Collage: Jane Wayne
Vergangene Woche bekam ich eine Mail, die mich besonders berührt hat, sie kam von Alina, einem ziemlich schlauen Mädchen, das sich große Gedanken über unsere Welt macht, darüber, was es bedeutet, ein Teenager im Jahr 2015 zu sein, eine Frau, ein Mädchen. Hier ist, was sie uns zu sagen hat:
Ich bin 18 Jahre alt, weiblich, lebe in einer netten kleinen Großstadt und hab lange Zeit friedlich mein Ding gemacht. Bis mir, zeitgleich mit der Entdeckung meiner Weiblichkeit, bewusst wurde, dass sie mir anscheinend nicht gänzlich allein gehört. Die ganze Welt hat Anteil daran, was es bedeutet, ein Mädchen zu sein und wie ich mich nun als Frau zu verhalten habe. Mein bester Freund und ich können kaum auf die Straße gehen, ohne dass mich zwei Stunden später eine Bekannte anschreibt: „OMG du wurdest mit xy händchenhaltend in der Stadt gesehen – was ist da los???“ Mädchen und Jungs können offensichtlich noch immer nicht befreundet sein. Geht nicht. Ein Ding der Unmöglichkeit. Wir sind einfach zu verschieden.
Für manche meiner männlichen Freunde bin ich die einzige weibliche Person (ausgenommen von der Mama vielleicht), die sich in ihrer Gegenwart normal verhält. Mädchen müssen vor Jungs immer noch lieb sein und nett und erst recht nicht besserwisserisch, zu stark oder gar irgendwie anders.
Mir fällt immer wieder auf, dass man sich der Existenz solcher Regeln nur wage bewusst ist, sofern man sich selbst nicht gern an selbige hält. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht noch immer gelten. Freunden am Telefon mit der Begründung „Ich habe vor, heute noch Sex zu haben.“ abzusagen, während andere menschliche Lebewesen in der Nähe sind, ist auch eher riskant. Frauen dürfen keine Sexualität haben – und Mädchen schonmal gar nicht. Sexualisiert wird aber trotzdem jedes einzelne meiner Körperteile.
Oben ohne zu baden oder zu bräunen, das würde ich mich niemals trauen. Selbst das eine schöne Bild von meinem Rücken im Bikini vor Felsen und Meer, darf nicht in das bedrohliche WorldWideWeb gelangen. „Ein Mädchen im Bikini zu sehen, muss sich ein Junge irgendwie verdienen“, warnt mich eine Freundin. Womit ich mir verdient habe, den ganzen Sommer von rotgefärbten Bierwampen beglückt zu werden, frage ich mich im Gegenzug schon länger.
Noch ein alter Hut: Der „Mann“ will immer nur „das Eine“. Das wird allen Geschlechtern von Kindesbeinen an eingetrichtert. Wenn für den männlichen (Bett-)Partner das „Eine“ dann aber ausnahmsweise nur Schlafen ist, bricht eine Welt zusammen. Da kann doch was nicht stimmen! der flunkert.
Die Dummheit der Homophoben bleibt mir ebenfalls ein Rätsel: Zwei sich liebende Männer sollen eklig sein, widernatürlich, werden beschimpft und ausgegrenzt. Zwei Frauen die sich lieben: naja, das geht natürlich auch nicht, aber zur Kategorie „Lesben“ auf youporn sagt man dann doch nicht nein. Ist ja schon irgendwie geil.
Es ist ein schmaler Grad, auf dem man sich als Mädchen bewegt. Auf der einen Seite sollen wir riesige Brüste, DEN Fitnesspo, eine Lücke zwischen den Oberschenkeln und krasse Schlüsselbeine haben (also Kurven UND Knochen – häh?) – wenn wir allerdings mal einen Knopf zu viel von der Bluse öffnen oder der Rock zwei Zentimeter hochrutscht, dann erregt das mehr Aufmerksamkeit als das letzte Erdbeben in Südostasien.
Auch wenn man ausgeht, muss man auf der Hut vor dem allzeit einsatzbereiten Schlampenstempel sein (siehe auch: Slut Shaming). Roter Lippenstift ist gefährlich – ebenso Rumgeknutsche mit fremden Menschen.
Als Mädchen darfst du niemals einfach zu haben sein. Niemals!! Bist du es doch, vielleicht, weil du ganz einfach Spaß daran hast, endest du selbstredend als alte einsame Alleinstehende, bist ständig traurig und tröstest dich mit viel zu vielen Katzen, die dich annagen werden, sobald du irgendwann tot umkippst. Logisch.
So wurde mir also Schritt für Schritt bewusst, dass die Gleichberechtigung von Frau und Mann noch ganz schön lahmt. Etwa zeitgleich habe ich angefangen, mich intensiver mit Feminismus zu beschäftigen. Dass Frauen und Mädchen einen Großteil der Menschen unterhalb der weltweiten Armutsgrenze ausmachen und ziemlich häufig nicht Lesen und Schreiben können, Beschneidungen an der Tagesordnung stehen und Vergewaltigungen oft noch als Kavaliersdelikte abgetan werden, sollte mittlerweile auch in den letzten winzigen patriarchalen Gehirnen angekommen sein. Dass man den gleichen Frauen nun wirklich keinen Schaden zufügt, indem man den Mund aufmacht und etwas gegen diese Missstände unternimmt, anscheinend nicht. Ganz zu schweigen von den Missständen, die auch hier noch immer herrschen. Uns gehts ja vergleichsweise gut, warum also beschweren.
Für mich persönlich ist das Auffälligste am Feminismus derzeit die Welle an Hass, die ihren Vertreter_innen entgegen schwappt.
„Warum?“, fragte ich mich mit jugendlicher Neugier. Warum können sich so viele Menschen im 21. Jahrhundert nicht damit abfinden, dass sie sich im Grunde durch nichts fundamental von anderen Menschen unterscheiden? Dass Privilegien abgeschafft werden müssen. Dass dazu aber irgendwer den Mund aufmachen muss.
Das war der Anfang meines Projektes „GLEICH.“.
Ich wollte einen Kurzfilm drehen, bestehend aus Menschen, die erklären, was Feminismus für sie überhaupt bedeutet. Im besten Fall wäre noch eine Fotoreihe entstanden, welche selbsterklärte Feminist_Innen zeigt. Ich wollte Menschen auf der Straße finden, statt gezielt schon bekannte Gesichter abzugrasen.
Das Ende meines Projektes „GLEICH.“ war, dass sich niemand, aber wirklich niemand zum Thema Feminismus äußern wollte. Dabei benötigen wir das doch am Dringendsten: einen Diskurs.
Die größte Weisheit in meinem bisherigen kurzen Leben, kommt nämlich von meinem Papa: „Es gibt überall sone und solche.“ Klingt simpel, ist aber ebenso wahr.
Es gibt Männer, die wollen eine dumme Frau.
Und welche, die wollen das nicht.
Es gibt Frauen, die wollen einen Mann, der stets die Initiative ergreift und zeigt, wo es lang geht.
Und welche, die wollen das nicht.
Es gibt Frauen, die wollen eine Frau.
Und es gibt Männer, die wollen keine.
All diese unterschiedlichen Persönlichkeiten sind gleich, sie alle sind nämlich vor allem eins: Menschen. Genau das sagt für mich der Feminismus aus. Es gibt sone und solche und wer sich selbst als denkend bezeichnet, sollte nicht nur Toleranz, sondern auch Respekt zeigen. So schwer ist das doch nicht. Sonst hält man sich doch auch allzu gern an Regeln:
Ganze Bibliotheken sind inzwischen vollgeschrieben worden mit absurden Lehrbüchern. Was du tun sollst. Wie du sein sollst. Was du anziehen sollst, wenn du eine Frau oder ein Mädchen bist. Und immer geht es ums „müssen“.
Dabei musst du gar nichts – außer dir darüber bewusst werden, was du willst. Wer du sein willst. Für was du einstehen willst. Wenn man kurz darüber nachdenkt, fällt die Antwort sogar ganz leicht: Wir sollten alle frei sein dürfen. Deshalb bin ich Feministin. Und stelle jetzt mein Bikinibild auf Facebook.
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Von Alina Sonnefeld.