Gestern Abend saß ich noch ein wenig schlaflos in meinem Bett herum, während ich träge durch das Internet klickte. Irgendwann landete ich schließlich auf Style.de und wurde an folgenden Satz erinnert: „Wenn man Nike von This is Jane Wayne kennt, weiß man, dass es Garderoben-technisch nie langweilig wird bei ihr.“ Ich sehe mich also dort stehen, kunterbunt, mit Bindi auf der Stirn und frage mich, wo ich eigentlich geblieben bin, oder eher: Diese Person dort auf den Bildern. Jetzt gerade bin ich nämlich nichts lieber als das: Mega Langweilig.
Im ersten Moment lag der Grund für den momentanen Wandel ziemlich nahe: Ich bin jetzt 25 Jahre alt, versuche vernünftiger zu werden und auch ein bisschen ruhiger. Weniger Party, mehr Schlaf, weniger rauchen, mehr rennen. Aber das ist natürlich Quatsch. 25 Jahre, das ist kein Alter. Erwachsen ist man schließlich noch lange genug.
Nee, Freunde. Ich bin einfach krass übersättigt und der Begriff „It-Piece“ tut meinen Ohren in etwa so weh wie Vocal House – Was meiner Liebe für die Mode ganz und gar keinen Abbruch tut, bloß verspüre ich derzeit tatsächlich extrem wenig Freude beim Hineinschlüpfen in gewagte Kombinationen. Ich betrachte das Spektakel lieber aus gesunder Distanz, zumindest fürs Erste. Es ist, als müsste ich einen kurzen Moment durchatmen, den Kopf frei kriegen und entspannen. Und das hat mehrere Gründe, die ihr vielleicht auch kennt:
1. Alles schon mal da gewesen. Unentschlossen und sprunghaft wie ich damals war und noch immer bin, habe ich in frühen Jahren in etwa jede Jugendkultur, die mir interessant erschien, durchgekaut und zelebriert. Von Dreadlocks plus biologisch abbaubarer Hängerchen in Moosgrün über Ganzkörper-Gothic-Schwarz, bis hin zum geradlinigeren Stil der Mods, ein bisschen Punkrock und viel Riot Grrrl – damals als Pubertist wollte ich’s wissen und zwar richtig. Ein Leben in Extremen. Dann kam das Studium und plötzlich wurden nur noch Schnürschuhe getragen und alles, aber natürlich, „Vintage“ gekauft. Oma-Kleider, fesche Patchwork-Jacken, und so weiter – Was man eben so trug, wenn man seine Nächte in Indie-Kellern verbrachte und dabei sehr viel Alt-Bier trank. Bei jedem meiner Versuche, mich in ein niedliches Kleid mit Bubi-Kragen zu schälen, ein außergewöhnliches Brokat-Jäckchen auszuführen oder irgend etwas „interessantes“ zu tragen, fühle ich mich momentan noch nicht einmal zurück katapultiert in diese vogelfreien Zeiten, sondern leider nur wie ein dämlicher Abklatsch meines jüngeren Ichs. Das macht keinen Spaß, wenn man ständig denkt „damals sah das besser, echter, frecher aus.“ Wenn ich jetzt also beispielsweise Lust hab wie Jessa aus „Girls“ auszusehen, dann weiß ich, dass ich das mal konnte, dass das mal mein Markenzeichen war. Aber gleichzeitig frage ich mich, wie echt eine Blumen-Palazzo-Hose heute noch an mir wirken kann und ob das nicht lächerlich verkleidet ausschaut. Zu viele Dinge, die man schön findet, zu wenig Entscheidungsfreude. Ist das jetzt ein Problem oder die gesunde Aufgeschlossenheit, von der alle reden?
2. Modemädchen treiben mich manchmal zur Weißglut. Stichwort: Monki Store Opening. Bei solchen Events werden die Manieren gern am Bürgersteig gegenüber liegen gelassen, etliche Augen rollen, Gesichter bewegen sich im Takt mit deinem eigenen Schritt, weil sie dich scannen, von oben bis unten. Ganz abgesehen davon, dass du dich fragst, wie weit man es mit dem eigenen Stil treiben muss, ob diese Mädchen wirklich so wahnwitzig sind wie sie aussehen, oder ob sie bloß langsam am großen Druck besonders individuell ausschauen zu müssen zerbrechen und sich beim ganzen Stylen längst selbst verloren haben. Noch schlimmer: Wenn du feststellst, dass du ganz genau so aussiehst und deine Augen schon von selbst rollen.
3. Konkurrenzkampf. Du wünschst dir Scheuklappen und die totale Isolation. Weil es egal ist, wer die neuesten Nike Sneaker schon hat, weil du im Grunde nur haben willst, was du selbst als wunderbar erachtest. Anstrengend wird das Ganze allerdings, wenn deine Umgebung beginnt, das anders zu sehen. Das neueste Lookbook von Wood Wood ist gerade eingetrudelt, als jemand zum Mädchenabend ruft. Und dann: „Also diese Blumenjacke, und das Leo-Ding, ach und dieses bauchfreie Top, das kauf ich mir auf jeden Fall!“. Oder „Das hab‘ ich schon letztens gesehen, guck mal, hab‘ ich sogar bei Facebook gepostet!“. Aha, schön, denkst du. Und insgeheim fragst du dich, ob dieser jemand gerade nur mal schnell klarstellen wollte, dass die soeben genannten Teile damit schon für jemand anderen reserviert sind. „Finger weg“ also? Und irgendwann findest du dich selbst in dieser Dauerschleife wieder, sagst plötzlich Dinge wie „übrigens, ich habe mich in diese einen Schuhe da verliebt“ und hoffst, dass jetzt niemand vor dir zuschlägt. Das ist scheiße, aber so richtig, nervig für alle anderen und macht dich nicht gerade sympathisch. Viel spannender ist es doch so oder so, die anderen einfach kaufen zu lassen und stattdessen weiter zu suchen. Nach etwas, das wirklich nicht jeder 5. trägt, etwas, das dich stolz und glücklich macht, OBWOHL sich niemand anderes danach verzehrt.
4. Die eigene Arroganz. Sich selbst dabei zu erwischen, Dinge zu denken wie „Aha, die da vorne haben also auch endlich mal geschnallt, dass Dr. Martens schön sind“, oder „Back dir ein Eis drauf, so wie du sah ich vor drei Jahren aus“, ist erstens fürchterlich und zweitens ein sehr großes Anzeichen von Mode-Übersättigung, wenn man sich doch eigentlich für einen recht guten und toleranten Menschen hält. Derartige Aussetzer sind dann beinahe als als Mini-Krankheit zu betrachten, die es zu bekämpfen gilt. Ganz ehrlich, so etwas hat sicher schon fast jeder von uns gedacht. Passiert das allerdings des Öfteren, sollten wir an uns arbeiten und darüber nachdenken, wie wichtig dieser ganze Unfug tatsächlich ist. Und ob wir uns nicht lieber daran erfreuen sollten, dass da jemand ist, der genau das schön findet, was wir eben auch mal schön fanden und vielleicht noch heute heimlich feiern.
5. Es ist egal wie viel Mühe man sich gibt, es gibt immer jemanden, der besser aussieht. Jedenfalls denken wir das. Ein Grund dafür ist vielleicht der, dass wir viel zu sehr nach dem streben, was andere besitzen, als auf das zu hören, was wir selbst wollen. Es gut, sich Inspiration zu holen, aber Sätze wie „Ich würde gerne aussehen wie Brigitte Bardot in diesem und jenem Film“ – das kann nur nach hinten losgehen. Du bist nicht Brigitte Bardot. Ich auch nicht. Es ist deshalb sehr viel schlauer, aussehen zu wollen, wie man selbst.
6. Wir sehen alle gleich aus. Jedenfalls kommt mir das hier in Berlin ziemlich häufig so vor. Ob ich das schlimm finde? Nein. Man soll schließlich einfach tragen, was gefällt. Trotzdem gibt es durchaus bessere Situationen als an einem gewöhnlichen Samstag im Görlitzer Park auf vier Freundinnen zu treffen, die alle Turnschuhe, Jeans, Seiden-Top und Mantel tragen, genau wie du. Ich frage mich dann manchmal, wie beeinflussbar wir wirklich sind und was wir auch tragen würden, wäre es nicht ultramegasuperhip. Und ob ich den gesprenkelten Nike Roshe Run genau so toll finden würde, wäre er nicht ein solcher Tumblr-Star.
7. Kaufsucht. Wer meint, er wäre nicht konsumsüchtig, bei dem läuft was schief im Kopf. Wir konsumieren den ganzen lieben Tag lang. Gefährlich wird’s zum Beispiel dann, wenn nach jedem Kauf das schlechte Gewissen in der Magengrube ziept. Hätte das jetzt wirklich sein müssen? Nein. Sollte ich nicht lieber sparen? Ja. Das Beschissene ist aber, dass wir Dinge, die wir käuflich erwerben, häufig schon nach einem Monat nicht mehr als „neu“ erachten und damit recht schnell als unspannend. Ständig wollen wir mehr und plötzlich bedeutet Shopping keinen Spaß mehr, sondern Stress.
8. Die Flut an Möglichkeiten. Es ist toll, dass wir selbst entscheiden können, wie wir aussehen, jeden Tag. Aber auch lästig. Aus selbigem Grund meide ich beispielsweise Real und Co und besorge mir das Abendessen lieber in kleineren Läden um’s Eck. Weniger Auswahl, das tut manchmal gut. Nun ist es aber nunmal so, dass es hunderttausend Stile gibt und unendlich viele modische Möglichkeiten. Da hilft die Begrenzung auf einen einzigen Shop eben auch nicht weiter. Ich bewundere deshalb jeden, der seinen eigenen Stil längst gefunden hat. Der weiß, was er will und was ihm steht. Ich bin noch immer auf der Suche und mir dämmert langsam, dass genau hier das Problem liegt. Die Suche muss ein Ende haben. Stattdessen gilt: Treiben lassen, auf das Bauchgefühl hören, zwanglos sein. Dann kommt der Spaß irgendwann von allein zurück und man findet sich vielleicht sogar schneller, als man neue Schuhe kaufen kann.
Illustration oben: Roberlan via Tumblr //