Irgendetwas ist im vergangenen Jahr mit mir geschehen, mit meiner Wohlgesonnenheit, mit meinem Gesicht. Letzteres entgleitet mir neuerdings vollkommen unkontrolliert, in ganz unterschiedlichen Situationen, aber meist im Angesicht meiner eigenen Intoleranz. Ich will keine kauzige Fensterbrettrentnerin werden, die sich an den Lastern anderer ergötzt, wirklich nicht, aber momentan könnte man fast meinen, ich sei auf dem besten Weg dorthin. Allem Anschein nach ist mir der Sinn für das antrainierte Dauerlächeln amerikanischer Hollister-Verkäufer gänzlich abhandengekommen, vor allem im beruflichen Bereich. Dabei war ich schon allein wegen meines stark ausgeprägten Drangs nach Harmonie stets sehr gut darin, getreu dem löblichen und liberalen Motto Leben und leben lassen. Jetzt fällt mir das Lassen im Allgemeinen zunehmend schwer, das Schweigen, genau wie das Schleimen und Scheiße hinnehmen, etwa der guten Stimmung zuliebe.
Ich packe es einfach nicht, Höflichkeit und auch diese gewisse gesunde Gleichgültigkeit über meinen inneren Groll zu stellen, wenn mir etwa jemand gegenübersitzt, dessen Gehabe mich an die Grenze des Augenrollens treibt. Wo wir wieder beim Thema der frühzeitigen Vergreisung meinerseits angelangt wären. Um es mal ganz salopp zu formulieren: Ich habe Angst, hochnäsig à la „Ich hasse Menschen“ zu werden und zwar in einer Form, wie ich sie bisweilen immer auf den Tod verteufelt habe.
Besonders im Umgang mit sozialen Medien. Früher hätte ich beim fünften zusammengeschriebenen „garnicht“ in einer x-beliebigen Foto Caption allerhöchstens geschmunzelt – heute ist daraus ein ratloses Kopfschütteln geworden und manchmal entgleist mir sogar ein „ALTER“ mit Fragezeichen dahinter. #Squadgoals mit sich wie Unterwäsche wechselnden Konstellationen lassen meine Armhaare zu Berge stehen, dabei geht es mich einen feuchten Furz an, wer dem Image zuliebe mit wem seine Zeit vergeudet. Ähnliches passiert, wenn ich auf Leute treffe, deren selbstgefälliges Benehmen unübersehbar ist. Es gibt beispielsweise eine Handvoll Kolleginnen, denen Free Drinks so vorzüglich zu schmecken scheinen, dass für ein „Danke“ dem Gastgeber gegenüber offenbar keine Kraft mehr übrig bleibt. Früher dachte ich mir dabei rein gar nichts, heute fallen mir Ungepflogenheiten wie diese dreifach auf. Ich Spießerin. Und dann sind da noch all jene entfernt bekannte Mitmenschen, die sich wie königliche Satelliten ausschließlich um sich selbst drehen und mit Herzlichkeit nicht viel am Hut haben. Ich habe es trotzdem allzu oft mit proaktiver Freundlichkeit versucht, aber langsam geht mir die Puste aus. Und zwar auch in meiner Freizeit. Im Supermarkt zum Beispiel war ich jüngst gewillt, jemandem ein Beinchen zu stellen, der es für wichtig befand, laut zu Schnaufen, weil eine ältere Damen zugegebenermaßen bimmelbahnlangsam nach Kleingeld kramte. Als wäre das Praktizieren von Respekt aus der Mode geraten. Dabei habe ich ja selbst keinen mehr. Vor denen, die mir mit seltsamen Ansichten und zu starker Attitüde gegen den Strich gehen.
Es gibt jetzt mehrere Möglichkeiten und eine davon ist überaus bequem. Ich könnte ganz einfach versuchen, mir einzureden, dass der Prozess, der da gerade in mir stattfindet, ein natürlicher ist, einer, der mit dem Alter kommt und aus dem eigenen sogenannten Ankommen heraus sprießt. Wenn man plötzlich nicht mehr jedem Gefallen muss und möchte, wenn Position wichtiger wird als Pose und man das Vakuum in manchen Köpfen nicht mehr länger erträgt, wenn die eigene Meinung in so weit gefestigt ist, dass Prinzipien im Miteinander (zumindest außerhalb des engsten Kreises) aufeinander knallen, dann kommt es vielleicht automatisch zu Streuverlusten hinsichtlich der eigenen Toleranzfähigkeit. Dann wird man im Umgang mit Unsympathen womöglich selbst unsympathisch, was in der Konsequenz ja aber nicht weiter tragisch wäre. Aber bei Weitem zu einseitig und eitel. Nur weil einer ein Arschloch ist, kann ich schließlich nicht auch zu einem werden. Oder?
Es ist in jedem Fall hilfreich zu begreifen, dass man nicht mit der ganzen Welt befreundet sein kann. Dass man auch mal doof sein sollte, weil Ehrlichkeit Höflichkeit ab und zu eben schlägt. Aber dann muss man sich irgendwann auch wieder zusammen reißen und verstehen, dass die persönliche Freiheit eines jeden, und sei es sogar jene, ein Vollpfosten sein zu dürfen, von mehr Wert ist als die eigenen Ansprüche an andere. Dass Intoleranz per se scheiße ist, außer es geht um braune Schweine und richtig blöde Kühe. Sonst sitzt man irgendwann nämlich wirklich einsam und kauzig und verbittert mit einem Stickmuster am Fenstersims, auf die Welt herabblickend, auf die man irgendwann so wütend wurde, dass sie einem gleich selbst für immer die Freundschaft gekündigt hat. Auf dass mir genau das nicht passieren möge. Ich arbeite dran.