Schon vor einiger Zeit habe ich von meinem vermeintlichen Scheitern berichtet – davon, dass mein Streben nach umfassender Nachhaltigkeit mich fast die Fürsorge für mich selbst gekostet hätte. Ich nahm mir fest vor, nicht mehr so streng mit mir zu sein und mir das ewige Mantra, dass ich andere so gerne vorbete, auch einfach mal selbst zu Herzen zu nehmen.
„Nur weil man nicht alles richtig machen kann, heißt das nicht, dass man alles falsch machen muss“ – soll in meinem Fall heißen: Nur weil ich es nicht 100 Prozent schaffe, ist es nicht so, als würde ich nichts hinkriegen. Gesagt getan, ich rede also seitdem regelmäßig beruhigend auf mich ein. Und es hat funktioniert, ich habe mich besser gefühlt, für ganze 3 Wochen. Dann hatte ich alles wieder vergessen. Meinen Text, die Nachsicht mit mir selber und meine anderen Zielsetzungen.
Ich startete nochmal einen neuen Versuch, mit voller Kraft und Disziplin zum fairen Kleiderschrank. Denn ich mag es nicht, wenn es einen auf dem Papier idealen Zustand gibt und ich ihn nicht erreichen kann. Aber: Alles, was ja eigentlich Spaß machen soll an so einem Projekt, artete nach kurzer Zeit wieder in eine Hausaufgabe aus, die ich mir selber auferlegt hatte.
Fair gehandelte und nachhaltige Kleidung ist teuer – und zwar extrem viel teurer als H&M oder ähnliche Modehäuser. Das ist vielleicht keine sonderlich neue Erkenntnis und ich kenne auch alle Argumente für ethisch einwandfreie Mode, aber was wahr ist, muss wahr bleiben. Klar, ein Armedangels T-Shirt bekommt man schon für 30 Euro, ebenso eins mit Funktionsschnitt. T-Shirts sind allerdings auch mein kleinstes Problem, denn erstens trage ich gar nicht so viele und zweitens gibt es die mittlerweile in fair und bezahlbar wie Sand am Meer. Aber was ist mit Blusen, Mänteln, Schals, Bodies und Jeans? Auch die möchte ich in einer ethisch produzierten Version besitzen, aber gleichzeitig auch nicht auf modischen Anspruch und Ästhetik verzichten. Denn nein, eine Bluse ist nicht gleich eine Bluse. Ich möchte keine Jeans, die so konzipiert wurde, dass sie möglichst 70% der Bevölkerung irgendwie passt und wenn mir noch ein einziges Mal jemand einen „nachhaltigen“ Schal aus 100% Acryl (Hello, Mikroplastik) andrehen will, flippt mein ökologisches Bewusstsein aus. In Wahrheit nämlich schmachte ich den klassischen Acne Schal aus Wolle an, möchte mir bei COS eine Bluse kaufen oder finde einfach keine bezahlbaren Boots aus Kunstleder, die nicht oberhässlich sind.
Aber trotzdem: Ich blieb hart. Stundenlang durchforstete ich das Internet nach ethisch schöner Kleidung, die mein Herz höher schlagen lässt. Bestellte links und rechts Pakete, um sie dann wieder enttäuscht zurück zu schicken (und das Co2-Thema in Sachen Internethandel fange ich jetzt gar nicht erst an). Und am Ende fand ich sogar ein paar Teile, nach denen ich ewig gesucht hatte. Die habe ich mir dann gekauft – und mein Erspartes von fast drei Monaten dafür aufgebraucht. Das ist für mich völlig in Ordnung und ich habe mich auch über meine Funde gefreut, aber sie machen eben auch maximal 15 Prozent meines Bedarfs an Kleidung aus – und dabei versuche ich wohlgemerkt das Konzept Capsule Wardrobe konsequent zu leben und generell möglichst wenig zu besitzen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir auch fast nie Second-Hand Kleidung gekauft, denn die wurde ja auch nicht fair produziert, sondern ist „nur nachhaltiger“. Das reichte mir aber nicht, ich wollte das Maximum erreichen und kann heute sagen: Selbst mit eiserner Disziplin und dem finanziellen Verzicht auf schöne Dinge würde ich mit einem 100 Prozent fairen Kleiderschrank bankrott gehen – vorausgesetzt ich würde ihn überhaupt befüllen können.
Ich habe es nicht geschafft, ich bin gescheitert. Es ist einfach zu früh für den perfekten Kleiderschrank, die Nachfrage viel zu klein und die Preise unmenschlich. Es ist ehrlich gesagt erleichternd, das einmal auszusprechen. Nachdem ich etwa eine Woche mit meiner eigenen Wut gekämpft habe und endlich irgendwann einsah, dass ich sowieso nichts gegen den Status Quo tun kann, machte ich meinen Frieden mit dem zweitbesten Schritt und beäugte die etwas vernachlässigte Freundeschaft mit Second-Hand-Kleidung noch einmal genauer.
Kleiderkreisel, Ebay und Co sind aktiviert, die besten Vintagespots für die nächste Städtereise recherchiert und zu meiner eigenen Freude kann ich endlich wieder sagen: Mode macht mir Spaß. Ich kaufe nach wie vor nichts tierisches, auch nicht gebraucht. Und ich versuche mich – auch wie vorher – an einem sehr gemäßigten Konsum. Aber dieses Gefühl, endlich wieder ein Kleid, einen Rock oder eine Faux Lederjacke zu haben, die wunderschön sind und zu mir passen: Es ist unbeschreiblich.
Es ist schwerlich eine neue Erkenntnis, dass das, was ich trage, einen Einfluss darauf hat, wie ich mich fühle und damit dann wiederrum darauf, wer ich bin. Manch einer mag das als erste-Welt-Problem bezeichnen, aber die Wahrheit ist: In der ersten Welt sind erste-Welt-Probleme eben tatsächlich echte Probleme. Ich möchte mich nicht mehr jeden Tag dafür geißeln, dass ich es nicht schaffe, ein Fair Fashion Label zu unterstützen. Dass mein Wunsch nach schöner Kleidung größer ist als der Wille nach Verzicht. Dass ich alleine nicht dafür sorgen kann, dass nachhaltige Klamotten erschwinglich sind. Dass ich nicht perfekt sein kann.
Umso mehr werde ich mich über jedes fair produzierte, biologische Kleidungsstück freuen, das den Weg in meinen Schrank findet. Aber ich mache es nicht mehr zu meiner Top-Priorität. Denn zur Zeit kann ich da nur verlieren. Es ist vielleicht einfach noch zu früh.
Credits: Pinterest (Giorgia Hawkins, iconosquare)