Ich werde nicht selten gefragt, wie ich das eigentlich alles so wuppe als Alleinerziehende. Zunächst einmal muss ich mein Gegenüber dann sehr schnell korrigieren, denn ich bin ja gar nicht allein, das Kind hat glücklicherweise nach wie vor einen Vater und wenn man mich fragt, sogar den besten. Wir leben das 50/50 Modell – etwa alle drei Tage wechseln wir uns ab. Lio hat demnach also nicht nur ein Zuhaue, sondern gleich zwei. Das findet der kleine Mann prima. Und auch seine Eltern. „Ja, aber klappt das denn?“ lautet meist die nächste Frage, und: „Ist das nicht komisch, sich trotz Trennung ständig zu sehen?“ – Nein, kein bisschen. Dann kommen die ungläubigen Blicke, hin und wieder legt sich auch die Stirn, die mir da gegenüber steht, in hässliche Falten, aha. Ganz selten, wenn ich auf Krawall gebürstet bin (was mir mit zunehmendem Alter tatsächlich häufiger passiert), liefere ich im Angesicht der aufkeimenden Skepsis quasi auch schon rein prophylaktisch eine kurze Erklärung zum Ist-Zustand. Dass das alles so wunderbar funktioniert, höre ich mich regelmäßig runterrattern, liegt vor allem daran, dass wir uns rechtzeitig dazu entschieden haben, das gewohnte Familien-Konstrukt aufzugeben, um uns einem neuen Modell zu widmen. Im Namen der Freundschaft.
„Man soll gehen, wenn’s am schönsten ist“, heißt es schließlich und ich finde, da ist auch in Beziehungsdingen was dran. Zwar bin ich keineswegs der Meinung, dass man schon mit Schmetterlingen im Bauch die Biege machen sollte, um sich ja frühzeitig vor potenziellen Messerspitzen in der Magengrube zu bewahren. Aber immerhin rechtzeitig. Obwohl das Abbiegen auf den Solo-Weg oft viel mehr Mut erfordert als das Bleiben. Kämpfen kann helfen und ist unabdingbar, solange noch ein Funken Liebe da ist. Und parallel dazu die Gewissheit, dass man trotz aller widrigen Umstände und Durstrecken noch immer gewillt ist, sich irgendwann einmal gemeinsam ins Rentner-Exil zu verabschieden, um wackelige Enten dick zu füttern. Allerdings fürchte ich, dass wir allzuoft versuchen, an etwas festzuhalten, das mehr Mittelmäßigkeit als echtes Glück verspricht. Aus Bequemlichkeit, vor allem aber aus aus Angst. Vor der Ungewissheit, lästigen Konsequenzen und dem Alleinsein.
Es ist also ganz zweifelsohne nicht leicht, sich an einem gewissen Punkt mit aller Kraft für sich selbst zu entscheiden und damit für das Aufgeben eines anderen, eines „Wirs“. Am Ende hilft aber vielleicht die früher oder später einsetzende Erkenntnis, dass man einen solchen Schritt im besten Fall nicht nur aus Selbstgefälligkeit wagt, sondern, ganz im Gegenteil, für den Seelenfrieden aller Beteiligten. Ich bin mir fast sicher, dass man nach einem intensiven Hineinhorchen ins Herz und einer kurzen fiktiven Zeitreise in die Zukunft insgeheim sehr schnell dazu in der Lage ist, die Dinge klar zu sehen. Bloß wollen wir manchmal nunmal gar nicht mit der Wahrheit konfrontiert werden, sondern lieber noch ein wenig in Zuversicht ersaufen. Trotz böser Vorahnung. Nahezu dutzendfach bleibt dann nur noch zu hoffen, dass ein anderer kurz vor knapp den Stöpsel zieht. Vor dem großen Rosenkrieg. Dann, wenn zumindest noch Respekt übrig ist. Wir kennen sie ja alle, die Paare, die sogar in apokalyptischen Verhältnissen nicht loslassen können. Ich war selbst schon Teil eines solchen, na klar. Irgendwann beschloss ich jedoch, dass es mir künftig zu mühselig sein würde, jahrelang in Richtung Bratpfanne zu äugen, zu argumentieren und streiten, obwohl ich sicher sein konnte, dass sich nichts ändern würde und wenn, dann nur temporär. Weil man Menschen eben nur selten ändern kann und sollte. Scheiße schwer zu erlangen ist dieses Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit. Wie vielen hoffnungslosen Romantikern bleibt besagtes Reißleinen-Glück im Unglück deshalb verwehrt, wie viele von uns werden eines Tages aufwachen und sich für alles nicht Gewagte mit aller Kraft in den Arsch beißen, für die verlorene Freiheit und die Chance auf Harmonie. Und trotzdem immer weiter machen und sich unermüdlich einreden, dass es weitaus schlimmeres gibt, als nur fast zufrieden zu sein. Stimmt ja auch. Aber nichts geht über ein echtes Happy End. Und wirklich überhaupt rein gar nichts geht außerdem über das Wohl unserer Kinder, die gewiss viel lieber glückliche Eltern in getrennter Freundschaft als unglückliche Eltern in gemeinsamer Feindschaft haben.
Irgendwann darf man trotzdem wieder aufstehen und auch ein bisschen unvernünftig sein, jedenfalls wenn man mich fragt. All in sozusagen – diese Mutprobe gehört nämlich auch zur ganz großen hoffentlich finalen Liebe dazu, die allen Schwierigkeiten zum Trotz durchaus so köstlich sein kann wie Süßkram aus einer Papiertüte. Meinen Fast-Mann etwa kenne ich eigentlich schon seit immer. Und schon wieder halten die Leute uns für verrückt, denn wir sind nicht nur schon vor sieben Jahren an uns gescheitert, nein, er mag zudem die Berge und ich viel lieber Beton. Leicht ist das nicht. Aber vollgestopft mit Liebe. Und deshalb finden wir, einen Versuch ist wert. Sogar einen langen. Aber sollte ich irgendwann einmal mehr sauer als sorglos oder der Meinung sein, er habe eine Extremsportlerin mit Gleitschirm-Lizenz verdient und ich jemanden, der lieber daheim hockt, als wochenlang gegen den Wind anzusegeln, dann werde ich freiwillig gehen. Wir werden gehen. Weil wir uns lieben und sich lieben heißt nunmal auch, dem anderen nur das Beste zu wünschen.