Interview-Tipp // Li Edelkoort
„Kleidung statt Mode, denn Mode ist tot“

07.12.2015 Mode, Gesellschaft

fashion is dead„Mode wie wir sie kennen ist tot“, behauptet Trendforscherinnen-Urgestein Li Edelkoort. Mit ihrem „Anti-Fashion-Manifesto“ hatte sie Anfang des Jahres für Kopfzerbrechen in der Branche gesorgt, die einen nickten eifrig, andere hingegen distanzierten sich halb eingeschnappt, halb auf bessere Zeiten hoffend von den gewagten Thesen der Niederländerin. Wir warfen unsere Meinung zum Thema bereits an dieser Stelle in Diskussions-Topf, schüttelten hin und wieder den Kopf, verstanden dennoch das Dilemma und blieben am Ende trotzdem optimistisch. Nun stolperten wir allerdings über ein taufrisches Interview, das Edelkoort jüngst einem Schweizer Frauen-Magazin gab – das Fazit: Wir verstehen jetzt ein bisschen besser, worum es dem 1950 geborenen Mutterorakel in ihrem Manifest wirklich geht. „Alles davon ist Provokation. Weil ich will, dass wir uns ändern. Ich glaube, wir haben noch eine Chance auf Genesung“, verrät sie da etwa. Und sie hat Recht. Aus lauter Angst vor dem Ungewissen, vor dem Scheitern und der Wirtschaft, hat die Modebranche irgendwann ihren Mut verloren. Mit der geradezu perfektionierten „Nummer Sicher“ begibt man sich zwar nicht auf Glatteis, ebenso wenig aber auf unbekanntes, neues, visionäres Terrain. So weit, so verständlich. Ganze schweigen von perversen Marketing-Mechanismen, sich beinahe selbst überschlagenden Zeitplänen und dem Muss einer nachhaltigeren Gesellschaft. Aber was ist mit den Alessandro Micheles dieser Welt? Der neue Chefdesigner hinter Gucci macht vieles anders. Seine letzte Kollektion, die das Unternehmen binnen einer 20-minütigen Show auf links krempelte, wirkte wie eine surreale Zusammenkunft zwischen Großmutter Paschulke und Jimmy Hendrix, im besten aller Sinne. Keines der beiden Elemente ist zwar plötzlich aus unbekannten Himmeln zu uns herab geregnet, zusammen genommen waren sie jedoch noch nie so stark. Und irgendwie auch neu, dynamisch, zukunftsweisend, ansteckend und laut. Dennoch: Reden wir hier von Kleidung, statt von Mode?

So sieht es jedenfalls Edelkoort. Wir würden in Vintage und der Sehnsucht nach besseren Zeiten ersaufen. Mode sei, „wenn ein Designer in einer bestimmten Epoche es schafft, den Zeitgeist in Form und Allüre einzufangen. Er transformiert den Körper und damit unser Wesen: wie wir flirten, gehen, sitzen, unsere Haare machen.“ Vielleicht macht Michele also modische Kleidung. Oder kleidsame Mode? Fragt man die Trendforscherin, sucht man zumindest nach modische Menschen vergebens. Die gebe es längst nicht mehr.

Ganz anders habe es in den Achtzigerjahren ausgesehen: „(…)weil der Begriff «modisch» nicht nur durch das Kleidungsstück definiert wurde, sondern durch die Dynamik, die dich damit umgeben hat. Es hat deine Haltung, deinen Gang, deinen Ausdruck verändert, und das alles war modisch.“ Vielleicht ist Mode heute also einfach zu einer viel persönlicheren Angelegenheit geworden. Gut möglich, dass die Masse keine Leidenschaft mehr spürt und sich wenig in das hinein fühlt, was dort gerade am Körper hängt – eine Pauschalisierung dieses Umstands halte ich jedoch für gänzlich falsch. Es gibt sie noch, die modischen Menschen, bloß sind sie ganz gewiss sehr rar gesät und vom Aussterben bedroht. Weil Mode (zu Unrecht) plötzlich so nichtig erscheint, weil sie zu großen Teilen zu einem Wegwerfprodukt der Fast Fashion Industrie verkommen ist.

Ein Ansatz, der mir sehr gefällt: „(…) die jungen Leute wollen zusammenarbeiten. Im Kollektiv. Individualität existiert längst nicht mehr. Die jungen Leute geben ihr individuelles Talent der Gruppe, dann wird es geteilt.“ Überhaupt sei Teilen das neue Ding. Konzepte wie „Car2go“ oder „Airbnb“ geben Edelkoort Recht. One Man Shows sind überholt, statt als einsamer Wolf sein Glück zu versuchen, profitiert man heute lieber von den Stärken einer Gruppe. So auch das Hype-Brand „Vetements“, das es mit einer einzigen Kollektion geschafft hat, sich an die Spitze der Begehrlichkeiten zu manövrieren: Jedenfalls an jene des „inner circles“ – ein Phänomen, das ich noch zu verstehen versuche. Li Edelkoort hingegen findet, das Kollektiv habe den Zeitgeist gänzlich verstanden. Eine Feststellung, die mich stutzig macht, habe ich das Treiben der Designer rund um Demna Gvasalia, der unter anderem bei Margiela gelernt hat, bisweilen viel eher als geschickte Persiflage interpretiert, als gewollte Übertreibung der pervertierten Branche. Ein Hoodie für 1000€ gehört aber weiterhin zu einer Zukunft, vor der es mir graust.

Und was ist mit der Männermode? Die habe ein ganz anderes Potential: „Der Mann wird, was unsere Gesellschaft als weiblich bezeichnet. Aber es heißt nur, dass der Mann endlich seine weichere Seite akzeptieren und lieben lernt. Das hat Konsequenzen für die Mode: Transparente Anzüge, Spitze – Dinge, die seit dem 17. Jahrhundert für Männer verboten waren. Alles dreht sich heute mehr um Männer als um Frauen.“ Keineswegs aber um Geschlechter, hier finde gerade nämlich eine Befreiung statt. Schön klingt das. Und schlau. Und trotzdem vermag Li Edelkoort es trotz ihrer wahnsinnigen Expertise nicht, mich vollends von ihrem Gedankengut zu überzeugen. Es gibt schlichtweg zu viele Perspektiven für eine einzige Antwort. Dass die Modebranche sich ändern muss, steht außer Frage. Bloß frage ich mich, wann wir endlich aufhören, immer nur darüber zu reden.

Hier lang geht es zum kompletten Interview.

 

6 Kommentare

  1. Julia-Maria

    Und dann gibt es Leute, die sich in dem glatten Nude-Grau mit einfachen Schnitten ganz fantastisch wohl fühlen und sich fragen, warum sich etwas ändern muss (natürlich, wegen „der Wirtschaft und so“) und wie eigentlich die von überall laut werdende Forderung nach Nachhaltigkeit in der Mode damit einhergehen kann, mich mindestens 4 mal jährlich neuzuerfinden. Vielleicht habe ich einen modischen Miesepeter gefrühstückt heute, denn deine Texte – und auch diesen – finde ich sprachlich toll, lasse mich gerne von deinen Argumenten überzeugen. Vielleicht erscheint es mir auch einfach nur ob den aktuellen Herausforderungen des menschlichen Miteinanders in Deutschland und dem Rest der Welt zu nichtig so elaboriert über die Zukunft der Mode nachzudenken, während ich mir nicht mal sicher bin, ob wir in ein paar Monaten, Jahren, Jahrzehnten nicht über viel existenziellere Probleme grübeln werden.

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    1. Nike Jane Artikelautorin

      Liebe Julia-Maria, ich verstehe dich, aber hier ein kleines Zitat als Antwort:
      „(…) die Frage stellt sich nicht, da wir von einer 700-Milliarden-Industrie sprechen, die einen der wichtigsten Sektoren der Weltwirtschaft darstellt. Sie schafft Arbeitsplätze und Bekleidung für Menschen überall auf der Welt, beschäftigt mehr als 25 Millionen Arbeiter in mehr als 100 Ländern. Es ist zu einfach, sie als ‚abgesondert‘ zu betrachten.“

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      1. Julia-Maria

        Liebe Nike, ich weiß, ich weiß. Ich sage ja – und das tatsächlich ganz ernst – Wirtschaft und so. Unter der von dir beschrieben Zielstellung fährt die Textilindustrie mit dem Auftrag Kleidung statt Mode zu produzieren vielleicht nicht rechtens, derzeit aber richtig: Das machen, was Absatz schafft. Trotzdem wäre mir eine Mode lieber, die sich durch Qualität und faire Produktion zu angemessenen aka höheren Preisen auszeichnet und gleichzeitig nicht nur physisch langlebiger ist – sondern auch das Tragen-wollen-weil-modern betreffend eine höhere Halbwertszeit als eine Saison hat. Ob das nun als avantgardistische Neuschöpfungen oder Orientierung am Schon-da-gewesenen-Design daher kommt, wäre mir dann als zugegeben sehr mainstreamiger Modemensch egal bzw. es wäre mir erst eine darauf folgende Diskussion wert. Andererseits könnte mein Noch-vormittags-Horizont auch ein wenig verkürzt sein, denn ich weiß von Forschungsprojekten wie InNaBe, dass Design und Produktion in einer Modeindustrie mit Zukunft eben nicht getrennt betrachten werden können.
        So oder so, an deinen Texten schätze ich, dass sie oft zum Nachdenken anregen.

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  2. maja

    Ich empfinde die Aussagen Li Edelkoorts immer als sehr treffend und gut beobachtet. Ohne die riesige Kapitalismus Keule schwingen zu wollen, so ganz lässt sich das in diesem Fall nicht vermeiden, produziert wird für den globalen Markt, der dank Socal-Media, Streetstyle usw. mehr und mehr einheitlich wird. Im Grunde war es nach der vorherrschenden Minimalismusphase klar, dass sie von etwas abgelöst wird, das „ganz anders“ ist, da hat Gucci insofern den Zeitgeist getroffen. Der Begriff Kleidung ist da meiner Meinung nach sicherlich passender als Mode, schließlich geht es in erster Linie um Produkte, die sich möglichst gut verkaufen und nicht um die Welt/Kunst/Gesellschaft, die Mode vielleicht früher transportiert hat (und transportieren sollte?).
    Dein Satz „Vielleicht ist Mode heute also einfach zu einer viel persönlicheren Angelegenheit geworden.“ klingt in meinen Ohren ganz ironisch, meiner Meinung nach ist genau das Gegenteil der Fall (habe ich schon öfters angemerkt und empfinde ich auch in andern Bereichen des Lebens so), für viele Menschen ist heutzutage doch kaum noch etwas persönlich, alles wird öffentlich gemacht, geteilt, fotografiert usw. In letzter Zeit ist es wichtig und cool Feminist zu sein, Lebensmittelunverträglichkeiten zu haben, vegan zu leben usw., neuerdings werden Bücher wieder in den Fokus gerückt. Wir haben also im Rahme eines Modeblogs zuerst unser Äußeres „verkauft“, dann unser Essen, unsere Wohnungen, unsere Freunde/Kinder/Familien, jetzt ist unser Geist/Intellekt dran. Dabei wächst die soziale Kontrolle immer mehr, Andersartgkeit wird dadurch einerseits immer mehr zum Makel, fältt aber andereseits auch mehr auf, sofern jemand den Mut hat dazu zu stehen, aus Mode wird somit Konformität (gestern Celine, heute Gucci, morgen…). Die Masse bestimmt nun mal den Markt, und dieser füttert sie mit Kleidung, die er alle paar Monate als Mode verkauft, Trend nennt sich das und alle springen auf und kaufen, kaufen kaufen ohne einen andern Wert darin zu sehen.

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  3. Esra

    Ich habe mal einen Philosophieprofessor gefragt: „Meinen Sie, die Menschheit bleibt im Laufe der Geschichte immer dieselbe? Oder ändert sie sich?“ Er sagte: „Hm, ich glaube, sie ändert sich schon. Aber SEEEEEHR langsam“
    .
    Ich finde, das trifft es ganz gut! Gerade, was positive, vernünftige Veränderungen angeht. So auch in der Mode!
    Danke für den tollen Post!
    lg
    Esra

    http://nachgesternistvormorgen.de/

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