Wer findet noch, dass Schubladen doof sind? Genau. Size-Zero ist doof. Und Plus-Size ist doof. Am allerdoofsten ist der Terminus “Inbetweenies” (Kleidergröße 42 bis 48). Täglich springen uns neue absurde Hashtag-Kampagnen (Hallo #CurvesInBikinis!) und latent bekloppte Fotoprojekte (Hallo David Lopera!) ins Gesicht, die das Schönheitsideal des 21. Jahrhunderts unter irrwitzigen Anstrengungen verhandeln. Wir leben in einer Welt, in der eine Anzeige(!) in der Sports Illustrated mit einem Model, das Größe 44 trägt, für einen vollkommen unangebrachten Medienwirbel sorgt (ja, auch ich wurde angehalten, auf einem anderen Kanal zu berichten). Und wir leben in einer Welt der gertenschlanken Victoria Beckhams und Marissa Mayers, die uns regelmäßig auf sämtlichen Kanälen mit ihren Körpern ihre Stärke demonstrieren.
Die Grundstimmung ist: Jede Frau muss sich für ihre Kilos rechtfertigen und jede Frau steht für ihre Kilos unter Generalverdacht. Die normale Bohnenstange von nebenan muss versichern, dass sie die Spaghetti-Bolo wirklich nicht rückwärts gegessen, sondern einfach einen bombenmäßigen Stoffwechsel hat. Die Kurven-Fraktion wird per se als Sportmuffel abgestempelt und hat sowieso ihr Leben nicht unter Kontrolle. Beide sehen sich nicht selten entweder Blicken voller Mitleid oder Blicken voller Neid ausgesetzt. Und nun?
Erstens: Körper-Bashing gehört schlichtweg verboten. Dünne dürfen dünn sein, Dicke dürfen dick sein und überhaupt: Außer der Weißen-Kittel-Fraktion sollte niemand sich anmaßen zu definieren, was dünn und was dick ist. Zweitens: Vergleiche anzustellen ist ein gutes Mittel, sich sein Glück zu vermiesen – sagte schon François Lelord. Drittens: Wir sollten langsam die nächste Stufe einleiten, uns kollektiv entspannen und das Thema nicht mehr zum Thema machen.
Wie das geht? Die Schubladen müssen ein für alle Mal fest zugeknallt werden, die Schlüssel schmeißen wir am besten im hohen Bogen aus dem Fenster. Wenn Redaktionen beispielsweise dazu angehalten sind, regelmäßig Themen rund um Size-Zero und Plus-Size zu bringen, weil es so gut klickt – dann sollten wir schlichtweg einfach nicht mehr klicken. Warum auch? Ist hier noch irgendjemand überrascht, dass Frauen jeder Kleidergröße “einfach absolut umwerfend” in Bademode aussehen? Oder dass es tatsächlich möglich ist, dass eine Frau mit Kleidergröße 50 “ihren Körper liebt und dazu steht”? Es schadet auch nichts, die lieben Modelabels und Werbeagenturen immer mal wieder freundlich darum zu bitten, uns mit ihrem schizophrenen Frauenbild zu verschonen, was so überhaupt gar nichts mit unserer Realität zu tun hat.
Hier ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl: Die deutsche Durchschnittsfrau ist 1,65 Meter groß und trägt Kleidergröße 44. Die britische Durschnittsfrau ist 1,60 Meter groß und trägt ebenfalls Größe 44. Wir können den Blick noch auf zahlreiche weitere (First-World-)Staaten richten, wir werden weder Kleidergröße 0 noch Kleidergröße 50 als Durchschnittsgröße finden. Kleidergrößen-Randgruppen dürfen nicht mehr als Marketingtool missbraucht werden und Mode sollte bitte schön für alle Größen verfügbar sein. Ja, die Kilo-Diskussion war lang und wichtig, aber wenn wir jetzt endlich mal weiterkommen wollen, müssen wir die Diskussion beenden. Frauen kommen in jeglicher Dimension daher, das ist gut und schön, aber am schönsten ist: Frauen sind viel mehr als bloß Kilos.
Von Lisa van Houtem
Lisa van Houtem ist fast 32 Jahre alt und lebt mit kleinem Hauptstadt-Intermezzo schon immer in ihrer Heimatstadt Hamburg. Nach Stationen beim Hubert Burda und Gruner+Jahr Verlag fristet sie neuerdings ein Dasein als freiberufliche Journalistin und Autorin, was sie noch sehr genießt. Endlich hat sie die Zeit, ihr uraltes Blog lalila.de zu reanimieren, ein Psychedelic-Rock-DJ-Team mit ihrem Mann zu gründen sowie mit zwei Freundinnen das Online-Magazin ihrer Träume (be prepared!) auf die Welt zu bringen. Ansonsten ist sie gern dagegen und trägt nicht umsonst mit Stolz den Spitznamen Anti-Lieschen.