Ich war gerade dabei, eine kleine Lobeshymne auf all jene Modehäuser zu verfassen, die in Zeiten wie der jetzigen klar Stellung beziehen. Die sich – im Fall der Fälle – weigern würden, einem Mitglied der Trump Familie je kostenlos feinen Zwirn zur Verfügung zu stellen (Joseph Altuzarra, Tom Ford, Sophie Theallet, Opening Ceremony, Marc Jacobs), die den Protest auf den Laufsteg holen (wie etwa Lala Berlin, die auf ihrem Runway ein Plakat mit dem Schriftzug „I Am An Immigrant“ in den Händen hielt, um gegen „die Attacken auf die Menschenwürde“ zu protestieren), die sich im Kollektiv dazu entscheiden, wenig subtil, aber dafür volle Pulle die Liebe zu propagieren. Wie OC mit dem Launch der Global Varsity Jackets. Oder Ganni mit seiner #Lovesociety zum Beispiel. Oder Demna Gvasalia, dessen Schriftzüge für die Balenciaga-Kollektion nicht nur zufällig an das rot-weiße „Bernie Sanders“-Logo erinnerten. Da stolperte ich in Kommentarspalten, aber auch auf Blogs und in Magazinen schon alsbald auf ein paar wenige Kritiker*innen, die das „Aufstehen“ der Modebranche ganz entgegen meiner eigenen Empfindungen als „cleveres Marketingkalkül“ abfertigten. Oder zumindest danach fragten, wie politisch Mode eigentlich sein darf.
Ich stutzte nur kurz, antwortete mir selbst mit den Worten „sie MUSS sogar“ (wie Journelles übrigens auch), stöberte zunächst weiter und fand in Raf Simons Menswear Show schließlich Gaffa Tape statt Gürtel vor. Der Designer erklärt dazu: „I wanted to go back to how I experienced New York in the beginning and combine it with how I experience it now. So this fresh young direction to the city and everything it stands for—and what is happening now. (…)Ask me do I think that you should stand up against what is happening in this country, then I say yes.” Vermutlich werden während der kommenden Modewochen noch etliche Beispiele folgen. Und obwohl ich der Meinung bin, dass das kritische Hinterfragen kapitalistischer Strukturen ebenso wie das Anprangern cleverer Marketing-Streiche zu jedem Zeitpunkt unabdingbar sind, kann ich in diesem Fall nur weiter auf meinem Standpunkt beharren, der sich ganz deutlich für das Nutzen jeglicher medialen Power „for a good cause“ ausspricht. Ganz gleich, ob oder wie damit zeitgleich das eigene Portemonnaie gefüllt wird. Am liebsten würde ich sogar sagen „eben darum“. Weil ich der Diskussion, die einst mit dem Fame-inismus begann, längst überdrüssig bin.
„We wanted to celebrate the fact that the America we know is comprised of a diverse and expansive group of nations. To do so through our iconic varsity jacket felt like a perfect way to highlight each country’s unique attributes – through colour, symbols and patterns.“ – Humberto Leon & Carol Lim, Opening Ceremony.
2015 regte man sich noch über „Radical Feminist“ Slogans bei Acne Studios auf, heute ist das Tragen der eigenen Überzeugung zur Selbstverständlichkeit geworden, wenngleich noch immer darüber gestritten wird. Ich halte es da strikt wie Autorin Julia Korbik, die konstant Ted Talks zum Thema hält und „Stand Up“ auf den Markt brachte:
„(…)Und wenn es nun so ist, dass eine junge Frau dank Miley Cyrus (O-Ton „Ich bin die größte Feministin der Welt!“) Lust bekommt, sich mit dem Feminismus und der dazugehörigen Bewegung zu beschäftigen, finde ich das ziemlich großartig: Celebrity-Feminismus als Einstiegsdroge. Von da aus ist es bis zu Texten von Simone de Beauvoir, Roxane Gay oder Gloria Steinem nicht mehr ganz so weit.“ Mode funktioniert für mich nach ähnlichen Mechanismen, aber vor allem als Sprachrohr. Und davon kann es gerade jetzt nicht genug geben.
Das oft angewandte Argument des „cleveren Marketings“ zieht darüber hinaus nur bedingt. Für uns, für jene, die das hier schreiben oder lesen, gilt noch immer das Gesetzt der Blubberblase, in der wir uns befinden. In ihr ist man politisch, interessiert oder gar beides zusammengenommen. In all unserer Aufgeklärtheit sollten wir uns aber schleunigst daran erinnern, dass womöglich sogar die Mehrheit der Masse für Bequemlichkeit plädiert. Ich kann euch keine nennenswerte Statistik zur Hand geben, aber beim Betrachten der Gesellschaft komme ich nicht um jene umher, die lieber unpolitisch bleiben. Die im Privaten diskutieren, statt öffentlich Stellung zu beziehen, schon gar nicht durch Kleidung. Für die ein klares Statement von Seiten eines Designers tendenziell kein Kaufsargument ist, ganz im Gegenteil sogar. Reden wir hingegen von Marken wie Ganni, die mit ihren Herzen geradewegs den Hunger ihrer Zielgruppe nach einem weltverbessernden Image stillen, stehen wir vor einem ganz neuen Kritikpunkt. Aber eben auch einem, dem ich nur bedingt zustimmen kann.
Pi etwa kommentierte:
„(…)und da ist es schon ein bisschen denkwuerdig, wenn die kuenstlerische intention als so weltverbesserisch dargestellt wird, ausser schoenen worten aber nichts dahinter stehen zu scheint, findest du nicht?
wenn liebe und achtsamkeit der kuenstlerseele wirklich so wichtig waeren, wie sich hier huebsch auf die fahnen geschrieben wird, dann koennte man ja vielleicht auch auf einen klitzekleinen teil der riesigen marge verzichten, um die welt ganz in echt ein wenig besser zu machen.“
Bei aller Sympathie für diese Zeilen, bin ich zunehmend genervt von Einwänden wie diesen, die gefühlt von Emotionen, nicht aber durch Argumentation genährt werden. Es ist mir zu einfach, von anderen stets „mehr“ einzufordern. Mehr Echtheit, mehr Engagement, mehr alles. Aber wo soll der Anfang sein? Wer darf seinen Mund noch aufmachen, reagieren oder sogar aus freien Stücken handeln, wenn dazu eine lupenreine Biographie vonnöten ist? Sähen wir die Welt zunehmend durch die Zeigefinger-Brille, würden wir Labels wie Ganni vermutlich lieber mögen, wenn die Designer*innen dahinter den Schnabel hielten. Wer kein Statement setzt, ist schließlich wenig angreifbar. Wer hingegen einen ersten Schritt wagt, steht plötzlich im Kreuzfeuer. Verkehrte Welt, wenn man mich fragt.
Pi schrieb außerdem: „mir haengt dieses oberflaechliche weltverbessertum zur ankurbelung des konsumes ohne wirklichen inhalt und konsequenzen wirklich zum hals raus, und ich fuehle mich von vielen marken als konsument grade echt ein wenig veraeppelt.“ Im ersten Moment nicke ich. Im zweiten aber frage ich mich ernsthaft, ob man einem Brand wirklich vorwerfen kann, verkaufen zu wollen. Vermutlich schon, das geht ja immer. Aber ich fühle mich tatsächlich in keinster Weise berechtigt dazu, den Machern dieser Mode jegliches echtes Interesse an der politischen Lage dieser Welt abzusprechen. Designer*innen sind Menschen. Menschen, die nach Inspiration suchen, die Gespräche führen, den Zeitgeist aufsaugen um umsetzen und nicht tatenlos zusehen wollen – trotz besagter Verkaufsinteressen, die wohl jedem vergleichbarem Beruf innewohnen.
„(…)Die Welt fühlte sich – und tut es immer noch – wie ein dunkler Ort an. Die Kollektion trägt den Titel Love Society und ist meine Form eines Beitrags zur Lage. Ich halte an dem Ideal einer liebenden, achtsamen Gesellschaft fest. Eine, die den Dialog sucht, uns auffordert zusammenzustehen und aufeinander acht zu geben. Mit Liebe gibt es immer Hoffnung.“ – Ditte Reffstrup, Cretative Director.
Auch die Deutsch-Iranerin Leyla Piedayesch (Lala Berlin) hat sich mitunter aus persönlichen Gründen für den öffentlichen Protest entschieden: „Wir haben den ganzen Dienstag gefittet und ich bin relativ aufgelöst, nicht überarbeitet, aber total gestresst um zehn Uhr ins Bett gegangen und konnte dann aber nicht einschlafen. Dann habe ich im Grunde genommen die ganze Nacht über Facebook gehangen und alle Nachrichten mal mit Hintergrund und allem drum und dran durchgelesen. Da hat mein Kopf geglüht und dann habe ich mir irgendwie überlegt, dass ich da jetzt was machen muss. Und das Ergebnis war dann eben, dass ich am nächsten Tag das Schild vorbereitet habe und dann raus damit gegangen bin.“ (Dandy Diary)
Wie könnte ich es mir also je anmaßen, diese persönlichen Prozesse an den Pranger zu stellen, sie als nichtig oder Kalkül abzustempeln? Das funktioniert tatsächlich nur ohne wenn und aber, wenn ich die Mode als solche von jeglicher Disziplin der Kunst separiere. Wenn ich ihren Wert als reines Konsumgut letzten Endes über alles andere stelle. Dabei ist die Mode, ob kommerziell oder nicht, zudem sogar ein sehr beachtliches Teilfeld der Kunst und Designer somit Künstler, die immer wieder die Chance haben, gesellschaftliche Entwicklungen in ihren Kollektionen zu verarbeiten, wachzurütteln. Ich bin dankbar dafür. Denn wenn nur ein einziger Betrachter aufgrund eines Schildes auf dem Laufsteg oder eines Slogans auf einem Pullover damit beginnt, nach weiteren Antworten zu suchen, dass war rein gar nichts umsonst. Und dann ist mir der daraus folgende Profit als Beigeschmack wirklich lieber als stilles und damit unanfechtbares Nichtstun.