Ich frage mich das schon ungefähr seit immer, warum alle Welt ganz unbedarft und konstant Converse Chucks trägt, dieses Schuhwerk mit über 100-jähriger Geschichte. Ein Joaquin Phoenix heute ebenso wie damals die junge Jane Birkin. Prollos wie Punks. Schauspieler wie Studenten. Das sind immerhin etwa 36000 Tage, an dem das ein oder andere Image-Unwetter diesem amerikanischen Dinosaurier binnen weniger Schritte locker den Garaus hätte machen können. Aber nichts dergleichen ist je geschehen, ganz im Gegenteil. Der All Star (im wahrsten Sinne des Wortes) vermehrt sich rege weiter (erst letzten Sommer wurde der Chuck Taylor II mit gemütlicher Sohle und weiteren Updates gelauncht) und ist tatsächlich Lichtjahre davon entfernt, unter die bedrohten Arten zu rutschen. Stattdessen mimt er nicht nur den immergrünen Siegertyp im Alltag, sondern erklimmt überdies in regelmäßigen Zyklen den stilsicheren Mode-Ikonen Olymp. Was im Grunde nur logisch ist, gleich und gleich gesellt sich nunmal gern – dass eine Stil-kone wie Veronika Heilbronner heute also kaum einen Schuh häufiger zum Designerfummel wählt als den ikonischen Converse ‚Chuck Taylor‘ All Star: geschenkt. Dass aber nicht einmal eine Kim Kardashian an dieser Liebe zu rütteln vermag: erstaunlich. Im Großen, aber auch im Kleinen.
Ich selbst beispielsweise erinnere mich noch überaus lebendig an mein erstes Paar Chucks, an das zweite, dritte und vierzehnte Paar, so viele sind es mittlerweile. Ich fühlte mich in Teenagertagen unwillkürlich erhaben über den durchschnittlichen Turnschuh-Pöbel und auf gewisse Weise als Teil etwas Größerem, dem rebellischen Glanz eines James Dean der 50er Jahre verbunden, dem modischen Erbe von Kurt Cobain so nah wie nie zuvor, wie ich da in meinen eierschalenweißen mit Bierflecken verzierten Gummisohlen über unseren Proberaumboden rutschte. Seltsamerweise änderte schon während der 90er Jahre noch nicht einmal die Tatsache, dass sich der Nirvana-Musiker irgendwann in den Kopf schoss, etwas an der allgemeinen Faszination für den damaligen Lieblingsschuh der Kinder des Grunge. Bis heute nicht, obgleich aus Teenagern inzwischen Erwachsene geworden sind, die ihre Chucks nun nicht mehr zum Bandshirt, sondern zum Anzug kombinieren. Oder zur Abendkleid. Oder zum Kinderwagen.
Aber jedenfalls traf man beizeiten in der Konzerthalle meines Vertrauens beim Pogen und Brüllen und Jungsein auf Gleichgesinnte und Schuh-Klone, auf dem Weg dorthin wie selbstverständlich auf das Gegenteil. Auch die Autoscooter-Bande mit silber-beuligen Jeanshosen und Goldketten-Attitüde trug Chucks. Uns machte das nichts. Obwohl ausschließlich gewisse Codes die Spreu vom Weizen trennten, wobei jeder Zirkel selbstredend annahm, der größte und coolste und bestangezogene Halm von allen zu sein. Die Schuhe der Boygroups waren im Gegensatz zu den unseren weiß und blitzblank geputzt. Ähnlich derer des Tennis-Mädchen-Syndikats, das zum Stern auf der Innenseite des Canvas-Stoffes Perlenohrringe und rosafarbene Schnürsenkel aus Satin kombinierte. Uns alle einte somit ein Schuh, der 1917 als Pakettboden-geeigneter Basketballschuh erfunden, irgendwann zum Symbol der amerikanischen Protestkultur im Kapitalismus und später Barfuß-Alternative der Hippies wurde, der den Grunge überlebte und seither nicht mehr wegzudenken ist. Einer, den man „Chamäleon nennt, weil er immer exakt das verkörpert, was wir gerade selbst sein wollten, Generationen- und Alters-übergreifend wohlgemerkt. Er war und ist Rebellion, Abgrenzung und Zusammengehörigkeitsgefühl in einem, ein bisschen sogar Freiheitsgefühl. Ein standhafter Fels im Sumpf der vergänglichen Trends ohne Zweifel, die womöglich einzige Schuh-Konstante, der wir uneingeschränkt Respekt zollen, ein treuer Begleiter, den wir ganz freiwillig und nicht aus Gründen des Modediktats tragen. Dafür lieben wir Chucks offenbar heute wie morgen und auch in weiteren hundert Jahren noch – wenn man den aktuellen Zahlen glaubt.
100 Millionen Paare werden jährlich auf der ganzen Welt gekauft. Jeder 37. Mensch müsste demnach ein paar Chucks im Schrank stehen haben, also rein theoretisch. So weit, so logisch. Wie aber ist es möglich, dass er sich gerade jetzt, in Zeiten des omnipräsenten Drangs nach Individualität, noch immer behaupten kann, und zwar nicht nur im Mainstream, sondern auch an der Spitze des guten Geschmacks? Marx hätte sich in die Hände gespuckt: Im All Star sind alle gleich. Gleich gut gekleidet, zumindest an den Füßen.
Der Converse All Star ist in meinen Augen so etwas wie eine gelebte Demokratisierung des Stils. Sieht man genauer hin, entdeckt man schnell die Essenz, ja das Erfolgsrezept seines Designs: Es ist Bauhaus, wenn man so will, form follows funcion eben, auffällig genug, um makellos schön und Stilbruch-tauglich zu sein und gleichzeitig so bescheiden und zurückhaltend, dass er sich wie ein Tischlein-Deck-Dich dem Gesamtkonzept des jeweiligen Trägers unterwirft. Er kann auch einfach nur Schuh sein, einer für alle, bequeme Gleichschaltung sogar. Der Converse All Star aka „Chuck“ ist der vielleicht ersichtlichste Seismograph der in uns schlummernden Sehnsucht nach Verlässlichkeit, für andere ist er darüber hinaus ein Stück Geschichte, das weiter geschrieben werden muss. Womöglich, weil er mit diesem allumfassenden schwer zu greifenden Image aufgeladen ist, das zumindest ganz subtil und leise nach Selbstbestimmung und Jugend schreit. Es will zwar nicht jeder ein Stück von ebendiesem abhaben, verschrecken tut es aber genau so wenig. Es verspricht immerhin Freiheit und Abstand von Vorurteilen. Der All Star ist sozusagen ein Neutrum im besten Sinne, eine leere Leinwand, die nach Herzenslust gestaltet werden darf. Das mögen alle.
Denn trotz vermeintlicher optischer Gleichschaltung, entscheiden wir allein, welche Signale wir beim Ausführen eines Chucks an unsere Umwelt senden. Wir können mit ihm unsichtbar werden im Mainstream, uns mit ihm schmücken, der intellektuellen Bohème beiwohnen um Gedichte niederzuschreiben oder uns im Juicy Couture Track Suit der Verschrobenheit einer Britney von 2001 hingeben und leiden, bis die Eiscremepackung leer gekratzt ist. All das geht. Früher wie heute. Vielleicht ist es so einfach. Vielleicht wurde 1917 der perfekte Schuh entworfen. Vielleicht haben wir ihn im Laufe der Zeit und durch all die Momente, die wir und unsere Eltern und sogar Großeltern, mit ihm verbracht und für die Ewigkeit festgehalten haben, aber auch schlichtweg selbst dazu gemacht.
Mit freundlicher Unterstützung von Converse.