„Mode wie wir sie kennen ist tot“, behauptet Trendforscherinnen-Urgestein Li Edelkoort. Mit ihrem „Anti-Fashion-Manifesto“ hatte sie Anfang des Jahres für Kopfzerbrechen in der Branche gesorgt, die einen nickten eifrig, andere hingegen distanzierten sich halb eingeschnappt, halb auf bessere Zeiten hoffend von den gewagten Thesen der Niederländerin. Wir warfen unsere Meinung zum Thema bereits an dieser Stelle in Diskussions-Topf, schüttelten hin und wieder den Kopf, verstanden dennoch das Dilemma und blieben am Ende trotzdem optimistisch. Nun stolperten wir allerdings über ein taufrisches Interview, das Edelkoort jüngst einem Schweizer Frauen-Magazin gab – das Fazit: Wir verstehen jetzt ein bisschen besser, worum es dem 1950 geborenen Mutterorakel in ihrem Manifest wirklich geht. „Alles davon ist Provokation. Weil ich will, dass wir uns ändern. Ich glaube, wir haben noch eine Chance auf Genesung“, verrät sie da etwa. Und sie hat Recht. Aus lauter Angst vor dem Ungewissen, vor dem Scheitern und der Wirtschaft, hat die Modebranche irgendwann ihren Mut verloren. Mit der geradezu perfektionierten „Nummer Sicher“ begibt man sich zwar nicht auf Glatteis, ebenso wenig aber auf unbekanntes, neues, visionäres Terrain. So weit, so verständlich. Ganze schweigen von perversen Marketing-Mechanismen, sich beinahe selbst überschlagenden Zeitplänen und dem Muss einer nachhaltigeren Gesellschaft. Aber was ist mit den Alessandro Micheles dieser Welt? Der neue Chefdesigner hinter Gucci macht vieles anders. Seine letzte Kollektion, die das Unternehmen binnen einer 20-minütigen Show auf links krempelte, wirkte wie eine surreale Zusammenkunft zwischen Großmutter Paschulke und Jimmy Hendrix, im besten aller Sinne. Keines der beiden Elemente ist zwar plötzlich aus unbekannten Himmeln zu uns herab geregnet, zusammen genommen waren sie jedoch noch nie so stark. Und irgendwie auch neu, dynamisch, zukunftsweisend, ansteckend und laut. Dennoch: Reden wir hier von Kleidung, statt von Mode?
So sieht es jedenfalls Edelkoort. Wir würden in Vintage und der Sehnsucht nach besseren Zeiten ersaufen. Mode sei, „wenn ein Designer in einer bestimmten Epoche es schafft, den Zeitgeist in Form und Allüre einzufangen. Er transformiert den Körper und damit unser Wesen: wie wir flirten, gehen, sitzen, unsere Haare machen.“ Vielleicht macht Michele also modische Kleidung. Oder kleidsame Mode? Fragt man die Trendforscherin, sucht man zumindest nach modische Menschen vergebens. Die gebe es längst nicht mehr.
Ganz anders habe es in den Achtzigerjahren ausgesehen: „(…)weil der Begriff «modisch» nicht nur durch das Kleidungsstück definiert wurde, sondern durch die Dynamik, die dich damit umgeben hat. Es hat deine Haltung, deinen Gang, deinen Ausdruck verändert, und das alles war modisch.“ Vielleicht ist Mode heute also einfach zu einer viel persönlicheren Angelegenheit geworden. Gut möglich, dass die Masse keine Leidenschaft mehr spürt und sich wenig in das hinein fühlt, was dort gerade am Körper hängt – eine Pauschalisierung dieses Umstands halte ich jedoch für gänzlich falsch. Es gibt sie noch, die modischen Menschen, bloß sind sie ganz gewiss sehr rar gesät und vom Aussterben bedroht. Weil Mode (zu Unrecht) plötzlich so nichtig erscheint, weil sie zu großen Teilen zu einem Wegwerfprodukt der Fast Fashion Industrie verkommen ist.
Ein Ansatz, der mir sehr gefällt: „(…) die jungen Leute wollen zusammenarbeiten. Im Kollektiv. Individualität existiert längst nicht mehr. Die jungen Leute geben ihr individuelles Talent der Gruppe, dann wird es geteilt.“ Überhaupt sei Teilen das neue Ding. Konzepte wie „Car2go“ oder „Airbnb“ geben Edelkoort Recht. One Man Shows sind überholt, statt als einsamer Wolf sein Glück zu versuchen, profitiert man heute lieber von den Stärken einer Gruppe. So auch das Hype-Brand „Vetements“, das es mit einer einzigen Kollektion geschafft hat, sich an die Spitze der Begehrlichkeiten zu manövrieren: Jedenfalls an jene des „inner circles“ – ein Phänomen, das ich noch zu verstehen versuche. Li Edelkoort hingegen findet, das Kollektiv habe den Zeitgeist gänzlich verstanden. Eine Feststellung, die mich stutzig macht, habe ich das Treiben der Designer rund um Demna Gvasalia, der unter anderem bei Margiela gelernt hat, bisweilen viel eher als geschickte Persiflage interpretiert, als gewollte Übertreibung der pervertierten Branche. Ein Hoodie für 1000€ gehört aber weiterhin zu einer Zukunft, vor der es mir graust.
Und was ist mit der Männermode? Die habe ein ganz anderes Potential: „Der Mann wird, was unsere Gesellschaft als weiblich bezeichnet. Aber es heißt nur, dass der Mann endlich seine weichere Seite akzeptieren und lieben lernt. Das hat Konsequenzen für die Mode: Transparente Anzüge, Spitze – Dinge, die seit dem 17. Jahrhundert für Männer verboten waren. Alles dreht sich heute mehr um Männer als um Frauen.“ Keineswegs aber um Geschlechter, hier finde gerade nämlich eine Befreiung statt. Schön klingt das. Und schlau. Und trotzdem vermag Li Edelkoort es trotz ihrer wahnsinnigen Expertise nicht, mich vollends von ihrem Gedankengut zu überzeugen. Es gibt schlichtweg zu viele Perspektiven für eine einzige Antwort. Dass die Modebranche sich ändern muss, steht außer Frage. Bloß frage ich mich, wann wir endlich aufhören, immer nur darüber zu reden.
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