Neulich wurde mir ein Job angeboten. Er hätte mir Spaß gemacht, die Bezahlung war gut und er hätte deutlich mehr Sicherheit geboten, als ich sie aktuell habe. Ich liebe meine Arbeit, meine Projekte und meine unterschiedlichen Aufgaben. Ich bin ausgeglichen und zufrieden und ich brauche eigentlich nichts Neues in meinem Leben. Aber darf man sich aus einem emotionalen Grund heraus gegen das rational Richtige entscheiden?
Rational wäre nämlich, den Job anzunehmen. Mehr Punkte im Lebenslauf, mehr Effektivität, mehr Geld: Eben mehr vom verdammt verführerischen Superwoman-Feeling. Superwomen machen nämlich das Unmögliche möglich. Sie sind extrem effektiv, schaukeln tausend Projekte gleichzeitig und sind selbstverständlich für alle 24/7 erreichbar. Als Superwoman bezahlen wir zwar einen emotionalen Preis, bekommen aber mehr rationale Anerkennung von uns selber und unserer Umwelt. Mit Anfang 20 wäre das für mich eine klare Entscheidung gewesen: Pro Chancen, Karriere, Geld und Superwoman-Status. Ich hätte das als die erwachsenere Entscheidung empfunden: Immer nach vorne sehen und nicht melodramatisch im Hier und Jetzt steckenbleiben. Das Morgen zählt, das Heute ist ständig verbesserungswürdig. Wie ein Mantra sprach mein Kopf mir vor: Du hast immer Kraft. Du hast immer Zeit. Du bist immer stark. Du bist immer vernünftig. Du bist rational und wenig emotional und das ist gut so.
Heute aber zögere ich gewaltig, bevor ich eine weitreichende Entscheidung treffe. Ich habe nämlich irgendwo auf meinem Weg gelernt, dass alles einen Preis hat. Superwoman zu sein kostet meine Psyche und meine Emotionen. Auf meine Psyche und Emotionen zu hören kostet mich andersherum Anerkennung von außen und das Gefühl, Unmögliches möglich gemacht zu haben. Letzteres nicht zu haben, war für mich gleichgesetzt mit Scheitern. Es bedeutete, sich in der Gegenwart auszuruhen, anstatt in die Zukunft zu denken. Heute weiß ich, dass der Preis für meine innere Superwoman hoch ist. Zu hoch sogar. Es ist schön in der Gegenwart und am Besten sollte man so viel Zeit wie möglich in ihr verbringen. Der Idee, seinen Perfektionsanspruch ins Unermessliche steigern zu wollen ist nicht nur eine Sackgasse, sondern hält am Ende auch ein tiefes schwarzes Loch für uns alle bereit. Denn meist merke ich schon in den ersten 3 Minuten, nachdem mir ein Angebot oder eine Chance aufgetischt wurde, dass ich eigentlich ablehnen sollte. Ich spüre diese Traurigkeit, die sich in meinem Körper breitmacht – darüber, dass ich Dinge, die ich liebgewonnen habe, für diese Chance aufgeben muss. Oder aber ich spüre den Druck, eine weitere Aufgabe in mein Leben integrieren zu müssen, obwohl ich völlig ausgelastet und zufrieden mit meinem aktuellen Workload bin. Mir wird unwohl und mein Inneres zieht sich zusammen. Es ist, als würde ich selber über mich ein Urteil sprechen müssen. Ich bin zufrieden und glücklich, aber das darf nicht reichen. 100 Prozent sind genug, aber 500 Prozent sind eben besser.
Ein Nein nach außen ist ein aktives Ja nach innen.
In diesen Momenten muss ich streng zu mir sein und laut und deutlich sagen, dass es sehr wohl mehr als erstrebenswert ist, ausgeglichen und zufrieden zu sein. Dass es sich dabei um den Peak auf der Verlaufskurve von Energieeinsatz und Zufriedenheit handelt. Vor dem Peak ist es anstrengend und nach dem Peak ist es destruktiv. 100 Prozent Zufriedenheit (wohlgemerkt: ich spreche nicht von 100 Prozent Leistung!) reichen nicht nur aus, sie sind ein Traum. 500 Prozent hingegen richten sich gegen mich selber. Ich versuche mir also regelmäßig zu sagen, dass Vernunft erlernt ist und geprägt werden kann und dass emotionale Vernunft einen höheren Stellenwert haben muss als rationale Vernunft. Dass das Leben tatsächlich gestaltbar ist und es keinen vorgefertigten Entwurf gibt, der auf alle Menschen zutrifft – auch wenn einem die Umwelt das zu gerne mal signalisiert.
Den Kampf zwischen dem Streben nach Superwoman und den emotionalen Bedürfnissen auszutragen, ist wahnsinnig anstrengend und kräftezehrend. Aber es ist ein aktiver Prozess. Und aktive Prozesse haben den Vorteil, dass sich aus ihnen Routine entwickeln kann. Je öfter man Nein sagt, für sich selber einsteht und weniger Rücksicht aufs “Chancen nutzen“ und „Sympathien von außen bekommen“ achtet, desto einfacher wird es mit der Zeit. Ein Nein nach außen ist ein aktives Ja nach innen, warum also sollten wir das nicht in unser Leben integrieren?
Ich habe Nein gesagt, weil ich Ja zu meinen Emotionen sagen wollte.
Ich habe den Job nicht angenommen. Die Entscheidung war für mich sehr schwer, sie hat mehrere Tage und viel anstrengendes Hin und Her in Anspruch genommen und mich wahnsinnig müde gemacht. Aber es war die richtige Entscheidung. Ich war erleichtert, als ich endlich den Entschluss gefasst hatte, dass eigentlich alles gut ist, so wie es ist. Dass mir mein Frieden und mein Wohlfühlen gerade sehr heilig sind. Ich habe Nein gesagt, weil ich Ja zu meinen Emotionen sagen wollte. Dabei habe ich gemerkt, dass für sich selber einzustehen wahnsinnig viel Energie loslösen kann, von der man gar nicht wusste, dass man sie hat.
Nur weil Ja-sagen gesellschaftstauglicher ist, heißt das nicht, dass es auch gleichzeitig ich-tauglicher ist. Unsere Umwelt muss nicht mit den Konsequenzen des ständigen Jas leben, wir aber schon. Warum also nicht mal ab und zu das Gegenteil versuchen und mit mehr Nein etwas mehr Gleichgewicht in die Kosten-Nutzen-Rechnung unseres Verhaltens bringen?