Die Sache mit der Kapitulation im Kopf.

26.11.2012 Allgemein, Leben

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Aus gegebenem Anlass (hallo, ihr verzweifelten Freunde, hallo unschlüssiges Ich!), habe ich kurzer Hand diesen alten Text hier reanimiert. Eine Ode an Tocotronic, Rio Reiser und die Hamburger Schule.

Gedankenfäden, die im Dreisekundentakt reißen. Ein Donnerwetter im Kopf und Massaker im Herzen. Zu viele Möglichkeiten, zu wenig Meinung. Das Leben kommt dir vor wie ein mieser Keks aus dem Wunderland. Ein einziger Biss reicht aus und es geht bergab. Im freien Fall verknoten sich Erinnerungen mit Visionen und all die Steine im Magen schütteln dir die Seele aus der Brust. Das Gute daran ist, dass es irgendwann alles vorbei ist. Dass du an all dem wachsen wirst. Aber bis es so weit ist, musst du bluten.

Du weißt nicht, was passiert ist und noch nicht einmal wann, geschweige denn warum. Zeiten ändern sich und dich. Wie ein Puzzelteil, das beim wilden Kinderspiel im falschen Karton gelandet ist, suchst du nach Anschluss, nach deinem Platz. Und plötzlich ist da nichts mehr, was dich hält. Bitte gebt mir meinen Verstand zurück, denkst du. Und danke. Tocotronic. Orientierungslos geisterst du durch das Labyrinth, das du dir selbst gebaut hast. Vergiss nur nicht, dass es einen Ausgang gibt, immer. Bloß das Finden fällt manchmal schwer. Do more of what makes you happy, sagen sie. Aber was ist das, dieses happy? Wenn du nicht einmal weißt, was dich in diesem Moment so unglücklich macht. Wir sind zu jung zum Verzweifeln und zu alt für immer-dieselben-Fehler. Trotzdem passiert es schon wieder – Wir verlieren uns, auf der Suche nach dem ultimativen Glück. Mission Impossible, zum Scheitern verurteilt. Wir können nicht alles haben, nicht immer nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Häufig sind wir schlichtweg zur falschen Zeit am richtigen Ort. Wo bleibt der Pause-Knopf, wenn man ihn am meisten braucht? Kassettenrekorder vs. Mensch: 1:0.

Pure Vernunft darf niemals siegen. Denn da wo wir Herzblut im platt getretenen Rasen hinterlassen, verkommt alles Rationale zu bloßer Heuchelei. Es gibt Dinge, die lassen sich nicht erklären, Umstände, die dir den Kopf vernebeln und  Momente, die all deinen Pläne mit einer einzigen Sekunde die Gurgel umdrehen. Denn nichts wird wieder so sein wie es war. Wenn du das Messer erst gewetzt hast, kannst du es in die Schublade zurück legen, ganz gewiss. Aber trotzdem hat es jeder schon längst in deinen Händen blitzen sehen. Egal, ob es hier um Liebe geht oder das Leben an sich: Feiglinge stehen am Ende alleine da. Nur wer den Mut beweist, Neues zu wagen, kommt am Ende wieder klar. Das Problem daran ist nur, dass man für Neues Altes töten muss. Und ein Mörder will niemand von uns sein.

Da ist er wieder, der ewige Konflikt: Bleiben oder gehen? Kämpfen oder Aufgeben? Ohne Entscheidung verlierst du am Ende Alles. Harmonie ist eine Strategie. Anwendbar ist sie diesmal allerdings nicht. Mach kaputt, was dich kaputt macht, das wusste schon Rio Reiser. Vielleicht solltest du an der Basis rütteln, damit alles um dich herum zerbricht. Mit ein bisschen Glück bleiben beim Sturz vielleicht ein paar Hölzer heile. Damit du aus den Resten ein neues Fundament bauen kannst, irgendwann. Es füllen mit Erinnerungen und kleine Wunden mit großen Gesten flicken. Das ist doch, woran du gerade denkst, fast pausenlos. Dass alles wieder gut werden muss, wie früher.

Die Frage ist nur, ob du das, was du dir jetzt am allermeisten wünschst, morgen überhaupt noch willst – denn nicht nur manchmal sondern meistens kommen die Dinge ganz anders als man denkt. Weil wir die Zukunft nicht vorhersagen können, fällt jede Entscheidung schwer. Der Massenmord an Möglichkeiten hindert uns am Handeln. Stattdessen warten wir ab. Und Leiden oft viel länger als wir müssten. Wir sagen weder A nach B, in der Hoffnung, dass die Dinge sich irgendwann von selber fügen. Werden sie aber nicht. Und wir werden niemals wissen, welcher Weg der richtige ist, bevor wir nicht endlich einen von ihnen selbst beschreiten. Vielleicht gehen wir ja sogar schon morgen los. Und wenn nicht, bleibt uns immer noch die Kapitulation.

 

Text: Nike van Dinther.

Zitate: Tocotronic & Rio Reiser. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ wurde von Rio Reiser geschrieben, aber 1970 von Ton Steine Scherben veröffentlicht. 

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