Alina Sonnefeld meldete sich im vergangenen Jahr per Mail bei uns. Im Anhang befand sich ein Text, der dringen in die Internet-Welt hinaus geschickt gehörte. Damals schrieb sie darüber, wie es sich anfühlt, in der heutigen Welt ein Mädchen zu sein. Ein 18-jähriges Mädchen. Jetzt vermutet unsere Autorin, weniger Reche zu besitzen als ein Auto:
Mir war das lange nicht bewusst. Das mit unserem Sexualstrafrecht.
Dass es nicht genügt vergewaltigt worden zu sein, um den Täter strafrechtlich verurteilen zu lassen. Dass man verpflichtet ist, sich zu wehren, mit allen Mitteln. Auch mit denen, die einem nicht zur Verfügung stehen.
Als ich erfuhr, wie es um die Gesetze, die mich beschützen sollen, bestellt ist, machte sich in mir Entsetzen breit, wirklich blankes Entsetzen. Dann aber die Erleichterung: eine Reform ist in Arbeit. Das erschien mir vernünftig. Ein Gesetz, das sicherstellen soll, dass man ein Recht darauf hat, den sexuellen Kontakt mit einer Person zu verwehren, wenn man selbigen nicht haben will. Darauf, dass das viel besungene „Nein“ tatsächlich „Nein“ bedeutet. Soweit die Theorie. In der Praxis jedoch scheinen erstaunlich viele Politiker ein verwunderliches Geschlechterbild vor Augen zu haben:
Auf der einen Seite die gefühlsbetonte und zurückhaltende Frau. Avancen lehnt sie aus reiner Kultiviertheit ab – sie möchte ja geheimnisvoll bleiben. Ein „Nein“ kann demnach durchaus ein verführerisches „Ja“ bedeuten. Die Frau im Allgemeinen sagt ja sowieso selten, was sie wirklich will. Und Sprunghaft hinsichtlich ihrer Entscheidungen ist sie noch dazu.
Kann sie einen Mann nicht leiden (was häufig vorkommen soll), klagt sie ihn außerdem mit Vorliebe der Vergewaltigung an, weshalb am Ende nicht selten ein Unschuldiger hinter Gittern landet. Eine Verschärfung des Sexualstrafrechts bis hin zu einem logischen „Nein heißt Nein“-Prinzip würde derartige Fälle selbstredend ungemein verein- und vervielfachen.
Auf der anderen Seite der Mann. Über ihn wird viel geschwiegen. Obwohl: Er ergreift jede sich ihm bietende Chance auf Geschlechtsverkehr und wird dabei schnell zum Opfer von hinterlistigen Weibsbildern, die ihn nach dem Vollzug des Aktes aus unterschiedlichsten Gründen zu Unrecht anklagen wollen. Opfer eines Sexualdelikts wird er selbst hingegen nie – durch seine dauerhafte Geilheit kann er praktisch nicht vergewaltigt werden. Achso.
Das klingt alles erstmal lustig und verquert. Aber nur so lange, bis man sich bewusst macht, dass es Köpfe gibt, in denen abstruse Vorstellungen wie diese wirklich und wahrhaftig und ernstgemeint umhergeistern. Und dass eben diese Menschenköpfe im Moment dabei sind, ein neues Gesetz zu verabschieden, eines, das zumindest zu großen Teilen auf Klischees beruht. Eines, das vorhersieht, dass „Nein“ gesagt zu haben vor Gericht nicht ausreicht. Man hätte ja deutlicher werden können.
In Deutschland jedenfalls ist es rechtlich verboten, ein Auto ohne die Genehmigung seines Besitzers zu fahren. Warum ist es dann himmelherrgottnochmal rechtlich erlaubt, meine Vagina ohne Genehmigung zu benutzen?
Manche werden jetzt vielleicht schmunzeln. Aber witzig ist das nicht. Eigentlich sollten wir, Männer wie Frauen, mit großen bunten Schildern auf die Straßen ziehen und laut unser Recht auf sexuelle Selbstbestimmung einfordern. Denn ja, ich fühle mich gerade schrecklich minderwertig. Und schutzlos. Vielleicht, weil es sich gerade anfühlt, als besäße ich teilweise weniger Rechte als ein VW Polo. – Alina Sonnefeld.
Was Alina hier anspricht, wird gerade hitzig diskutiert, vor allem aufgrund der Übergriffe in Köln, die das Thema medial erst richtig aufrollten und mittlerweile sogar beeinflussen. Der eigentliche Gesetzesentwurf wurde tatsächlich schon vor Monaten veröffentlicht. Darüber kann man sich wundern. Aber dennoch: Wird nun endlich eine Gesetzeslücke geschlossen, die ohnehin dringend überfällig war? Oder ist eine universelle und vor allem faire Lösung gar reine Utopie?
Der Status Quo besagt, dass eine Vergewaltigung dann vorliegt, wenn das Opfer schutzlos ist oder durch „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ zu einer sexuellen Handlung gezwungen wird. Damit fallen bisweilen ziemlich viele Fälle durch das Raster. Wer überrumpelt wird und sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht wehren kann, etwa aufgrund von zu wenig Handlungszeit oder dem nicht seltenen Verweilen in Schockstarre als Folge einer Überrumpelung, steht vor Gericht ohne gesetzliche Unterstützung da. Wer einer Frau spontan unter den Rock oder an den Busen greift, kommt davon. Das „Grabschen“ muss viel „erheblicher“ ausfallen, um als wahrhaftige Straftat zu gelten. Unerheblich ist das Anfassen einer fremden Brust dann, wenn beispielsweise noch T-Shirt-Stoff zwischen Hand und Nippel liegt. „Nein“ sagen, reicht auch nicht aus. Man muss sich schon massiv wehren. Was aber, wenn einem der Mut dazu fehlt? Was, wenn der Chef fummeln will und mit Kündigung droht, sollte man sich ihm entgegensetzen. Was, wenn eine Mutter nicht lauten schreien will und kann, um die Kinder im Nebenzimmer nicht aufzuwecken, während sie selbst zum Beischlaf gezwungen wird. Oder zum Blasen. Vergewaltigungen innerhalb der Ehe gelten übrigens erst seit 1997 nicht mehr als reiner Kavaliersdelikt. Zuvor, genauer gesagt im Jahr 1972, als das Kapitel „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ niedergeschrieben wurde, verloren die Sozialdemokraten noch gegen zornige Eheschützer: Vergewaltigungen innerhalb der Ehe gebe es doch gar nicht, so ein elendiger Quatsch. Da habe sich der Staat gefälligst rauszuhalten.
Justizminister Maaß will jetzt immerhin dafür sorgen, den sogenannten „Überrumpelungen“ den Garaus zu machen. Das ist ein erster und wichtiger Schritt, der Grabscher zu Tätern macht, vielen aber verständlicher Weise längst nicht ausreicht. Die Grünen und die CDU fordern, dass ausnahmslos jede sexuelle Handlung, die gegen den Willen des Opfers geschieht, zur Verurteilung führen kann. Klingt erst einmal vernünftig. Was offenbar bleibt, ist jedoch die Pflicht eines jeden Opfers, vor Gericht argumentieren und belegen zu können, weshalb und dass es sich nicht hat wehren können. Das muss man allerdings erstmal schaffen. Nicht selten wird im Nachhinein klar: Man hätte dieses oder jenes tun können. Hat man aber nicht. So oder so geht mit jeder sinnvollen Idee der Gesetzeserweiterung oder -Änderung eine Generalüberholung des kompletten Apparats einher. Das kostet nicht nur Zeit, sondern scheidet auch die Geister. Nehmen wir beispielsweise die auf den ersten Blick enorm einleuchtende Regel „Nein heißt nein“: So einfach, so richtig. Und kompliziert. Auch aufgrund diverser Zweifel ob der Unantastbarkeit dieses im Grunde einleuchtenden Grundsatzes – denn der Schutz vermeintlicher Täter, die gar keine Täter sind, würde damit zeitgleich schwinden.
Vor allem in feministischen Kreisen wird das „Bedürfnis von Männern, einer Vergewaltigung nicht zu unrecht beschuldigt werden zu können und den Folgen einer möglichen Falschbeschuldigung nicht wehrlos ausgesetzt zu sein (mogis),“ häufig ausgeklammert und sogar belächelt. Das ist, meines Erachtens, falsch. Moderner, gesunder Feminismus bedeutet immer auch Humanismus. Und damit die Integration aller Ängste und Eventualitäten, nicht nur jener, die ausschließlich das oft benannte „schwächere Geschlecht“ betreffen. Wir sind nicht schwächer. Wir werden nur häufiger zu Opfern. Aber eben nicht ausschließlich. Es ist kein Hirngespinst, dass Menschen beider Geschlechter ab und zu die Macht der falschen Behauptungen nutzen, um am Ende ans Ziel zu gelangen. Und sei es nur Rache. Sie bilden allerdings die Ausnahme. Vor allem aus Respekt gegenüber der echten Opfer von Sexualstraftaten, und das sind wahrlich nicht wenige, sollten wir diesen Umstand nicht ausklammern, sondern ernst nehmen. Damit am Ende beide Seiten, nämlich Männer wie Frauen, nicht alleine und ohne greifenden Rechtsstaat da stehen.
Gäbe es da nicht ein über allem schwebendes elementares Problem: Die komplizierte Beweislage, oder eher: Die Unbeweisbarkeit der meisten Straftaten, die hinter verschlossenen Türen geschehen. Oder im Menschengerangel. Oder innerhalb der Ehe.
In einer Welt ohne Lügen wäre die „Nein heißt Nein“ Regel folglich golden. Für die Gesellschaft, in der wir uns bewegen, braucht es aber womöglich viel komplexere Gesetze. Ich weiß nur nicht, welche. Und die Politik offenbar auch nicht.