„Der Feminismus kotzt mich an“, faucht mir eine Braunhaarige im schwarzen Kostüm entgegen, während sie mit rot besohlten Stilettos nervös gegen den Barhocker klopft. „Guck dir nur mal an, was diese sogenannte Emanzipation aus mir gemacht hat – ich hab‘ Kohle, aber keinen Mann. Familie und Karriere, das ist der größte Scheiß, den ich je gehört habe.“ Ich bestelle uns einen zweiten Champagner auf Wodka und Eis, was soll der Geiz, hier kommen gerade schließlich die wichtigen Themen des Lebens auf die schwarz marmorierte Hoteltheke. Noch kann ich nicht ganz folgen, ein vierstündiges Meeting klebt mir an und in den Ohren fest, aber ich will es versuchen. Jetzt sitzen wir also wir da, Schulter an Schulter, Gläser klirren, Köpfe rauchen. Ein Streitgespräch. Und immer, wenn ich nicht mehr weiter weiß, beiße ich auf einem Eiswürfel herum und frage mich dabei, ob mein Sohn noch Zahnweh hat.
„Ganz ehrlich, ich habs ja versucht“, motzt die Frau neben mir, „aber wie soll man das denn schaffen – alles auf einmal sein, Hure und Hausfrau zugleich, Mutter, Kumpel, Geldeintreiberin.“ Gar nicht, sage ich. Zum allerersten Mal seit ich mir mit schwarzem Marker „Feministin“ auf den Oberschenkel kritzelte, so wie Tocotronic damals „wer’re gonna live forever“.
Es muss sich noch viel tun, Gender Pay Gap hier, Alltagssexismus, Androkratie und Schein-Gleichberechtigung da. Trotzdem, wir haben mehr Möglichkeiten denn je. Nun gibt es jene, die behaupten, wir seien noch längst nicht am Ziel. Das stimmt. Und trotzdem lauern schon die ersten Tücken – denn mit der Freiheit tauchen unerwartete Symptome auf. „Das Ding ist, wenn man alles darf, dann will man ja auch alles“, sagt die Schulter neben mir. „Ich weiß bloß überhaupt nicht, was ich wirklich will.“ Ich auch nicht, antworte ich. Ich mache einfach. Aber nichts hundertprozentig, schon gar nicht die Hausarbeit.
Die Spülmaschine zum Beispiel sehe ich eigentlich nur, wenn sie vor Sauberkeit schon wieder dampft, in meinem Kochtopf gart höchstens Miracoli und für echte Pasta bei Kerzenschein bin ich meist zu müde. An mindestens drei Tagen der Woche benehme ich mich in Wahrheit also wie der Vater aus Mary Poppins, dieser fiese Chauvinist, auf den Johanna von Koczians Text „das bisschen Haushalt“ wie die Faust aufs Auge passt. Dafür kann ich vierundsiebzig Witze auswendig aufsagen, plus Dialekte, und mag Star Wars. Homie – check. Wenn Hure sein heißt, regelmäßig nackend ins Bett zu fallen, dann kann ich das auch. Inklusive röchelnder Schnarchgeräusche.
Ob ich das denn alles echt gut finden würde, fragt die Schulter, die mich inzwischen mit zwei weit aufgerissenen Augen anstarrt; der Mann an ihrer Seite hätte sich aus ähnlichen Gründen nämlich gerade erst tobend verabschiedet, stoppelige Beine, immer das Handy am Ohr, pipapo. Und zwar mit den Worten „Dir ist deine Arbeit viel wichtiger als ich.“ Meine ehrliche Antwort: Ich finde das alles nicht immer außergewöhnlich gut, aber meistens sehr in Ordnung, zumindest für den Moment. Dass ich irgendwann einmal aber an einen Punkt gelangen könnte, an dem ich nur noch selbst gezüchtete Kirschen auf Sahnetorten für die Nachbarn drapieren und Serviettentechnik erlernen möchte, schließe ich keineswegs aus. Was unwahrscheinlich scheint, ist schließlich nicht unmöglich. „Oh Gott, diese Art von Frauen sind mein Alptraum“, raunt es mich von der Seite an. Ich hingegen halte es da eher wie Freeman: „Jeder Lebensstil muss akzeptiert werden, weil er ein Ausdruck dafür ist, dass Frauen frei entscheiden dürfen, was sie sein wollen, egal, ob sie Spitzenunterwäsche tragen wollen, wie die ‚Slutwalk-Bewegung‘ oder ob sie Prinzessin sein wollen.“ An Solidarität, vor allem Frauensolidarität, mangelt es unserer Spezies allerdings allzu gern, was im Angesicht des Konflikts, den wir gerade vor allem mit uns selbst ausfechten müssen, wenig förderlich ist.
Hausfrauen schimpfen über Rabenmütter, Karrierefrauen über Window-Color-Muttis und alle dazwischen suchen oft vergebens nach dem goldenen Mittelweg. Kind und Karriere, da ist man sich in der Sachbuchliteratur ohnehin einig, sind nämlich überhaupt nicht miteinander zu vereinbaren. Die drei prominentesten Beispiele: „Die Alles ist möglich Lüge. Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind“ von Susanne Garsoffky und Britta Sembach, „Geht alles gar nicht. Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können“ von Marc Brost und Heinrich Wefing und „Seid fruchtbar und beschwert Euch! Ein Plädoyer für Kinder – trotz allem“ von Malte Welding. Alles deutet also darauf hin, dass wir zu schnell sind für die Gesellschaft, die mit rundum neuen Familienmodellen längst nicht mehr nachkommt. Eine Lösung von Außen wird demnach noch einige Jahre auf sich warten lassen – wir müssen das Problem also von Innen anpacken und zwar schon am Ursprungs-Schopf, an dessen Anfang die Frage steht: Wollen wir überhaupt alles auf einmal sein oder laufen wir stattdessen Gefahr an ohnehin unerfüllbaren Ansprüchen zu ersticken?
Hier gelangen wir zurück zum Feminismus, oder besser: Der vierten Welle des Feminismus, die vor allem an Toleranzfähigkeit und die selbstbestimmte Entscheidungsfreiheit ihrer Protagonistinnen appelliert. Wir müssen nämlich überhaupt nicht alles sein, sondern nur das, was wir selbst wirklich sein wollen. Ob hinter dem Herd oder in der Chefetage ist ganz gleich, das eine ist nicht besser als das andere, wer ganz hart im Nehmen ist, kann auch beides sein, aber wieder: nicht alles. Das ist nicht schlimm, sondern menschlich.
„War der Mann an Ihrer Seite denn der Richtige?“, frage ich das starrende Schulterauge mit den Stilettos zum Abschluss. „Ach der, den wollte ich sowieso absägen.“ Na also. Ich tippe noch schnell eine SMS in die Heimat, verfluche den Babyzahn und sage für den nächsten Tag alles ab. Stattdessen: Spielplatzstunden zu Dritt. Weil ich weiß, dass man weder ewig lebt, noch alles immer schaffen kann.