Texte über die Fashion Week fand man in den vergangenen Tagen wie Sand am Meer. Weil jeder mitreden, meckern oder wahlweise schlichten will, sobald das Zelt am Brandenburger Tor sich füllt. Die Lieblingsbeschäftigung deutscher Klatschjournalisten setzt sich beispielsweise aus Namen wie Glööckler, Guido Maria Kretschmar und diversen Dschungelcamp-Schnecken zusammen, die nach deren wenig schmeichelhaften Auftritten auf dem roten Teppich gebündelt in einen Topf geworfen werden, um daraus schließlich die Außenwirkung der Modewoche zusammen zu brutzeln. Jegliche Relevanz geht hier schon mit der feisten Wahl der Überschriften verloren.
Die Vice macht’s ähnlich: „Zu viele D-Promis, Jahrmarkt Atmosphäre, das peinliche Gerangel irgendwelcher selbsternannter Models oder DSDS-Stars um Gratis-Sekt und Goodie Bags. Nicht zu vergessen die peinlichen Designer á la Guido Maria Kretschmer, die eher ins Fernsehen gehören als in irgendein Fashion-Week-Zelt dieser Welt. Ist die Berliner Fashion Week also eher Porno statt Fashion? Den Charme der jungen, wilden Modewoche hat die MBFW längst verloren, das Debakel im Zelt am Brandenburger Tor kann man sich nicht mehr schönreden, für Entschuldigungen ist es jetzt auch zu spät und die Generalprobe längst vorbei“, heißt es da. Wer nicht auf den Kopf gefallen ist, weiß wie die selbsternannten Rebellen der teils genialen, teils absurden Marketing-Maschine in Fällen wie diesen vorgehen: Reißerisch, halb-fundiert und Klickzahlen-freundlich. Wer am tiefsten in der Wunde bohrt, bekommt den größten Fame. Beifall geben jene, die noch niemals dort waren, auf der reudigen Fashion Week der Wannabees.
Das peinliche Spektakel ist zwar real, aber durchaus erträglich. Ein Paar Minuten des Blitzlichtgewitters, dann wird es still bis das erste Model den Laufsteg betritt. In der Frontrow mag mitunter der Bodensatz der Fernsehprominenz sitzen, das ist wahr. Aber die Frontrow ist sehr viel länger als Boris Becker breit ist. Die wirklich wichtigen Köpfe der Szene bekommen keinen Platz auf dem Titel der BILD, aber ganz sicher einen in der ersten Reihe der Show. Wer trotzdem weiter über Soap-Stars meckert, muss sich auch an die eigene Nase fassen: Nicht die Platz-Verteiler sind Schuld an der teilweise unterirdischen Promi-Besetzung, sondern mitunter wir selbst. Personenkult ist in Deutschland quasi nicht existent, die wahren Helden des TVs werden ausschließlich von RTL-Zuschauern gewählt. Deutsche Stars sind demnach zu peinlich und kommerziell, oder zu unbekannt und eigen. In der Mitte bleibt nicht viel übrig und der Kunde immer noch König. Aus letzterem Grund sitzt das wunderbare Top Model Eva Padberg bei Lala Berlin auch ganz vorn, aber sicher nicht bei Anja Gockel. Zielgruppengerechte Sitzplaztverteilung nennt man das.
Weshalb braucht es überhaupt Promis auf der Fashion Week? Weil der Durchschnittsdeutsche Mode für Quatsch hält, vielleicht für praktisch, aber sicher nicht für relevant. Da werden Augen schon wegen einer grünen Hosen gerollt. Aufmerksamkeit bekommt ein Designer also nur dann, wenn’s Namen hagelt. Welche, das ist am Ende egal, Hauptsache es knallt. Sollte man zumindest D-Promis verbieten, um der Fashion Week wieder mehr Stil und Seriosität einzuhauchen? Man könnte es versuchen. Wenn man ein Arschloch ist und Klassengesellschaften für sinnvoll hält.
Viele Tageszeitungen hingegen halten inhaltlich an Vergleichen, oder eher Anti-Vergleichen fest: Kann Berlin mit Paris mithalten? Ist die deutsche Modewoche international? Die Antwort überrascht selten: Natürlich nicht. Die großen Namen der Branche haben der deutschen Hauptstadt längst den Rücken gekehrt. Dennoch spricht man von „Highlights“ und „Hoffnung“, von „Überraschungen“ und „Enttäuschungen“. Die Fashion Week bleibt weiterhin ein wunder Punkt, aber immerhin einer, der Emotionen schürt. „Nach dem Absprung renommierter Marken wie Hugo Boss und Escada ist die Fashion Week in Berlin vor allem eine Plattform für den Nachwuchs„, schreibt die Süddeutsche ganz richtig. Ist das nicht schön und erstrebenswert? Eigentlich schon, aber dennoch scheitert die Fashion Week alljährlich an mühseligen Vergleichen mit der internationalen Konkurrenz.
Dabei taugen sinnentleerte Vergleiche in etwa so viel wie leere Versprechen. Berlin ist nicht Paris und wird es niemals sein. Zum Glück. Berlin ist gemütlich und familiär, Berlin ist, entgegen seines Rufs, leise und wenn man so will sogar vernünftig. Was soll das Streben nach fremden Zielen? Wenn ich mich doch in Mailand, London oder Paris berieseln lassen kann, von waghalsigen Kollektionen, wenn ich dort staunen kann, weshalb bräuchte ich dann noch Berlin, wenn es dort genau so wäre? Dort drüben nach Inspiration suchen, nach Kleidung für den besonderen Auftritt, und hier? Hier kann ich meinen Kleiderschrank füllen, mit detailverliebten Basics für die Ewigkeit. Weshalb konzentrieren wir uns nicht endlich auf unsere eigenen Stärken, weshalb fördern und feiern wir nicht, was wir haben, statt Salz in die Wunden unserer Modewoche zu streuen?
Die Berliner Mode sei langweilig, sagt man zum Beispiel. Naja. Sie ist schlichtweg tragbar. Manch ein Modeherz trauert der Wagemut hinterher, will endlich wieder überrascht und verzückt werden und staunen. Verständlich, so geht’s mir auch. Das Problem sind jedoch nicht die mangelnden Talente, sondern die wenig vorhandene Kaufbereitschaft potentieller Kunden. Man verzehrt sich weiterhin nach kommerziellen, großen Firmen aus den USA oder Frankreich, nach Massenware und trägt lieber Kenzo als Karaleev. Und da fragt man sich, wie Berlin so verrückt sein kann, wo dessen Mode doch das genaue Gegenteil ist? Was all der Minimalismus soll? Wie bei jedem Job, geht es eben auch hier darum, irgendwann einmal Geld mit dem zu verdienen, was man da treibt. So viele kauffreudige Paradiesvögel, wie es bräuchte, um auch nur eine Handvoll fancy Kollektionen an den Mann zu bringen, gibt es selbst in Berlin nicht. Aufwachen, das Modegeschäft ist ein Schlaraffenland.
Und was sagen die Blogger, die gefühlten Feinde alteingesessener Print-Redakteure, jene Schmarotzer, die sich während er Modewoche am liebsten von Selfies ernähren? Entweder gar nichts, oder, Überraschung, Wahres. Sie übernehmen den Part der Verteidigung, der Rechtfertigung, sie versuchen, das Bisschen Magie zu bewahren und stellen sich auf die Seite der jungen Deutschen Designer, für die Mode kein Seifenkistenrennen um die bescheuertste Headline ist, sie schwärmen von Achtland, Hien Le oder Mailaikaraiss: „(…)Sie stehen für das Mode-Deutschland, für neue, innovative Mode made in Germany. Die auch international was kann. Für die es sich lohnt, die ein oder andere Fashion Week Party früher zu verlassen, um am nächsten Morgen im Getümmel vor dem Zelt am Brandenburger Tor stehen. Zwischen Fotokameras, Redakteuren und Paradiesvögeln. Voller Spannung auf die nächste Show (amazed).“
Danke. Das ist Berlin: