Dass ich mir mit diesem Artikel die Frage stelle, wie man eigentlich Tagebuch schreibt, könnte den Eindruck entstehen lassen, ich hätte keine Kindheit gehabt und gerade das erste Mal „Tagebuch“ gegoogelt. Schließlich ist es ja wohl ziemlich normal, dass man Tag für Tag seine Erlebnisse auf Papier festhält und fertig, oder? Nun, also so normal finde ich das nun auch wieder nicht. Ich erinnere mich nämlich an diverse kläglich gescheiterte Diary-Versuche in meiner Kindheit und Jugend, die dazu führten, dass ich das Schreiben irgendwann aufgab. Seiten wurden aufgrund einer mangelnd schöner oder zu schräg nach rechts laufenden Handschrift ausgerissen. Mal fand ich es okay, Bilder zu zeichnen und Zeitungsschnipsel zu Collagen zusammenzufügen, wieder ein anderes mal wollte ich lieber erwachsen und cool sein, so ganz ohne Gekrakel und Schnipsel. Und überhaupt, ist ein Tagebuch der richtige Ort, um die eigene Unterschrift in verschiedenen Versionen zu üben? Wie geht das mit der Anrede? Soll ich notieren, was ich zu Mittag gegessen habe oder nur, dass ich mich über Eva aus der 6C geärgert habe? Nehme ich das Tagebuch auch mit in den Urlaub und wohin soll ich auswandern, wenn es einem Familienmitglied in die Hände fällt?
Heute bin ich da weniger unentschlossen und greife ab und zu wieder zu Stift und Papier. Vor kurzem rief mir allerdings ein Artikel den Zusammenhang zwischen Schreiben und therapeutischer Heilung von Narben und Erlebnissen wieder in Erinnerung und daraufhin habe ich mich noch einmal intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt. Immerhin zermartern wir uns so oft das Hirn über Lösungsansätze für unsere Ängste, Beklemmungen, Unsicherheiten und unser Feststecken in der Vergangenheit – dabei gibt es einen sehr praktikablen Ansatz, mit dem man sofort starten kann. Warum man sich weniger einen Kopf machen sollte und warum Schreiben so wahnsinnig wertvoll sein kann, lest ihr jetzt hier:
Schreiben beugt Krankheiten vor
Tagebuch schreiben gilt mittlerweile als eine der besten Methoden zur Selbsthilfe. Auch „Psychohygiene“ genannt, befreit das Verfassen von Texten die Psyche von belastenden Erlebnissen und hält positive Erfahrungen fest. In einer Studie wurde sogar herausgefunden, dass Schreiben die Aktivität des Immunsystems fördert und für weniger Erkrankungen und einen gesunden Schlaf sorgt. Ist ja eigentlich auch nachvollziehbar – je weniger mich etwas belastet und je weniger Gedanken in meinem Kopf rumschwirren, desto besser kann ich mich entspannen und ausruhen. Das Aufschreiben von Gedanken gilt ja schon von klein auf intuitiv als Lösungsansatz für Probleme und Verzweiflung. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass fast jeder schon einmal darüber nachgedacht hat, ein Tagebuch anzufangen, einen Brief zu schreiben oder eine lange Email an einen engen Freund zu verfassen. Worte können Ängste lindern und ihnen einen realistischen Bezug zum sonstigen Leben geben.
Für immer verewigt, für immer verblasst
Alles, was aufgeschrieben oder ausgesprochen wird, wirkt weniger bedrohlich. Vor allem durch wiederholte schriftliche Beschreibung von Erlebtem können belastende Gedanken nahezu vollständig verschwinden. Und andersherum genauso. Habe ich etwas Tolles, Aufregendes und Positives erlebt und schreibe es nieder, fühlt es sich oft an, als hätte man das aktuelle Gefühl für immer verewigt. Ganz besonders intensiv ist dieses Gefühl, wenn man seine Lebenserfahrungen in eine Geschichte einbettet, Perspektiven wechselt und sogar von sich in der dritten Person schreibt. Gerade diese Art des Schreibens habe ich immer als wahnsinnig hilfreich empfunden und als gleichzeitig sehr spannend. Nach mehreren Jahren einen Teil seiner eigenen Geschichte zu lesen, kreiert eine sonderbar intensive Verbindung zu seinem früheren Ich. Ich fühle mich dann mehr als Autorin, nicht als Beteiligte – gerade bei unschönen Lebensphasen entsteht so eine gesunde Distanz zum Geschehenen.
Aufschreiben, einordnen, abhaken
Tagebuch schreiben wirkt auf mich ähnlich ordnend wie aufräumen oder archivieren. Schreibe ich einen zusammenhängenden Text über einen Tag, eine Woche, eine Reise oder ein Erlebnis, setze ich irgendwann den letzten Punkt, klappe das Buch zu oder schließe das Textprogramm. Ich habe alles Relevante an einem Ort gesammelt, es miteinander verknüpft und abgeschlossen. Ich kann es jetzt in eine Kiste packen und verstauen. Bei Bedarf kann ich die Kiste nochmal hervorholen, oder ich lasse sie einfach für immer einstauben. Die Dinge, die mich beschäftigen, sind nun ja jetzt sicher verstaut. Weg aus meinem Sichtfeld, meinem Alltag und meiner akuten Gedankenwelt, aber immer griffbereit, wenn ich sie nochmal brauche. Ich habe nichts verloren, aber mehr Freiheit und Leichtigkeit gewonnen.
5 Fehler, die man beim Tagebuch schreiben vermeiden sollte
- Keine Einschränkungen machen. Tagebucheinträge können voll von Klischees, Phrasen, Rechtschreibfehlern, Fotos, Stickern, Gedichten und fremden Sprachen sein. Es geht nicht um einen potentiellen Leser, es geht um dich.
- Schönheit darf keine übergeordnete Rolle spielen und einen nicht ausbremsen können. Keine Angst vor unschöner Handschrift, durchgestrichenen Passagen, ungleichmäßig beschriebenen Seiten. Der beste Weg, um einem eventuellen Dilemma dieser Art aus dem Weg zu gehen, ist die Verwendung digitaler Schreibprogramme. Es ist egal wie du deine Gedanken verfasst, analog hat gegenüber digital keine Vorteile.
- An der Anrede verzweifeln. Deine Texte müssen nicht an eine Person adressiert werden, können es aber. Du kannst Überschriften für Einträge finden, fiktive Personen oder dein älteres oder jüngeres Ich ansprechen. Auch ein klassisches „liebes Tagebuch“ hat seine Berechtigung.
- Zu viel Zeit aufwenden. Gerade zu Beginn ist es schwierig, das Schreiben in seinen Alltag zu integrieren. Hier hilft ein sogenanntes Minutentagebuch. Hier wird einfach Morgens und Abends in einem Satz notiert, wie man sich gerade fühlt oder in 3 Stichworten festgehalten, welche Ereignisse heute wichtig waren.
- Weitermachen, auch wenn es weh tut. Ruft das Niederschreiben eines bestimmten Ereignisses heftige negative Gefühle hervor, kann man ruhig ein paar Tage pausieren und dann erst weitermachen. Manchmal darf das Erlebte einfach nicht zu frisch sein und sollte eine Woche oder länger in der Vergangenheit liegen.
Die Bilder der tollen Scrapbookseiten stammen übrigens von dem wunderbaren Blog How. Den ganzen Artikel zum Thema Notizbücher und Scrapbooks findet ihr hier.