Seit ich Mutter bin, beschleicht mich das Gefühl, dass ein Kind allein nicht ausreicht. Egal, wen ich nach langer Zeit wieder treffe, die zweite Frage nach dem obligatorischen „Wie gehts, wie stehst“ lautet zunehmend: Und, wollt ihr noch ein Geschwisterchen? Ich muss dann erst einmal erklären, dass das „Wir“ inzwischen ein ganz anderes ist – Ups-Moment #1, die Leute scheinen noch immer wie automatisch davon auszugehen, Trennungen seien entgegen jeder Statistik eine Ausnahme in unserem scheinbar perfekten Lebensumfeld. Mit dem Mitleid, dass ich weder brauche noch möchte, komme ich inzwischen klar, man meint es ja nur gut mit mir. Wenn ich irgendwann aber zurück zum eigentlichen Thema gelange und meinen Standpunkt klar mache, nämlich den, dass ich nicht wissen kann, was in drei, vier oder zehn Jahren ist, ich derzeit aber ziemlich sicher bin, ein Einzelkind in die Welt gesetzt zu haben, werden die Augen groß und Mundwinkel fangen an zu hängen. Ganz ehrlich, kein Scherz. Ist auch nicht eingebildet das Ganze, das weiß ich, weil meist Augen- und Ohrenzeugen dabei sind. Die häufigsten Reaktionen lauten wie folgt: Eeeecht jetzt? Aber willst du kein Mädchen haben, wer soll denn all die Taschen erben, als Frau möchte man doch auch eine Tochter? Soll Lio wirklich allein aufwachsen? Träumst du nicht von einer richtig großen Rasselbande? Nein? Krass. Und so weiter und so fort.
Ich finde das, gelinde gesagt, sehr unmodern. Und unsensibel. Und unangebracht. Denn erstens ist mir schnurzpiepegal, welches Geschlecht mein Kind hat, zweitens leben wir in einer Gesellschaft, in der Freundeskreise längt zur selbstgewählten Familie geworden sind, kein Kind muss also einsam und allein mit Einzelkind-Schaufeln im Sand buddeln und drittens liebe ich Großfamilien, ich stamme nämlich aus einer, aber ich selbst sehe mich aus unterschiedlichsten Gründen nunmal nicht als Anführerin einer solchen. Das macht mich weder herzlos und überaus egoistisch, noch traurig. Beides wird einem aber seltsamerweise gern unterstellt. Meine Entscheidung liegt jedoch einer ganz simplen Erkenntnis zugrunde.
Ich kann mir kein größeres Glück vorstellen, als das, was mich gerade jetzt umgibt. Es fühlt sich exakt richtig an, genau so, wie es ist. Und ich wüsste nicht, wie es noch besser werden sollte. So einfach, so schwer zu verstehen. Denn natürlich weiß ich um die Verdoppelung der Liebe beim zweiten Kind. Aber nunmal auch um die persönlichen Einschränkungen, Herausforderungen und um den Mut, der dazu gehört. Darum habe ich ausschließlich den allergrößten Respekt und nur High Fives vollgepackt mit Anerkennung und von tief innen heraus gegönntem Glück übrig für all jene, die sich trauen. Deshalb weiß ich um alles, was mir verwehrt bleiben wird. Aber ich wünsche mir dennoch ein wenig mehr Toleranz gegenüber meines selbstgewählten Lebensmodells. Oder einfach Gleichgültigkeit, einen Umgang, der nicht voraussetzt, man falle mit dieser Entscheidung aus der salonfähigen Norm oder sei schlichtweg komisch drauf. Ich kann mir übrigens gut vorstellen, dass die Rechnung anders herum genauso gut aufgeht. Wie du willst drei Kinder? Ja, bist du denn verrückt.
Ein Faktor, der zwar nicht in meinen eigenen Entschluss eingespielt hat, mich aber durchaus sensibler im Umgang mit anderen hat werden lassen: Ich kann sehr wahrscheinlich aus gesundheitlichen Gründen überhaupt kein weiteres Leben in die Welt setzen. Noch stört mich das nicht, aber es könnte mich stören, vielleicht irgendwann, wie viele andere auch. Die automatische, sehr persönliche Frage nach weiteren Kindern, oder überhaupt einem Kind, sofern man sich denn nicht im Freundeskreis bewegt, bleibt also ohnehin eine heikle, die einem wahllosen Streuen mit Salz in potentielle Wunden gleich kommt.
Jetzt kann man natürlich behaupten, ich sei über die Maße sensibel und das Butter-bei-die-Fische-Prinzip in anonymen Zeiten wie diesen doch nur förderlich in Hinsicht auf mehr Zwischenmenschlichkeit. Schuldig. Dann machen wir es doch einfach so: Wenn wir demnächst gewillt sind, jemanden zu fragen, wie es um den Kinderwunsch bestellt ist, dann hören wir einfach zu, schieben die Mundwinkel nach oben und erfreuen uns an der Diversität des allgemeinen Daseins, statt von uns auf andere zu schließen. Das wäre ja schonmal ein Anfang.