Die Fotografin und Bloggerin Madeleine Alizadeh hatte irgendwann die Nase voll von all dem geistlosen und vor allem ungebremsten Konsum, wie er uns tagtäglich um die Bildschirme geschleudert wird. Im vollen Bewusstsein darüber, dass sie aber schon allein aus beruflichen Gründen niemals zur heiligen Alles-Verachterin hätte werden können, entschied sie sich für einen Weg im Rahmen ihrer Möglichkeiten und, so ehrlich muss man sein, auch im Rahmen ihrer eigenen Ambitionen, einen Mittelweg also, der ihre Welt ein bisschen besser machen sollte. Seit über einem Jahr achtet sie deshalb genau darauf, wo die von ihr gekaufte Kleidung produziert wird, sie berichtet auf Dariadaria über nachhaltige Labels, recherchiert, und klärt auf, sie zeigt uns Alternativen zu H&M & Co, aber auch knallharte Fakten, die jedem Betrachter den Magen herum drehen. Bis ihr vergangene Woche der Kragen platzte. In einem Blogpost gab Madeleine bekannt, dass sie zwar weiterhin Gutes tun wolle, bloß das Sprechen darüber ließe sie künftig lieber sein.
Das Problem: Vielen ihrer Leser war Madeleines Idee, ein bisschen nachhaltiger leben zu wollen, zu inkonsequent. In einem kurzen Skype Duett haben wir mit der vielleicht sympathischsten Österreicherin des Planeten über fiese Kommentare und das Laster der Scheinheiligkeit gesprochen:
Madeleine, du hattest dir vorgenommen, dein Blog ein bisschen nachhaltiger zu gestalten, genau wie dein eigenes Konsumverhalten – wie kam es dazu?
Meine Mama war immer so eine „dreh das Licht ab“, „spare Wasser“, „nein, wir werden uns kein Auto nehmen“ – Frau. Mich hat das früher total genervt, aber ein bisschen was ist davon wohl hängen geblieben. Mit wachsender Reichweite meines Blogs hab ich mich dann eines Tages gefragt: „Ja und wer macht jetzt eigentlich meine Kleidung?“ und „wieso ist H&M eigentlich so verdammt billig?“. Das Tüpfelchen auf dem i war dann die Doku „Gift auf unserer Haut“ im ZDF – da bin ich dann heulend (es war ein Bridget Jones Moment) zum Schrank und hab alles rausgerissen was Made in Bangladesh o.ä. draufstehen hatte.
Warst du fortan superkonsequent?
Am Anfang supersuperkonsequent. Inzwischen weine ich mich aber nicht in den Schlaf, weil ich mir eine Kette Made in China gekauft habe – ich habe aufgehört, mir ein schlechtes Gewissen wegen meiner Nikes zu machen, weil ich weiß, dass mein Kaufverhalten trotzdem radikal anders als früher ist. Immerhin sind meine Unterhosen alle bio.
Alles immer richtig zu machen, ist heutzutage ja auch so gut wie unmöglich. Ich müsste zum Beispiel sofort mein Apple iPhone entsorgen. Deshalb haben Sarah und ich uns dazu entscheiden, zumindest im Kleinen anzufangen, sagen wir „im Rahmen der eigenen Möglichkeiten“. Da gehörte zum Beispiel das Meiden von samtlichen Inditex-Firmen dazu, etwa Zara. Nicht, weil Zara der einzige Teufel ist, sondern weil andere Teufel zumindest einsehen, dass sie Teufel sind und versuchen, ein bisschen was zu ändern. Und, wie gesagt, weil man ja schließlich irgendwo anfangen muss. Lustigerweise wurden wir genau für diese Entscheidung schon häufig angegriffen,. „Inkonsequent“ sei das. Aber darum geht es auch nicht immer, oder doch?
Ja genau – du müsstest dein iPhone entsorgen, dein Kind ohne Windeln aufziehen und dich von selbst angebauten Früchten ernähren. Und selbst dann gäbe es noch Dinge, für die man dich kritisieren könnte. Sobald man eine Meinung hat, erzeugt man Angriffsfläche – meistens aber weil das Gegenüber das Gefühl hat, man möchte ihm oder ihr ein schlechtes Gewissen machen, weil sie sich kalt ertappt fühlen. „Informieren statt Missionieren“ finde ich da aber viel besser. Es ist ja auch absurd: da draußen rennen lauter Leute rum, die rauchen, McDonalds essen, Benzinschleudern fahren. Geht da jemand hin und sagt: „Na hören Sie, rauchen ist total ungesund, sie stopfen da Massentierhaltungsfleisch in sich rein und ihr Auto ist unter aller Sau.“ Nein. Sobald aber ein Vegetarier am Tisch sitzt, kommen die üblichen Meldungen „ah du trägst aber Lederschuhe“ und das stichelige „na und WARUM genau isst DU kein Fleisch?“. Total paradox.
In den Angriffen geht es auch oft um „Scheinheiligkeit“. Wir hören ganz oft: „Ich trage Zara, Forever 21 & Co aber stehe zumindest dazu“. Im Grunde habe ich den Versuch aufgeben, mich zu erklären. Dir ist etwas sehr ähnliches passiert, das mich sehr wütend gemacht hat. Erzähl doch mal schnell.
Ich habe meinen LeserInnen immer versucht klarzumachen, dass ich mit Bloggen mein Geld verdiene und es unmöglich für mich ist, 100% nachhaltig zu bloggen, da ich auf Einnahmen und bezahlten Content angewiesen bin. Trotzdem gab es ganz schön viele, die unter jeden zweiten Post negatives Feedback gaben, ich wäre total falsch, denn ich würde ja Nikes tragen. Das hat mich nicht nur total unter Druck gesetzt, sondern auch wütend gemacht. Ich habe 2014 Kooperationen in Höhe von 15.000€ abgelehnt, weil die Labels nicht nachhaltig genug (für mich) waren. Das sieht der Leser natürlich nicht. Ich habe mir total viel Mühe gegeben, unter jeden Post zu schreiben wo und wie meine Kleidung hergestellt wird und habe sehr viel Zeit investiert in die Recherche nachhaltiger Labels. Von vielen wird das als total selbstverständlich genommen. Sie nehmen es als selbstverständlich, dass sie das Medium Blog gratis konsumieren können, noch dazu fein säuberlich recherchierte Infos auf dem Silbertablett serviert bekommen und sind dann aber noch so frech, sich darüber zu beschweren dass ich Blaubeeren im November esse. Ich finde man sollte immer mir gleichen Karten spielen: jemand der also selbst bei Forever 21 & Co. einkauft, hat mir keine Tipps zu geben, es sei denn er/sie hat selbst mal probiert nachhaltig zu leben.
Dann erschien dein Blogpost „Ich bin ein naives Dummchen“, in dem du erklärst, dass du kapitulierst. Ich war fast außer mir. „Haben sie’s also geschafft“, dachte ich und „ach, Menschen. Immer das Gleiche.“ Wie geht es jetzt weiter?
Es sollte keine Kapitulation sein, sondern eher ein subtiler Rückzug. Ich habe mein Kaufverhalten privat nach wie vor nicht geändert, aber ich habe öffentlich klar gemacht, dass 100% Fair auf meinem Blog nie zu sehen sein wird und dass ich das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr so prominent in den Vordergrund stelle. Ich muss aber dazu sagen, dass ich mir nie im Leben so ein bestärkendes Feedback erwartet hätte. Es hat sich sehr viele stille LeserInnen zu Wort gemeldet, die selbst eingesehen haben, dass man auch ab und zu sagen sollte, was einem der Blog XY persönlich Positives gibt, dass man nicht nur piep machen sollte, wenn es was zu meckern gibt. Viele haben mir verraten, dass ich sie stark in ihrem Konsumverhalten beeinflusst habe – das war mir bisher überhaupt nicht klar, obwohl es genau darum gehen sollte. Ein einziger fieser Kommentar war dabei, das ist schon ein super Schnitt. Trotzdem werde ich in Zukunft klüger sein und zwar Gutes tun, aber nicht mehr so plakativ darüber sprechen. Auf ständige Diskussionen habe ich nämlich weder Lust noch habe ich die Zeit dafür.
Ich bewundere all die Helden da draußen, die sich so komplett im Griff haben. Wirklich. Für mich selbst habe ich trotzdem entschieden, dass ich weder vegan, noch einhundert prozentig nachhaltig leben kann und möchte. Ich bin im Grunde einer dieser Durchschnittsmenschen, die wissen, was sie da anstellen und dennoch nicht damit aufhören. Ich glaube, das sind die meisten von uns. Was können wir hinsichtlich unseres Konsums, vor allem in Bezug auf Kleidung, tun, um trotzdem nicht alles falsch zu machen?
Würden wir alle vegan leben, hätten wir auch ein Problem. Weil man dann gewisse Lebensmittel überproduzieren müsste und wir wieder dort wären, wo wir heute sind. Wie bei allem ist das richtige Maß das Ziel: wenn wir alle nur halb so viel Fleisch essen würden, wäre es so als wäre die Hälfte der Menschheit Vegetarier. Genauso verhält es sich mit dem Konsum: ein einziges T-Shirt von H&M macht die Welt noch nicht kaputt. Wenn man sich aber jedes Monat 10 Shirts bei H&M kauft, dann ist man wirklich „schuldig“. Generell geht es darum weniger zu konsumieren und dafür besser. Man kann also zB. wie ich die 4-für-1 Regel anwenden: statt 4 Zara Teile im Monat, kauft man sich 1 hochwertig, fair hergestelltes Stück. Kostet genauso viel und Freude hat man auch länger daran. Wir leben inzwischen in einer Welt, in der es 52 Saisonen gib, wo man das Gefühl hat, jede Woche neue Dinge besitzen zu müssen. Zara bringt jeden Monat ein neues Lookbook raus! Seit wann startet jedes Monat eine neue Saison, frage ich mich da. Und DAS ist das wirkliche Problem: Wir konsumieren zu viel. Zu viel Fleisch, zu viel Kleidung, zu viel von allem. Würden wir einfach bewusster konsumieren, würden Konzerne wie Primark auch nicht mehr die Notwendigkeit sehen so viel zu produzieren. Momentan wird in so großen Mengen hergestellt, weil unwahrscheinlich viel gekauft wird (Angebot und Nachfrage und so). Aus dem Grund wurde auch in Länder ausgelagert wo diese unglaublich massive Produktion logistisch abgewickelt werden kann.
Ein ganz interessanter Trailer dazu ist der hier.
Hand auf’s Herz: Hast du bei einem Kommentar auch mal gedacht „Verdammt, irgendwie hat sie/er ja Recht“?
Aber klar doch! Es kommen ja auch sehr viele gute, negative, aber durchaus konstruktive Kommentare von Menschen, die auch wirklich Ahnung haben. Nur machen die leider nicht den Großteil der negativen Kommentare aus. Die meisten kommen von Menschen die gar nicht oder halb-informiert sind. Ich finde es auch total gut, dass es da draußen LeserInnen gibt, die sich mit der Thematik auskennen, denn von denen kann ich auch noch ganz schön viel lernen!
Stimmt. Findige Leser sind Gold wert und ich zücke vor jedem einzelnen meinen Hut. Vor dir aber auch, Madeleine. Danke!