Die Fashion Week löst in partizipierenden Frauen irrationale Ängste und Hoffnungen aus. Einerseits ist da die Furcht davor, in der mondänen bis Techno-Party-tauglich gekleideten Masse unterzugehen wie altes Stück Brot im Supermarktregal, auf der anderen Seite winkt die Hoffnung auf Beachtung. Das Dilemma, was sich daraus ergibt, also aus der übertriebenen Auseinandersetzung mit potenziellen Outfits, kann durchaus zur geistigen Umnachtung führen, ich nenne es die „Papageien-Krankheit“, die sich per Whats App Chat mit der besten Freundin relativ präzise mit der Aneinanderreihung von Scheißhaufen ausdrücken lässt.
Ich kenne das gut. Am Wochenende blieb mir ein knappes Zeitfenster von einer ganzen Stunde, dir mir allein zur Verfügung stand, ich schwang mich also auf meinen eingeeisten Drahtesel und kroch Richtung Second Hand Laden – zur Rettung meiner Ehre und der noch nicht vorhandenen Garderobe. Dreißig Minuten später schälte ich mich in der Umkleidekabine in eine Karo-Hose, die nur zum Stehen gedacht ist, später zeigte sich, wieso: Das Miss Sixty-Logo war zwar verblasst, aber noch deutlich genug lesbar, um eine erste Ahnung davon zu bekommen, wie das hier enden sollte. Immerhin ohne String-Tanga-Blitzer, heute schmeißt sich die Dame von Welt schließlich in Panties. Egal, Gucci sagt, das kann man jetzt tragen, jedenfalls das Muster. Ich knallte noch ein braun-geblümtes Samtkleid auf den Kassen-Tresen, ein Seidentuch, das ich in Gedanken schon zur aristokratischen Schleife band und eine grün-gemusterte Lurex-Bluse aus der LSD-getränkten Glam-Rock-Hölle, die ich mir unter normalen Umständen noch nicht einmal zugelegt hätte, um den Most-Ugly-Outfit-Award des Jahres zu kassieren. Glückselig und nach Anti-Motten-Spray duftend verließ ich schließlich das Rümpel-Paradies, um dreiundzwanzig Minuten später festzustellen, dass ich der größte Papagei von allen zu werden drohte. 37 Euro für ein bisschen Extravaganz wurden nach dem Ausbreiten und Beäugen der Beute in heimischen Gefilden ganz schnell zu 37 Euro für zwölf Scheißhaufen an Sarah Jane. Es ist kompliziert, sich nicht selbst zu verlieren, wenn man einem Anlass entsprechend gekleidet sein will, der ohnehin in zweifelhaften Stilregeln ersäuft. Die Regel lautet nämlich schlicht wie behämmert: Sei irgendwie trendy. Weil keine Beschreibung seit jeher mehr Kotzbröckchen durch meinen Körper jagt als exakt jene, versuche ich mich beim Zurechtlegen meiner Outfits regelmäßig an Youtube-Videos zu erinnern, die vorzugsweise von der VICE veröffentlicht werden und alle Jahre wieder verwirrte Fashion Week Besucher_innen in noch verwirrterer Kleidung (meist irgendwas mit Federn oder Goa-Codes dran) zeigen und daran, dass ich wirklich nicht dazu gehören will. Das klappt allerdings nur im Falle der kompletten Kleiderschrank-Kapitualtion, immer dann, wenn ich den Tag vor dem Laufsteg am Ende im schwarzen Rollkragenpullover verbringe. Aus Selbstschutz eigne ich mir dann außerdem eine Fickt-euch-alle-Attitüde an, um zu beweisen, dass ich extrem gelassen, Sartre-Fan und très parisienne bin. Am Arsch. Ich bin entweder einfallslos oder komplett drüber, dazwischen bleibt nicht viel Platz für guten Geschmack. Ein Umstand, der nicht selten an der Treffsicherheit meiner Berufswahl bohrt, man könnte ja eigentlich meinen, diese Königsdiziplin sei nichts weiter als ein kleines Mascarpone-Häubchen auf der glutenfreien Pizza des Fashionista-Hungers. In Wahrheit ist sie aber eine Jelly-Bean-Fressattacke. Mir wird richtig schlecht davon. Es gibt einfach zu viele Geschmacksrichtungen. Warum nicht einfach Jeans und T-Shirt tragen, denkt ihr jetzt und ich bin da ganz bei euch. Aber mit den Modewochen verhält es sich ein bisschen wie mit Hochzeiten, natürlich kann man dort auflaufen als hätte man nichts weiter vor als sich beim Späti ein Feuerzeug zu klauen, aber aus Respekt vor der Mühe aller Beteiligten sollte es optisch mindestens für eine Zitronen-Tarte mit der Lieblingstante reichen. Mein neues Mantra lautet deshalb: Planung wird überbewertet und Designerteile leihen, um famos darin auszusehen, ist schlau, aber keine Kunst. Mein neuer Kumpel heißt sodann „Zeitdruck“, ein ganz schön sympathisches Kerlchen, das praktischer Weise sämtlichen Raum für Papageien-Entscheidungen frisst. Wenn morgen früh also der Wecker klingelt, lasse ich ausschließlich meine Laune entscheiden, gut möglich, dass mir die Sonne aus allen Löchern scheinen wird, was doch noch für die Sparfuchs-Gucci-Version sprechen könnte. Vielleicht bin ich aber auch träge von zu viel Bla und zu wenig Schlaf – sollte dem so sein, werde ich alle Viere wie ein Seestern von mir strecken, Tocotronic hören, mich in Schlichtheit hüllen und am Straßenrand meditieren, während die Streetstyle-Fotografen sich um die wahren Könner reißen. Eigentlich eine schöne Vorstellung. Vielleicht gehen die Gedanken dann endlich wieder dahin, wo sie hin gehören: Raus aus dem eigenen Kleiderschrank, rauf auf den Laufsteg. Ich hätte nämlich wirklich Lust, endlich mal wieder Herzen der Begeisterung statt Haufen zu verschicken.