Ich bin Veganerin und kaufe so oft wie möglich fair Produziertes und Umweltfreundliches. Bin ich deshalb ein besserer Mensch? Nein, ich bin vielleicht ein konsequenterer Mensch. Vielleicht als kleinen Aufatmer, für all diejenigen, die denken, es kommt jetzt ein Oberlehrervortrag über die Wichtigkeit von To-do-Zetteln (diese liebe ich im Übrigen sehr) oder wie viel Zeit vom Tag noch übrig ist, wenn man früh aufsteht (it’s true, though): Für mich geht es bei Konsequenz vor allem um Gleichgewicht und Zufriedenheit.
Was man tun muss, ist die Sorge abzulegen, dass Konsequenz bedeutet, alles richtig zu machen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe Konsequenz mit Perfektion verwechselt und bin ganz schön unglücklich darüber geworden. Heute weiß ich es besser, versuche nicht mehr 100 Prozent sein zu müssen und bin konsequenter als jemals zuvor.
Ich gestalte mein Leben wahrscheinlich rücksichtsvoller und ethischer als viele andere Menschen. Ich gehe nicht in den Zoo, ich kaufe nichts mit Wolle, Leder, Seide, Horn, Muschel oder Pelz (auch nicht Second Hand), ich esse keinerlei tierische Produkte, ich kaufe nur bei großen Modehäusern, wenn ich das Gefühl habe, dass deren nachhaltigen Bemühungen wenigstens halbwegs ernst gemeint sind, „Made in Bangladesh“ oder Vergleichbares trage ich am liebsten gar nicht oder nur in „fair“, ich kaufe bio und wenn möglich auch lokal und ich konsumiere in Maßen. Ich missioniere nicht, betone aber, wenn gefragt, meine Meinung zu oben genannten Themen. Ich bin bei Tierschutz- und Umweltorganisationen Mitglied, ich bin Herausgeberin eines Magazins, das sich mit den schönen Seiten des veganen und nachhaltigen Lebens beschäftigt. Für mich ist das alles eine Art Aktivismus und ein großer Teil meines Lebens.
Warum ich das mache? Herkömmliche Wege zu konsumieren und auf diesem Planeten zu existieren, haben mich unglücklich gemacht. Ich habe eine Last auf mir gespürt, eine Art Schuldgefühl, da ich spätestens in der Oberstufe verstanden habe: Die Nachfrage bestimmt das Angebot und nicht andersrum. Produkte und Dienstleistungen, die unschöne Entstehungsgeschichten haben, werden so lange angeboten, bis sie niemand mehr in Anspruch nimmt oder kauft. Ich wollte diese Systeme mit meinem Kaufverhalten nicht mehr unterstützen. Zuerst habe ich Biolebensmittel gekauft, dann nachhaltige Kleidung und schließlich wurde ich Veganerin. Ich war immer der 0-oder-1-Typ, schwarz oder weiß, ganz oder gar nicht. Lange Zeit war für mich Konsequenz gleichbedeutend mit Perfektion und ich wollte alles sofort und zu 100 Prozent umsetzen.
Ich habe meine Lieblingspullover nicht mehr getragen und viel Geld für ethische Kleidung ausgegeben, in der ich mich aber nicht immer wohlgefühlt habe. Ich bin in drei Supermärkte geradelt, um einen bestimmten Biosalat zu kaufen. Ich habe Schuhe getragen, die manchmal weder schön noch bequem waren, dafür aber ohne tierischen Kleber und in Europa hergestellt. Ich habe nicht mehr gebadet, weil das zu viel Wasser verbraucht. Ich habe keine Kerzen mehr in der Wohnung gehabt, weil ich keine ohne Palmöl gefunden habe. Ich hatte zwei Ledertaschen, von denen ich eine verkauft und die andere verschenkt habe. Ich habe mir PETA Videos angeschaut und jedes Mal geweint. Versteht mich nicht falsch:
Alles was ich aufgezählt habe, sind theoretisch gute, ja vielleicht sogar die richtigen, Entscheidungen. Aber für mich waren es Entscheidungen, die ich nicht selber getroffen habe und von denen ich nicht wirklich überzeugt war, sondern die ich getroffen habe, weil ich dachte, dass es die 100prozentig richtigen Entscheidungen sind, das man es so und nicht anders machen darf. Ich wollte alles richtig machen und mit einem utopischen Ideal mithalten, von dem ich nicht mal glaube, dass es überhaupt jemand erfüllt. Es war fast so, dass ich mich schlechter gefühlt habe als zu der Zeit, als ich alles einfach so ohne nachzudenken konsumiert habe. Etwas richtig machen zu wollen und das Richtige zu tun, sind eben manchmal zwei verschiedene Sachen.
Heute weiß ich das und lasse mich nicht mehr davon beirren, was man zum Beispiel als Veganer angeblich „darf“ und was nicht. Wann man von fair sprechen darf und wann nicht. Ob Konsum nun etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist. Ob ich mir neue Bettwäsche kaufen oder das Geld lieber spenden sollte. Und ob ich bei H&M Conscious einkaufen darf, weil viele ganzheitlich nachhaltigen Labels keine Produkte anbieten, die mir richtig gut gefallen. Ich schalte die Stimmen in meinem Kopf jetzt aus und versuche zunächst von der Entscheidung auszugehen, die für die Umwelt, die Tiere und meine Mitmenschen das Beste wäre. Fühle ich mich mit dieser Entscheidung wohl und trägt sie dazu bei, dass es mir gleich gut oder besser geht?
Das wäre der Idealfall, und tritt er ein, freue ich mir ein Loch in den Bauch und mache dann genau das. Was aber, wenn es gerade keine 100% veganen und nachhaltigen Schuhe gibt, in denen ich mich wohlfühlen kann? Wenn der nachhaltige Strickpullover so geschnitten ist, dass er den Geschmack der vermeintlich breiten Masse trifft, aber gerade eben nicht zu mir passt? Was, wenn der pflanzliche Biopudding einen leichten Graustich hat und pappig schmeckt, mich vom Regal gegenüber aber der vegane Pudding mit Konservierungsstoffen und aus chemisch gedüngten Soja anlacht? Wenn man reist und es so spät ist, dass nur noch Schnellrestaurants offen haben? Dann, ja dann verzweifele ich nicht mehr, sondern wähle eben die Alternative, die am zweitoptimalsten ist. Ich kaufe Schuhe aus Kunstleder, von denen ich so sicher wie möglich bin, dass sie nicht mit tierischem Kleber gefertigt wurden, von denen ich aber auch weiß, dass sie weder nachhaltig noch fair sind, bei Kleiderkreisel oder Second Hand. Ich kaufe einen Strickpullover aus der Conscious Collection von H&M und nehme den veganen Nichtbiopudding. Am Flughafen esse ich auch mal Pommes bei McDonalds und nein, ich reise nicht nur mit Zug und Bus.
Ich habe Freunde, die nicht vegan sind und für die Nachhaltigkeit ein Fremdwort ist. Das finde ich nicht gerade großartig, aber natürlich bin ich trotzdem mit ihnen befreundet. Ich hatte ein Fairphone und habe jetzt wieder ein iPhone. Und ich glaube, dass ich heute trotzdem konsequenter bin, als ich es jemals war.
Das etwas bedrohliche Wort Konsequenz mag den ein oder anderen an elterlich verhängten Hausarrest oder Nachsitzen erinnern. Im eigentliche Sinne ist Konsequenz aber etwas wunderbares, ja gar romantisches: Es bedeutet Unbeirrbarkeit. Sich nicht beirren lassen, ist für mich ein Ausdruck von Stärke, von Emanzipation, von Unabhängigkeit und Selbstvertrauen. Es geht dabei um Gleichgewicht und den direkten Weg zu einem Zustand, der wertvoller ist als Glück und Freude: Zufriedenheit. Echte Zufriedenheit ist vielleicht das höchste Gut, was man in einer westlichen Gesellschaft wie unserer erlangen kann. Zufriedenheit kann man sich nicht kaufen, sie ist unbezahlbar. Ich habe für mehr Zufriedenheit lernen müssen, die Angst vor vermeintlicher Inkonsequenz abzulegen. Denn wie fälschlicherweise irgendwie in unsere Gehirne gebrannt, muss man nicht alles richtig machen, um konsequent zu sein. Ganz im Gegenteil.
Ich habe keine Angst mehr, etwas nicht gut genug zu machen, wenn es ins große Bild passt. Ich mache so viel ich kann, ohne mich oder mein Leben aufzugeben, denn dann bin ich in Nullkommanichts an einem Punkt, an dem ich keine Motivation, keine Freude und keine Energie mehr habe, um mich kontinuierlich zu bewegen und zu entwickeln. Außerdem habe ich beschlossen, Konsequenz und Unbeirrbarkeit unmittelbar mit positivem Verhalten und Entscheidungen zu assoziieren. Konsequent das objektiv Falsche zu tun, ist in meinen Augen nicht mehr und nicht weniger als Ignoranz. Nichts hat mir mehr Stabilität, Rückhalt und Lebensfreude gebracht, als konsequent zu sein und dem zu folgen, was ich ganz tief in mir drin für richtig und erstrebenswert erachte: anderen Lebewesen und dem Planeten auf dem ich leben darf, so wenig wie möglich zu schaden, sie zu ehren und zu respektieren. Denn Zufriedenheit ist ein viel schöneres Gefühl als Selbstgerechtigkeit.