Li Edelkoort ist für so gut wie jeden und jede, der oder die irgendetwas mit Mode am Hut hat, so etwas wie das Mutterorakel. Die 1950 in den Niederlanden geborene Expertin auf dem Gebiet „Trendforschung“ lebt nämlich längst in Paris und weiß seit Jahrzehnten, wo der modische und gesellschaftliche Trendhammer hängt. Sie berät Unternehmen rund um den Globus und hat mit ihrem Interview, das sie anlässlich eines Vortrages ihrerseits jüngst dem Deezen Magazine gab, einen Stein ins Rollen gebracht, den man glatt „Fashion Shaming“ nennen könnte. Das berüchtigste Zitat aus dem aufgezeichneten Gespräch mit Redakteur Marcus Fair lautet: „Fashion is dead„. Die Reaktionen darauf changieren meilenweit zwischen Entrüstung und Zuspruch, obwohl sich niemand so recht trauen will, der Old Lady der Branche zu widersprechen. Schließlich stehen ihre kritischen Ausführungen auf einem recht stabilen Gerüst. Aber wenn man genau hinsieht, statt der Welle der Aufruhr blind zu folgen, dann ist die Mode selbst laut Li Edelkoort kein bisschen tot.
Vielmehr ist das große F-Wort in die Jahre gekommen, Fashion ist ganz einfach nicht mehr Fashion, Mode ist heute anders als damals. Das ist so, Punkt, Ende, aus die Maus. Viel wichtiger als die drei von den Medien herausgepickten Wörter „Fashion is dead“, die ohne Zusammenhänge ja beinahe polemisch klingen, ist also der gar nicht mal so fies gemeinte Rattenschwanz, der da an dieser Aussage noch mit dran hängt: „This is the end of fashion as we know it. Fashion with a big F is no longer there. And maybe it’s not a problem; maybe it’s actually a good moment to rethink.„
„Die Dinge überdenken“, das muss und sollte man also ganz gewiss. Gründe gibt es viele: All die Zwischenkollektionen, der Pre-Spring und Pre-Fall, die sich vor lauter Schnelligkeit beinahe selbst überschlagenden Saisonwechsel, die nicht nur Designer, sondern auch Konsumenten an den Rande des Wahnsinns treiben, dieser radikale Sale-Wahnsinn, der sämtliche Läden und Onlineshops, aber auch die Marken selbst immer mehr in die Knie zwingt, ein Marketing-Mechanismus, der dank dem Aufstieg des Bloggers und der Celebritysierung sämtlicher Streetstyle-Ikonen schneller zuschlägt, als das auf dem Laufsteg Gezeigte überhaupt in den Läden landet, der uns gleichzeitig aber schon lange bevor die „neuen it-Pieces“ überhaupt in unseren Kleiderschränken landen konnten, vor Übersättigung nahezu abwertend und ignorant werden lässt. It-Pieces im Allgemeinen, sogenannte Mikro-Trends – wer will da demnächst überhaupt noch mitmischen, wo die Dinge doch sowieso unaufhörlich „Bäumelein wechsel dich“ spielen. Die Modebranche, so, wie sie jetzt gerade funktioniert, ist kurz davor sich selbst zu kannibalisieren. Höchste Zeit, was zu ändern.
Und was ist mit dem Drumherum?
„Fashion shows are becoming ridiculous; 12 minutes long. 45 minutes driving, 25 minutes waiting. Nobody watches them any more. The editors are just on their phones; nobody gets carried away by it. It’s a ridiculous and pathetic parody of what it has been. I know because I’ve seen fashion shows of Thierry Mugler which would have 65, 75 models for three quarters of an hour„, findet Edelkoort, ähnlich wie auch Suzy Menkes. Und hier manövriert sie sich meines Erachtens, zumindest bezüglich der Argumentatiosnbasis, plötzlich selbst ins Aus. Schade. Es hatte doch so gut begonnen.
Die Zeiten, in denen eine Show noch 45 Minuten dauern konnte, sind nämlich genau so vorbei, wie ein westliches Leben ohne Internet. Das Degradieren der aktuellen Gegebenheiten wie es hier geschieht, erinnert demnach tragischer Weise an eine in die Jahre gekommenen Verfechterin der analogen Welt, die sich benimmt wie frustrierte Rentner-Nachbarn, die ihre Ellenbogen auf einem kleinen Kissen auf der Fensterbank betten, um über die „Jugend von heute“ zu schimpfen. Lexi von Journelles bringt es auf den Punkt: „Da müsste man sich dann eine Woche Urlaub nehmen, wenn die Fashion Week ansteht und jeder Designer so eine Präsentation macht!“. Die Frage ist also nicht, ob moderne Fashion Shows überflüssig geworden sind, sondern ob Fashion Shows im Allgemeinen nicht eventuell schon immer „überflüssig“ waren.
Genau so sehr wie ich trotz aller digitalen Zeilen noch immer großer Freund des gedruckten Wortes bin, macht es für mich (und viele andere) auch noch immer einen höllischen Unterschied, ob ich eine Kollektion auf dem Laufsteg mit (fast) allen Sinnen „fühlen“ und begreifen darf, oder ob sie mir nüchtern, stumm und gefühlsarm per Mail auf den Bildschirm gebeamt wird. Ein Hin und Her der Eitelkeiten? Mag sein. Aber Mode im Sinne von „Mode“ und nicht im Sinne von „Funktionskleidung“ war schon immer ein dekadentes Luxusgut, das überhaupt erst durch den Geltungsdrang der Menschen so weit kommen konnte. Heute ist Mode Mainstream. Mode ist Business. Und immer geht es um Geld, was nicht ausnahmslos hilfreich, aber verständlich ist. Liegt hier eines der größten Probleme verankert? Jein. Der eigentliche Teufel heißt „Gier“. Niemand gibt sich mehr mit einer Millionen zufrieden, wenn noch mindestens eine weitere Null dazu kommen könnte. Spätestens hiermit ist Mode in den Strudel der Perversion geraten.
„And then marketing of course killed the whole thing. It’s governed by greed and not by vision. There’s no innovation any more because of that,“ stänkert Edelkoort weiter. Es gehe nur noch um „Klamotten“ und längst nicht mehr um die Träume der Menschen oder um das, was in unserer Gesellschaft passiere. Ich sehe das ein bisschen anders, weshalb ich den ewigen „Ist ja alles nur kopiert, war ja alles schonmal da“ Diskurs tendenziell überdrüssig bin.
Irgendwann sind die Grenzen der tragbaren Mode vielleicht vorerst erreicht – was uns bleibt, sind neue Technologien, neue Materialien. Bis diese aber wirklich ausgereift sind, bis sie wirklich Sinn machen, werde ich mich keinesfalls in ein LED-besetztes Cocktail-Kleid schälen, bloß der „Innovation“ zuliebe. Stattdessen erfreue ich mich lieber an den wunderbaren Neuinterpretationen des längst Vergangenem. Das Graben in früheren Jahrzehnten hat für mich des Weiteren wenig mit Ideenlosigkeit als vielmehr mit Sehnsucht zu tun, und, ganz entgegen der von Edelkoort geäußerten Vorwürfe, mit der Gesellschaft, in der wir uns bewegen.
Nehmen wir als Beispiel das Revival der 70er, das uns gerade so heftig trifft wie ein Boxschlag von Rocky. Wir wissen, wofür die Seventies stehen, ohne vielleicht sogar ein einziges Jahr miterlebt zu haben, wir wissen, oder besser meinen zu wissen, um welches Lebensgefühl Schlaghosen, Janis Joplins Musik und kugelrunde Sonnenbrillen kreisen. Genau darum geht es. Womöglich haben unsere Gemüter das bisschen Nostalgie aufgrund der weltpolitischen Lage sogar bitter nötig. Wir machen es also im Grunde nicht anders als unsere Eltern oder Großeltern. Wir machen es nur ein zweites Mal.
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