Die Mode, wie wir sie kennen, ist tot – wie sehr Trendforscherin Li Edelkoort mit ihrer scharfen These Recht behalten sollte, ahnte zum Zeitpunkt des Erscheinens ihres Anti-Fashion Manifestos im vergangenen Jahr wohl niemand. Spätestens seit Anfang dieser Woche stehen wir nun tatsächlich vor der vielleicht größten Revolution der Branche seit der 60iger Jahre. Vor einem wahrhaftigen „Wind of Change“, der selten so heftig von Innen heraus blies, vor einem kaputten System, das sich selbst kannibalisiert und in einen unheilbaren Burn Out gehetzt hat. Für eine Therapie ist es längst zu spät. Die Welt der Mode muss sich neu erfinden und mit ihr deren Protagonisten.
Als Raf Simons 2015 nach nur dreieinhalb Jahren den Posten als Chefdesigner bei Dior kündigte, tat er das aus vielerlei Gründen, aber wohl auch, weil er dem Druck der sich beinahe überschlagenden Saisons nicht mehr standhalten konnte und wollte. Herbst/Winter, Frühjahr/Sommer, Cruise, Pre-Fall, Capsule, Haute Couture – um wirtschaftlich gut aufgestellt zu sein, haben sich sämtliche Marken im Laufe der Zeit einen Kollektions-Rhythmus angeeignet, der zu schnell und vor allem zu gewaltig ist, um dauerhaft echte Kreativität abliefern zu können und dennoch zu langsam, um sich mit rasant agierenden und kopierenden Fast Fashion Giganten messen zu können. Als habe man sich absichtlich mit einem Virus infiziert, um kurzzeitig überleben zu können. Die Frage ist nur: Wie wird man ihn wieder los? Zum Beispiel durch Rebellion.
Das Traditionslabel Burberry wehrt sich ab September 2016 gegen die klaffende Wunde des Saison-Wahsinn und zeigt fortan nur noch zwei Schauen pro Jahr. Sogar noch mehr Veränderungen stehen an, statt am Credo der Generation IWWIWWIWI (Ich will, was ich will, wann ich will) zu zerbrechen, wagt der Konzern den großen, einzig logischen Schritt in Richtung „See Now Buy Now“. Alles auf dem Runway Gezeigte wird sofort erhältlich sein, für Werbekampagnen gilt das gleiche. Adieu Vorschau-Funktion, bonjour Echtzeit. Man kann jetzt darüber streiten, ob die Rolle der Mode damit noch weiter weg vom Kultur- und noch näher in Richtung Konsumgut rückt, in jedem Fall aber kuschelt man sich mit dieser Taktik enger an den Konsumenten heran. Proenza Schouler und Tommy Hilfiger zogen mittlerweile nach und auch Tom Ford entsagt sich alter Regeln. Seine eigentlich für die aktuell laufende New York Fashion Week geplante Show wurde bis auf Weiteres abgesagt, im September geht es dann mit neuen Plänen weiter. Der WWD erklärte der amerikanische Designer: „In einer Welt, die so sehr im Hier und Jetzt lebt, ist die Idee, eine Kollektion vier Monate früher zu zeigen, als sie in den Stores tatsächlich erhältlich ist, veraltet. Es macht keinen Sinn mehr.“
Ganz ähnlich sieht das Demna Gvasalia, einer der Mitbegründer von Vetements, dem Hype-Label, das vieles und vor allem den herrschenden Zeitgeist begriffen hat. Zum Beispiel, dass One Man Shows wie im Fall von Raf Simons nicht nur belastend, sondern auch überholt sind. Stattdessen arbeitet Gvasalia mit seinem Team im Kollektiv, Stärken und Ideen werden in einen einzigen Topf geworfen, um an Ende das Beste zu bekommen, nämlich Kleidung, die getragen werden will – nicht Mode, die wie ein kurzer Traum aufflackert und kurz darauf wieder vergessen ist. Edelkoort dürfte sich an dieser Stelle ein weiteres Mal bestätigt fühlen, es sei nämlich schlichtweg die Definition von „Mode“, die heute nicht mehr zeitgemäß sei. Schon vor allen anderen zeigt Vetements im Januar also künftig die jeweils neue Kollektion. Trends spielen dabei nur eine Nebenrolle, viel wichtiger ist die eigene Identität. Guccis Kreativ Direktor Alessandro Michele setzt sich für ebendiese Entschleunigung und Manifestierung der eigenen Handschrift ein, indem er sämtliche Produkte dem Sale entbehrt. Kollektionen sollen künftig nicht veralten und schon in der aktuellen Saison an Wert verlieren, sondern aufeinander aufbauen. Das tut auch den Shops gut, die aufgrund viel zu hoher und verfrühter Sales kränkeln. Man kommt nicht umher, sich zu fragen, wer und was in dieser Branche überhaupt noch gesund ist.
„Dieses ganze System funktioniert nicht mehr. Das Rad dreht und dreht sich immer schneller und tötet damit nicht nur Kreativität, sondern das ganze Business. Die meisten hier überleben am Ende doch nur mit Taschen und Parfums,“ erklärt auch Demna Gvasalia im Rahmen eines Interviews mit Business of Fashion. Eigentlich nur logisch, dass es nun endlich auch den Geschlechtergrenzen an den Kragen geht. Männer- und Frauenmode gehört neuerdings zusammen, nicht nur bei Vetements, sondern auch bei Burberry, Givenchy oder Gucci. Während der gerade zu Ende gegangenen Männermodeschauen sah man so viele weibliche Models wie noch nie auf dem Laufsteg. Vermutlich auch, weil der Mann gerade das wird, was unsere Gesellschaft als weiblich bezeichnet, auch in der Mode: Verspielte Anzüge sieht man dort, florale Spitze, enge Hosen und sogar Röcke. Aber auch wegen kluger Marketing-Gründe, denn nirgendwo sonst erntet man für fast unsichtbare Zwischenkollektionen so viel Aufmerksamkeit wie auf dem Runway der Hauptkollektion des anderen Geschlechts.
„But apart from the commercial aspect, I believe that designers are using this opportunity to enhance their brand identity. With men becoming more feminine and women becoming more masculine, this androgynous development is allowing for one concise, powerful message from the designers. Having both sexes come down the catwalk looking like they both stepped out of the same time warp enhances this message. No longer do they need to create a male and female identity, which apart from being creatively more time consuming, it doesn’t build a true ‘direction’. The modern consumer wants to be part of something bigger, they want to feel part of a bigger picture, a movement,” erklärt Justin O’Shea der WELT.
In O’Sheas letztem Satz steckt mehr Wahrheit, als manch ein Insider ertragen kann. Dass der Konsument, der daran gewöhnt ist, immer, überall und schnell Zugriff auf Informationen zu haben, „Teil von etwas sein möchte“, Teil von dem, was in der Welt der Mode passiert, bedeutet auf der anderen Seiten einen enormen Verlust an Exklusivität, um nicht zu sagen: Den Tod elitärer Exklusion. Die Empörung war bereits groß, als Ricardo Tisci seine Givenchy Show für jedermann zugänglich machte und rund 1200 Eintrittskarten an Fans verschenkte, auch Misha Nonoo rüttelte am Werte-Baum, als sie 2015 verkündete, die anstehende Kollektion ausschließlich über ihren eigenen Instagram-Kanal statt auf dem Runway zu zeigen. Dabei sind Modeschauen längt keine privaten Veranstaltungen für Einkäufer und A-Promis mehr, geordert wird auf den Messen. Was während der Fashion Week passiert, ist vor allem eins: Showbuiz. Kanye West übertraf jüngst alles Dagewesene, seine Yeezy-Kollektion präsentierte er inklusive Live-Konzert vor 18.000 Zuschauern. Ticketpreis: 135 Dollar.
Und dann ist da noch Hedi Slimane, dessen Show in Los Angeles gerade mit Plakaten in der ganzen Stadt angekündigt wurde. Der Saint Laurent Chefdesigner hielt sich weder an den Terminkalender, noch an die bisweilen übliche aber offenbar überflüssige Trennung zwischen Men- und Womenswear. Es ist, als sei der Inne Circle der Fashion Welt außer Rand und Band. Auf eine gute Art und Weise; alles fühlt sich nach Befreiung an. Slimane trägt sein Haar jetzt jedenfalls lang und lächelt, als das letzte Model hinter der Bühne verschwindet. Gut möglich, dass wir uns wirklich auf dem Weg der Genesung befinden.
Noch mehr Infos zum Wandel der Modebranche hat Welt.de.