Es gibt Menschen, denen scheint Gleichberechtigung einfach egal zu sein. Warum? Und wie geht man mit ihnen um? Ein Erklärungsversuch.
Es passiert immer wieder. Auf Veranstaltungen, im Bekanntenkreis, bei Familientreffen. Manchmal unerwartet – so richtig von hinten durch die Brust ins Auge –, öfter jedoch wenig überraschend und mit einem innerlichen Seufzen bereits antizipiert. Da ist zum Beispiel die junge Frau auf der Party, die mich während eines eigentlich sehr netten Gesprächs zum Thema Gleichberechtigung plötzlich herausfordernd fragt: „Du bist Feministin? Heißt das, du willst nicht, dass ein Mann dir die Tür aufhält?“ Oder die Besucherin einer Lesung, die mir erst erklärt „Feminismus? Schon der Begriff ist ja ganz falsch. Es geht doch um Gleichberechtigung, nicht um Frauen“, und dann nachschiebt, sie sei auch ohne Feminismus emanzipiert. Oder die Bekannte, die in geselliger Runde erzählt, sie wolle zwar auf jeden Fall Kinder, das sei gerade für Frauen aber schwierig mit dem Job unter einen Hut zu bringen. Nur, um dann schnell zu verkünden: „Also, ich bin jetzt aber keine Feministin oder so!“.
In solchen Situationen muss ich immer sehr aufpassen, dass aus meinem inneren kein tatsächliches Seufzen wird. Vorurteile oder Missverständnisse lassen sich schließlich nicht einfach wegseufzen. Also lächle ich freundlich und fange an, meinem Gegenüber zu erklären, wie das wirklich ist. Mit dem Feminismus, der Gleichberechtigung und so. Dass jede Menge Leute aus verschiedenen Gründen ein Problem mit Feminismus haben, ist nichts Neues. Und daran werden auch Magazin-Cover wie das der aktuellen Glamour („Girls Club – Warum Feminismus cool ist, wer mitmacht (auch Männer!), wie man ihn trägt, wieso er nicht nervt!“) so schnell nichts ändern. Vorurteile sind aber nur das eine. Schwieriger ist Gleichgültigkeit.
Immer mehr Freiheiten
Wie oft passiert es mir, dass ich mich über Trumps Sexismus, das Frauenbild der AfD, restriktive Abtreibungsgesetze in Polen, Diskriminierung von allem, was nicht heterosexuell ist, Rassismus und frauenfeindliche Darstellungen in Funk und Fernsehen aufrege. Und mein Gegenüber einfach die Schultern zuckt: „Ja, mag sein, aber das betrifft mich einfach nicht.“ Eine Haltung, die ich jedes Mal aufs Neue erstaunlich und schockierend finde. Wie kann einem all das egal sein? Eine Frage, die mir übrigens mindestens so oft von verzweifelt-geschockten Bekannten und Freund*innen gestellt wird, die ähnliche Situationen erleben. Wie, ja wie?
Eine Doktorarbeit zu diesem Thema habe ich nicht verfasst, aber ich habe ein paar Vermutungen. Da wäre zunächst mal das Mantra von individuellem Potenzial und dem allgegenwärtigen „You go!“. Wir alle sind für unser Glück selbst verantwortlich und wer will, der kann auch – was zählt, sind allein Leistung und der Wille zum Erfolg. Für die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie spielt der soziale Prozess der Individualisierung dabei eine wichtige Rolle. Ihre Analyse sieht so aus: Im neoliberalen Gesellschaftssystem gebe es – zumindest laute so das Versprechen – immer mehr Freiheiten. Die Möglichkeit zur eigenen Teilhabe – im Englischen heißt das agency – nehme zu. Junge Frauen könnten und sollten ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Die Gesellschaft als Ganzes gerät dabei natürlich aus dem Blick: Staat und Gesellschaft werden nicht in die Verantwortung genommen, sondern jede*r Einzelne*r.
Die eigene Person als Ausnahme
Das Paradoxe ist: Viele nehmen Ungleichheiten durchaus wahr. Aber mit ihnen selbst und ihrem Leben hat das Ganze wenig zu tun. Das liegt vermutlich daran, dass sie die kleinen und großen Unterschiede gekonnt ignorieren und denken, das seien Einzelphänomene. Hierzu passt ein Ergebnis vom Update 2013 der Brigitte-Studie Frauen auf dem Sprung, welches zeigt, dass die Gesellschaft kritischer beurteilt wird als der eigene Lebenslauf. In der Studie heißt es: „In der Wahrnehmung stagniert die Gesellschaft, in mancher Hinsicht geht es sogar bergab. Die Befragten selbst aber halten sich wacker und gewinnen gegen die wahrgenommene allgemeine Tendenz.“ Die eigene Person als Ausnahme.
Vielleicht besteht das eigentliche Problem aber darin, dass der Feminismus als Bewegung zu erfolgreich war. Denn trotz der ganzen Ungleichberechtigung, die uns heute noch fies ins Gesicht lacht: In den letzten Jahrzehnten hat sich doch eine ganze Menge getan. Und mit diesen Errungenschaften der Frauenbewegung sind wir aufgewachsen. Das vergessen viele Menschen aber gerne mal – sie vergessen, dass sie selbst sich vor allem dank des Feminismus in der privilegierten Position befinden, Gleichberechtigung eher unwichtig finden zu können. Vielleicht wollen sie schlicht nicht daran erinnert werden, dass es Strukturen und Systeme gibt, die Frauen und Minderheiten benachteiligen – und daran, dass Individualismus ab einem bestimmten Punkt nicht weiterhilft. Ja, „You go“. Aber in vielen Fällen eben nur bis zu einem bestimmten Punkt und nicht weiter.
Der Blick öffnet sich – manchmal
Bleibt die Frage, was man der „Mir doch egal“-Fraktion antwortet. Ganz ehrlich: Die ultimative Lösung habe ich noch nicht gefunden. Es kommt ja immer auf die Situation an: Kennt man sein Gegenüber gut? Oder eher nicht? Hat man ein bisschen Zeit zum Argumentieren und Überzeugen? Oder eher nicht? So oder so: Die wenigsten dieser Gespräche enden mit großer Erleuchtung und Worten wie: „Jetzt weiß ich, was du meinst! Gleichberechtigung, yeah! Voll wichtig!“. Und manche Menschen sind schlicht aufklärungsresistent. Aber manchmal bleibt eben doch was hängen. Der Blick öffnet sich und vielleicht gibt es sogar ein Erlebnis, das den Blick und die eigene Einstellung nachhaltig verändert. Mehrfach begegneten mir Wochen, Monate später ehemalige Anhänger*innen der „Mir doch egal“-Fraktion, denen das alles jetzt doch nicht mehr so egal war. Weil sie mittlerweile am eigenen Leib oder zumindest unmittelbar erfahren hatten, dass eben doch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist.
Ich habe also keine ultimative Lösung, außer: Reden. Überzeugen. Weitermachen. Trotz allem. Auch wenn es sich nutzlos anfühlt, auch wenn es frustriert. Denn noch frustrierender wäre, wenn uns die „Mir doch egal“-Haltung tatsächlich egal wäre.