auch solche Momente, in denen man gezwungen ist über seinen eigenen marottenhaften Schatten zu springen, offenbaren einem oft mehr über die eigene Person, als einem lieb ist. Und es hilft auf absurderweise sich mit ein paar der eigenen Zwänge auseinanderzusetzen.

    Antworten
  7. Conny

    „Ein Mal mit blauer Farbe gestartet, ist es mir unmöglich plötzlich einen schwarzen Stift zu benutzen.“
    Danke für diese und andere ehrliche Worte, durch die ich mich selbst ein bisschen weniger freakig und ein bisschen mehr „normal“ fühle 🙂 Aber ehrlich, das mit dem Stift ist schon verzwickt: Würde ich den ganzen Text am PC schreiben, würde ich ja auch nicht plötzlich die Farbe wechseln!

    Antworten
  8. Cari

    Toll! Danke, dass du mich dran errinnert hast, wie lange ich schon nicht mehr mein Ragebuch gezückt hab! Wir jetzt wieder regelmäßig gemacht! Schön geschrieben haste 😉
    Liebe Grüße,
    Cari

    Antworten
  9. Pingback: talinee bloggt » Blog Archive » 7 Tage, 7 Links – die Erste

  10. Luisa

    Inspirierender Artikel *.* Werde mir gleich am Montag ein Notitzbuch kaufen und loslegen 🙂 Ich mag deinen Blog :))<3

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr von

Related