Hatte ich mir die letzten Monate noch aus lauter Altersparanoia die Rübe darüber zerbrochen, ob der 30. Geburtstag in andächtiger Trauer verbracht, demütig ignoriert oder unverhältnismäßig üppig zelebriert werden sollte, bin ich nun zu einem Entschluss gekommen:
Jubiläen aus der Hölle
Im Gespräch, anlässlich des nahenden Tages X mit einem Freund der anderen Seite, der grau melierten Seite, jenseits der Drei vor der Null, kristallisiere sich in Anbetracht der „Kosten-Nutzen“ Rechnung, vorerst die Bedeutungslosigkeit dieser Jubiläumsfeier heraus. Die Zahl, das Datum, als kalendarischer Schwachsinn, quasi. Der „Feierakt zum Runden“, so die Quintessenz, sei wie der Silvesterabend aller Jahre. Ist die am 29. Dezember in den Raum geworfene Frage „Und, was hast du so vor?“. Antwort: Niemand weiß es, keiner hat Bock drauf. Feierfreudige Partyraketen ausgeklammert.
Twen-Polizei
Fest steht, dass sich, wie nach der abgefeuerten Neujahrsrakete, auch nach dem Begießen der Dreißig nicht einfach mit einem Knall im Kopf eine Pforte in eine andere Welt öffnet. So, wie das Erwerben der ambitionierten Fitness-Center-Platincard am 01.01. allein noch lang kein Knack-Po im Mai garantiert, so ist der Ü30 Ausweis nicht die neue Eintrittskarte in einen besonders erwachsenen Lifestyle-Club, come on, zumindest das weiß der Mensch ab (ungefähr) Jahr Null. Nein, das muss jeder Arsch schon schön selbst für sich regulieren. Bleibt die Frage: Will ich ein selbstregulierender Ü30 Mensch sein, als ein Ü30 Mädchen wahrgenommen werden – oder sogar eine offizielle Ü30 FRAU in mir wohnen lassen – da, wo sonst mindestens sieben verschiedene Twen-Gören hausten? Wer prüft nach, ob ich in meiner Single-Bude statt meine Grünpflanzen eingehen zu lassen, jetzt langsam an der Familienplanung tüftle? Stichwort Grauzonen und Gesetzeslücken.
Wer hängen lässt, verliert
Die meisten und wichtigsten ersten Male habe ich in wahnwitzigen drei Jahrzehnten hinter mich gebracht. Krise Nr. 1, gebrochenes Herz Nr. 1, graues Haar Nr. 1 und der ganze restliche Quatsch, verloren beim zweiten Mal schon ihre dramatische Brisanz. Ein angenehmer Gleichmut legt sich über das Dasein. Das kann entspannen oder so richtig Angst machen. Immerhin ist das Alter in unserer Gesellschaft der Weg an die Macht. Alterspaniker verteufeln diesen Gelassenheitsvorgang, ganz in Versäumnis-Anhäufer Manier, deshalb als Feind, den es mit aller Kraft zu bekämpfen gilt. „Dem Alter seinen Lauf zu lassen“, ist nach deren Definition nur ein Euphemismus für jämmerliche Kapitulation. Falten und Hautlappen tatenlos beim Rutschen zuzusehen oder den Menschen beim Ausgehen, mündet alternativlos ohne Umwege in Altersmilde-Nachlässigkeit-Demenz-und-einsamen-Tod. Ich dagegen sage: Alle guten Dinge bringen Lässigkeit. Und genau diese Coolness, glaube ich nach einer intensiven „Dreißig Jahre Sarah“-Bestandsaufnahme und damit gefressenen Altersweiheit, in mir aufkeimen zu spüren. Erlebnisse sind von nun an nicht mehr Neuland und Ausderbahnwerfer. Auch dank des erlernten Bewusstseins: Selbst die zerficktesten Herzen heilen irgendwann; dran gelassene graue Haare ebnen nicht automatisch den Weg in den gesellschaftlichen Selbstmord und: Ideen sind nicht mehr nur dazu da, sie am selben Abend in Exzessen trinkzuvergessen.
Wohin nun mit der verschwendeten Jugend?
Das muss man sich mal vorstellen: Eine Billiausend Möglichkeiten, wie mein Leben verlaufen könnte, reduzierten sich über die Kindertage auf Tausende, in den Teeniejahren auf Hunderte und kochten in der Zeit von Zwanzig auf Dreißig mal eben im Vorbeigehen auf gerade noch drei Hände voll ein. In den Wochen vor den Dirty Thirty (bah!), wurde es dann nochmals kritisch, weil dann die beiden rausdestillierten, Richtungsschilder im Leib aufleuchten. Bis hier her habe ich mich hinlänglich ausprobiert, ausgetobt, verlaufen, verrannt und praktischerweise aber auch gleich aus Fehlern und Erfolgen Schlüsse für meine kommende Richtungsentscheidung gezogen. So, und jetzt latsch ich den gewählten Weg eben drauf los. Chillig.
Einschub
18-Jähiges Ich, 50-Jähriges Ich:
Diese Zeilen wurden gekürzt und der Öffentlichkeit unzugänglich in eine Schatztruhe unter dem Meer versenkt. Aus Gründen.
Ü30 Party – Ich will das so
Ich bin gespannt und hungrig, wie die Kids heute sagen, auf meine Dreißiger. Man munkelte schon Sagenhaftes über diese Jahre, ich lass‘ mich da entspannt überraschen. Und weil ich Bock habe und dieser Anlass anscheinend doch sehr wohl gefeiert werden will, lass ich am Sonntag mit meinen engsten Freunden die Kuh fliegen. Wer sagt denn, dass mein 30-Ich und mein 20-Ich nicht ab und zu gemeinsam Hand in Hand eskalieren dürfen?
Und weil man mit 30 jetzt auch endlich Gedichte rezitieren darf:
Heimatlos
Mit meinem Seidenkoffer
reise ich in die Welt
ein Land nüchtern
eins toll
die Wahl fällt mir schwer
Ich bleibe heimatlos
In diesem gleichmütigen Flow und nach Dreißig Jahren Rumeiern, endlich mit dem nötigen Cash für Party-Wochenenden auf Schlössern in der Partykasse ausgestattet, sage ich: Cheers, auf mich!