Meine Beziehung zu Siegeln und Zertifizierungen kann man getrost als „gespalten“ bezeichnen. Ich sehe selbstverständlich vollkommen den Vorteil, dass ich mit Hilfe von Auszeichnungen diverser Institutionen auf einen Blick einen Überblick bekomme, an welchen Stellen man das Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Soziales und Umweltschutz einigermaßen einordnen kann. Das ist sehr nützlich, da ich von der Arbeit und den Ressourcen anderer profitiere und somit viel Zeit spare.
Gleichzeitig bedeutet das aber nicht, dass ein Unternehmen ohne Siegel oder Zertifizierung nicht genauso verantwortungsbewusst produziert, sich aber vielleicht die Auszeichnung nicht leisten kann oder eine ganz eigene Herangehensweise an die kritischen Themen gefunden hat. Schon an dieser Stelle sehe ich einen wirren Haufen von bereits vorliegenden Fakten und noch zu recherchierenden Fakten vor mir – und möchte mich am liebsten wieder ins Bett legen. Das wird dann nur noch von der Tatsache getoppt, dass es nicht ein einheitliches, übergreifendes Siegel für ethisch vertretbare Produktion gibt. Jede Zertifizierungsstelle kocht irgendwie ihr eigenes Süppchen: Dem einen ist die Sicherheit am Arbeitsplatz wichtiger, dem anderen der Umweltschutz. Und mir, was ist mir am wichtigsten? Das ist gar nicht so einfach. Da Kapitulieren so gut wie nie eine Option ist, habe ich die für mich wichtigsten Siegel ausfindig gemacht und verlasse mich nebenbei auf ganz viel Bauchgefühl.
Bevor ich euch meine persönlichen Top Siegel vorstelle, möchte ich kurz auf die Firmen eingehen, die keine Auszeichnung tragen und deshalb trotzdem vertretbar produzieren können. Trägt ein Brand keine Zertifizierung, sind für mich mein eigenes Bauchgefühl und folgende Fragen bei der Auswahl hilfreich:
- Wie transparent stellt sich die Firma auf der Website auf? Wird detailliert beschrieben, was unter Nachhaltigkeit verstanden wird? Wie äußern sich nachhaltige Aspekte in der Produktion?
- Wo wird produziert? Produktionen in Europa sind in den meisten Fällen ein verlässlicheres Indiz für ethisch vertretbare Herstellung als ein „wir fertigen unter fairen Bedingungen in Indien“ ohne weitere Angaben.
- Welche Materialien werden verwendet? Aus welchen Ländern stammen die Materialien und welche Angaben werden zum ggfs. Nachhaltigen Anbau gemacht?
- Antwortet die Firma auf Nachfragen per E-Mail? Manchmal kann es ganz hilfreich sein, einfach mal eine (sinnvolle) Frage zu stellen, denn ein persönlicher Kontakt kann deutlich aufschlussreicher sein als eine starre Website.
- Hält der Brand einer schnellen Google Recherche stand? So simpel es klingt, aber den Namen mit dem Zusatz „Kritik“, „fair“, „nachhaltig“ oder „Interview“ zu googlen hat mir schon so manche Entscheidung erleichtert und eigene Recherche erspart.
Ich bin einer dieser Menschen, die gar nicht gut im Auswendiglernen sind. Ich hege tiefe Bewunderung für diejenigen, die alles wie ein Schwamm aufsaugen, was sie jemals gelesen oder gehört haben, es dann nie wieder vergessen und jederzeit wiederholen können. Deswegen habe ich mich in einer wahren Flut von Siegeln eher versucht, einen Kompromiss zu finden zwischen „hat strenge Kriterien“ und „ist häufig vertreten“ – außerdem sollten es nicht mehr als drei bis fünf verschiedene sein.
Viele weitere Informationen findet ihr übrigens auch in der Broschüre von Femnet (konkret um Siegel geht es auf den Seiten 26-49) und auf utopia.de (hier findet ihr auch Infos zu Siegeln anderer Bereiche).
GOTS ist vorwiegend ein Siegel für Umweltaspekte.
- das Produkt besteht zu mindestens 95% aus Naturfasern, davon 70% biologisch erzeugt
- viele umweltgefährdende chemische Stoffe sind verboten (z.B. Accessoires aus PVC, Schwermetalle und gentechnisch veränderte Organismen)
- soziale Standards für die Arbeiter laut Internationaler Arbeitsorganisation ILO
- mindestens einmal jährlich angekündigte und auch unangekündigte Überprüfung durch GOTS-Kontrolleure vor Ort
Kritik: lässt bei der Bewertung der Umweltverträglichkeit die Folgen der Produktion tierischer Materialen außer acht
Die Fair Wear Foundation steht vorwiegend für soziale Standards und erst im zweiten Schritt für sichere Umweltbedingungen.
- Standards orientieren sich an den Anforderungen der Internationalen Arbeiterorganisation ILO, z.B. keine Diskriminierung am Arbeitsplatz, keine Kinderarbeit, existenzsichernde Löhne, Sicherheit am Arbeitsplatz
- Mitglieder müssen innerhalb von drei Jahren garantieren, dass zunächst 40% und später 90% ihrer Zulieferer die FWF-Standards einhalten
- Kontrollen durch FWF alle drei Jahre
Kritik: geringe Einstiegsschwelle für Labels, die Siegelmissbräuche wahrscheinlicher macht, Standards für umweltfreundliche Produktion nicht auf dem Niveau vergleichbarer Siegel.
Das Fairtrade-Siegel steht vorwiegend für soziale Standards, es gibt verschiedene Siegel für die Bereiche Gold, Kosmetik, Lebensmittel und Mode.
- im Modebereich steht das Fairtrade Cotton Siegel für Baumwolle, die zu 100% fair angebaut und gehandelt wurde
- das neue Siegel „Fairtrade Textile Production“ wird zur Zeit noch von keinem Unternehmen getragen, da die Zertifizierungsphase einige Zeit in Anspruch nimmt. Es soll Menschen, die in der Textilbranche arbeiten (z.B. Näherinnen) durch faire Löhne, Arbeiterrechte, Sicherheit am Arbeitsplatz und Schulungen schützen
- regelmäßige Kontrollen vor Ort durch die ausgezeichnete Institution Flocert
Kritik: Zu Beginn von Fairtrade gab es nur ein Siegel, nun sind für die Bereiche Kosmetik, Gold und Mode unterschiedliche, sich aber vom Aussehen ähnelnde Siegel hinzugekommen, was das Ganze etwas verwirrend macht. Im Bereich Lebensmittel wurden 2011 die Standards gesenkt, so muss ein Produkt beispielsweise nicht mehr mindestens 50% fair gehandelte Zutaten enthalten, sondern nur noch 20%.
Die Fotos aus der Collage stammen vom Instagramaccount des dreifach zertifizierten Fashionlabels Armedangels. Genauer gesagt von einer Reise nach Indien, wo sich der Brand in Gujarat die Biobaumwollproduktion für ihre Textilien angesehen hat.