„I took a walk in the woods and came out taller than the trees.“
Es kommt vor, dass ich das turbulente Leben liebe, meistens sogar, aber manchmal, da geht es mir wie so vielen anderen, die der Stadt dann und wann überdrüssig sind, die fliehen wollen vor dem Lärm, der Hektik und zu viel Menschheit. Zwischen Stadtflucht und Landfrust versuche ich noch immer heraus zu finden, welcher Ort mit mir zusammen alt werden wird, ein kleiner oder ein großer, ob ich Nachbarn haben werde und wenn ja, wie viele. Ich versuche mich darauf zu besinnen, was richtig für mich ist und was falsch, was mir gut tut, aber immer dann, wenn ich meine, mich gefunden zu haben, verliere ich mich erneut im Wust der Möglichkeiten. Ich stelle mir dann vor, wie es wäre, einfach zu gehen. In die Berge oder zurück in die Heimat, ich frage mich, ob ich wirklich brauche, worauf ich gerade nicht verzichten will, ob Schönes nur Ablenkung oder wahre Freude ist, ob es mehr gibt als das hier. Wie wäre das, nicht arbeiten zu müssen, weil man kein Geld braucht, keine Verpflichtungen zu haben, aber Zeit, für sich selbst zu sorgen, irgendwo weit weg. Himmel oder Hölle?
Henry David Thoreau war so alt wie ich, nämlich 27, als er sich 1845 schließlich dazu entschied im Wald zu leben – frei von Konsum und bürgerlicher Etikette. Das aus dieser Erfahrung entstandene Buch „Walden“ gilt bis heute als Inspirationsquelle der 68-Generation, als Musen-Literatur von Tolstoi bis Gandhi und Muss für jeden Freigeist, der ab und zu an Weltflucht denkt.
„Die meisten Menschen sind (…) so sehr durch die unnatürliche, überflüssige, grobe Arbeit für das Leben in Anspruch genommen, dass seine edleren Früchte von ihnen nicht gepflückt werden können. (…) Tatsächlich hat der arbeitende Mensch Tag für Tag keine Muße zu wahrer Ganzheit. (…) Er hat keine Zeit etwas anderes zu sein als eine Maschine.“
Henry Thoreau studierte alte Sprachen in Havard und war ziemlich erfolgreich, bevor er sich auf den Weg Richtung innerer Befreiung durch das Ablegen äußerer Zwänge machte. Mir schwant also, als seien seine Gedanken von damals heute wieder relevanter denn je, wo doch alles immer schneller, höher, weiter sein muss und wir manchmal drohen, wie Ameisen im Regenschauer in Hektik zu ersaufen. Sich treiben lassen, 300 Seiten lang, kann da durchaus gut tun. Auch, wenn sich das Hirn beim Lesen nicht nur ein Mal verknotet. Thoreau war zweifelsohne ein Sonderling und die allermeisten von uns würden an der Einsamkeit, die er irgendwann zu lieben anfing, ersticken. Wenn man aber aufmerksam ist und mit einem dicken gelben Maker durch die Seiten malt, ist Walden nicht nur gut für den Kopf, sondern auch für die Seele:
„Die unaufhörliche Aufregung und Sorge vieler Menschen ist eine fast unheilbare Krankheitsform. Wir übertreiben die Wichtigkeit von allem, was wir tun, und wie vieles geschieht doch ohne uns!“
„Wir beeilen uns stark, einen magnetischen Telegraphen zwischen Maine und Texas zu konstruieren, aber Maine und Texas haben möglicherweise gar nichts Wichtiges miteinander zu besprechen. (…) Die Hauptsache besteht nicht darin schnell, sondern vernünftig zu sprechen.“
„Die Sitte, den besten Teil des Lebens dazu zu verwenden, um Geld zu verdienen, damit man sich während der geringst wertigen Lebenszeit einer fragwürdigen Freiheit erfreuen kann, erinnert mich an jenen Engländer, der nach Indien ging, um sich ein Vermögen zu machen, damit er nach England zurückkehren und dort ein Dichterleben führen könne. Er hätte nur von vornherein zur Dachkammer hinaufzusteigen brauchen.“
„Ich möchte um keinen Preis, dass irgend jemand meine Lebensweise befolge; denn abgesehen davon, dass ich, ehe er sie ordentlich erlernt hat, schon wieder eine andere für mich gefunden haben kann, wünsche ich auch, dass es soviel verschiedene Menschen als möglich in der Welt geben möge; ich möchte nur, dass jeder recht sorgfältig trachtete, seinen eigenen Weg zu finden und nicht statt dessen den seines Vaters, seiner Mutter oder seines Nachbarn.“
„Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen wurde.“
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