Es gibt ja diese Momente, in denen man gerne ein bisschen mehr wie Itchy oder Scratchy wäre, weil man sich dann entweder selbst verspeisen oder auf links stülpen könnte, aus reinem Fremdschutz. Ich erlebe solche Augenblicke zwar relativ selten, aber wenn, dann schäumt es gelegentlich vor meinem Mund, ab und zu wird mir auch übel oder mein Kopf krebsrot, vor lauter Aufregung, Wut und Unverständnis. So ging es mir auch letztens, als ich mit ein paar eigentlich unschuldigen Freundinnen in einem unschuldigen Café saß, an welchem in regelmäßigen Abständen noch unschuldigere Passanten vorbei schlawänzelten. Alles FriederFreudeErdbeerkuchen also, bis jemand einen Fehler machte.
Besser gesagt machten gleich zwei Jemande jeweils einen Fehler. Dass dort auf der anderen Straßenseite nämlich eine fremde weibliche Person Badelatschen-und-gleichzeitg-Socken-tragend versuchte, ihr Rad aufzuschließen, veranlasste einer der kuchenessenden Freundinnen zum plötzlichen Herauskehren ihres inneren Teufels, von dessen Existenz ich bis dato noch nicht einmal eine leise Ahnung gehabt hatte: „Maaan ey, lächerlich, diese Socken-in-Sandalen-Hipster-Scheiße“, posaunte das neuerdings spitzzüngige Fräulein neben mir. Ich hingegen schwieg. Und biss mir vor Schreck auf die Zunge.
Um ehrlich zu sein, dachte ich nämlich immer, nur „die Anderen“ seien so. Meinetwegen auch alle, aber nicht meine Freunde. So intolerant und urteilend, so unbegründet fieslich. Die Wahrheit des Tages sah anders aus: Wenn’s um Stile und Kleidungs-Ticks Durchreisender geht, kennt nur Mutter Theresa Gnade. „Warum denn lächerlich?“, frage ich. „Ja, guck doch mal. Das sieht einfach lächerlich aus und ist auch lächerlich, wieso macht man denn sowas? Entweder richtige Schuhe oder Sandalen, oder? Aber Socken in Sandalen?“, bekomme ich als Antwort. Ich denke an Céline und wasweißichnichtwen, an all die Modemagazine, die vollgestopft sind mit Editorials, die eben jenen modische „Fauxpas“ mittlerweile bis in den Himmel loben und so geschickt inszenieren, dass ich auch schon ganz verfallen bin. Ich werde wütend. Nicht, weil man meinen Geschmack nicht teilt, sondern wegen der Erkenntnis, dass der Mensch wohl nie begreifen wird, dass man niemals nie sagen sollte (ey, was, Karottenhosen?), dass es wunderbar ist, wenn unterschiedliche Persönlichkeiten sich unterschiedlich kleiden, dass jeder selbst entscheiden darf, was geht und was nicht, was er trägt oder verschmäht, dass es nicht unser Recht ist, darüber zu urteilen, was man „macht und was man nicht macht“, aber vor allem, dass das Wort „lächerlich“ aus dem alltäglichen Sprachgebrauch gestrichen gehört. Hätte meine Freundin doch gesagt „Urgh, das ist nicht mein Geschmack“, dann hätte ich nicht diesen Klotzkloß im Rachen feststecken gehabt. Dann hätte ich einfach „Meiner schon!“ maunzen können. „Lächerlich“ hingegen funktioniert in keiner Konversation, „lächerlich“ ist ein verbales Todschlagargument, „lächerlich“ ist der Bodensatz aller Kritik, undiplomatisch und erniedrigend. Ein Wort, so stark, dass es mir im Zusammenhang mit jeglicher Mode-Thematik wie ein deplatzierter Bastard vorkommt und ganz und gar unangebracht, sofern wir im gleichen Atemzug von einem Lebewesen sprechen.
Vermutlich werde ich ohnehin nie begreifen können, wie es möglich ist, sich über die optische Ausdrucksform anderer so schrecklich zu echauffieren. Ich kann höchstens Theorien aufstellen. Eine davon lautet: Hater sind in Wahrheit Neidhammel. Wenn man selbst nämlich nicht den Mut hat, sich auszuprobieren und unter jedem augenrollenden Blick zerbricht, dann gönnt man es der Tante mit den wilden Ideen oder dem andersartigen Antlitz eben auch nicht. Andernfalls würde man sich vielleicht eingestehen müssen, dass man freiwillig Klon statt Stürmer & Dränger ist und das wiederum enthüllen nur die wenigsten gern, im Land der vermeintlichen Vorzeige-Individualisten.
Nun kann Eifersucht aber wirklich nicht als Ausrede für alles gelten, da habt ihr natürlich recht. Wo sonst liegt dann bitte das Problem? Verratet es mir. Ich verstehe es nicht. Am wenigsten dann, wenn ich selbst im Café sitze, den Kopf schüttle und sage: „Mein Gott, wie lächerlich.“
(Wie immer handelt es sich um fiktive Personen und Erlebnisse)