Black Girl Confessions // Von der Kunst, ein wütendes Leben zu führen

27.06.2017 Wir, Leben, box3, Kolumne

Zurzeit versuche ich meine Emotionen besser in den Griff zu bekommen und rationaler zu werden. Erwachsener für mein Verständnis. Ich will nicht mehr so herausschreien, was in meinen Kopf schießt und vor allem vorher noch einmal kurz bedenken, was ich eigentlich sagen will. Ob das überhaupt ok ist, dieses und jenes so zu formulieren oder ob mich die Materie überhaupt etwas angeht. Auf meiner eigenen Baustelle bleiben. Selfreflection is key. Aber was ist mit den Momenten, in denen man sich so absolut nicht mehr zu beherrschen weiß und vor Empörung und Wut spuckt und sich die Wörter vor lauter Hektik überschlagen?

„Du bist aber aggro“. Wenn man etwas zu oft über sich hört, springt man selbst mit dem halben Bein auf den fahrenden Zug. Schon wieder so ein Balanceakt. Von der Kunst, ein wütendes Leben zuführen.

Das Letzte was ich will, ist auf die Tränendrüse drücken oder gar anfangen zu jammern, aber diese „Aggro-Fabi“ Kiste fing schon echt früh an. Ein lautes, etwas zu groß geratenes Kind, stets zerzaust aussehend dank Baby-Afro und furchtlos musste ich durch die Welt spaziert sein. Stand im Prinzip schon sehr ähnlich in meinem Grundschulzeugnis, meine Mutter zitiert es bis heute: „Schießt manchmal übers Ziel hinaus“. Was soll das heißen? In der Tat hatte ich in jüngeren Jahren wenig Angst meinen Mund aufzumachen, weniger als heute allemal und das, obwohl ich doch so oft so wütend bin. Vom Angry Black Girl, zur Angry Black Woman – aber was bedeutet diese Phrase überhaupt?

Der Stereotyp Angry Black Woman ist geprägt von der nordamerikanischen Vorstellung der schwarzen Frau und beschreibt das Auftreten von Woman of Colour als laut und zu stark, stur und geprägt von dem Problem, ein aufbrausendes Naturell in den Griff zu bekommen. Diese ganzen Eigenschaften entsprächen eben nicht dem allgemeinen Frauenbild und seien darum grundsätzlich weniger weiblich, eher maskulin, verstärkt durch muskulösere Körper, laute Organe, das gesamte Auftreten. Wir werden gern über einen Kamm geschoren, wie ihr vielleicht merkt. Heute kann man sich Stereotypen beim Serien Bing Watching oder auf der Kinoleinwand anschauen. Da wir der schwarze, weibliche Charakter all zu oft vorlaut, eher ruppig und zu selbstbewusst für das weit verbreitete Verständnis einer „Frau“ dargestellt. Dieser wechselt dann ab und zu mit denen der korpulenten Mammy, die sich um das Haus kümmert und der Jezebel, einer sexy exotischen Schönheit, die Männern den Kopf verdreht. Danke an Produktionen wie Girls United und Grey’s Anatomy, in denen erstere charakterstarke und aufbrausenden Frauen zum einen in Form von schwarzen Cheerleadern oder Dr. Miranda Bailey zu betrachten sind. Wenn man auf die genannten Eigenschaften achtet, wird fix klar, dass sich diese Darstellung durch viele Formate durchzieht, als würden Filmemacheri*innen einer Art Regelwerk folgen.

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Du bist zu laut, um feminin zu sein, deine Stimme zu tief, deine Statur zu kräftig, dein Auftreten zu wenig sensibel und zart. Da ich in Deutschland lebe, war mir der Angry Black Woman Begriff eher beiläufig bekannt, doch als ich neulich einen Artikel auf Huffpost Black Voices las, hat es bei mir im Kopf so sehr klick gemacht, dass mir vor lauter neuer Erkenntnis richtig schlecht wurde. Auch mir wurde meine Weiblichkeit aufgrund meiner tiefen Stimme, meiner breiten Schultern oder meines Auftretens schon oft abgesprochen, als würde es nicht infrage kommen, dass schwarze Frauen bzw. alle Frauen, die nicht dem idealisierten Körperbild von schmal oder zierlich entsprechen, keine hohe Stimme haben oder nicht zerbrechlich anmuten, weiblich sind. Als wären diese Eigenschaften die Messbarmachung von Femininität. Als wäre so etwas messbar. Als könnte irgendeiner Frau der Welt überhaupt ihre Weiblichkeit genommen werden. Durch kein Wort der Welt nämlich, durch keinen Mann der Welt. Heute bin ich glücklich, ganz genauso wie ich bin, und kann solche Gedanken verlauten lassen. Obwohl ich früher aufgrund von Hieben in Richtung meines ausgeprägten Alttenors am liebsten gar nichts mehr gesagt hätte. Und dann sind meine Haare jetzt auch noch raspelkurz – fatal! „Bist du ein Mann oder eine Frau?“  – diese Frage wurde mir im Laufe meines Lebens schon häufiger gestellt und dann erkläre mal jemandem dein Geschlecht, der felsenfest davon überzeugt ist, dass du mit deinen physischen Eigenschaften keinesfalls eine Frau sein kannst. Jemandem, der dir eigentlich nur eins reinwürgen will. Oder es tatsächlich nicht besser weiß.

Wütende schwarze Frauen. Und wie es mein Recht ist wütend zu sein, laut zu werden und deutlich zu sagen, was mir nicht passt. Viele Menschen können womöglich gar nicht anders, als meinen angesprochenen Problemen mit Unverständnis gegenüberzutreten, viel häufiger fehlt schlichtweg das Interesse am Sachverhalt. „Ach, du übertreibst“ , heißt es dann – zum Glück weiß ich es jetzt besser. Zum Beispiel bei Wutausbrüchen über Spülbürsten in Form einer 70er-Jahre Soul Diva, deren Afro als Schrubber fungiert oder Menschen, die einfach nicht einsehen wollen, dass das Wort „Negerkuss“ eben wirklich nicht ok ist.

Schwarze Frauen dürfen wütend sein, so wie alle das natürlich dürfen, und das ohne in irgendeiner Art und Weise pauschalisiert und ins Lächerliche gezogen zu werden. Ohne Aberkennung ihrer Weiblichkeit. Besonders dürfen sie es aber, weil es eben (noch immer!) schwierig ist, schwarz zu sein, weil es schwierig ist, anders zu sein und weil man, je älter man wird, genau das immer mehr zu begreifen lernt.

Am Besten ist es doch, aus Wut und Verdruss am Ende etwas Konstruktives entstehen zu lassen. Sich endlich engagieren etwa oder einsetzen. Die Dinge immer wieder erklären, um fpr Verständnis zu sorgen. Genau das habe ich mich lange nicht getraut. Um nicht ständig anzuecken und permanent die zu sein, die nach einer Extrawurst verlangt, sich in den Mittelpunkt stellen will. Es war Zeit, den Spieß umzudrehen. Weil laut sein auch stark sein bedeutet. Und mutig. Das ist nämlich nicht nur total feminin und toll, sondern auch wichtig – für dich, für mich, für unser aller Zukunft.

6 Kommentare

  1. Lena

    Vielen Dank für diesen tollen Text, Fabienne. Ich muss ehrlich zugeben, dass mir die Problematik bis jetzt nicht bewusst war. Ich werde aber in Zukunft darauf achten. Hab noch einen schönen Tag,
    Lena

    Antworten
  2. Moon

    Liebe Fabienne, ich hoffe viele lesen Deine Texte hier und denken wie Lena mal drüber nach ohne zu dem Schluss zu kommen „Rothaarige haben es aber genauso schwer“.

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  3. Miriam

    Danke Fabienne! Es macht mich ganz froh, dass du hier so wunderbare Texte schreibst, die mir als Schwarzer Frau unglaublich viel bedeuten. Wir müssen wohl im weiblichen Kollektiv immer weiter daran arbeiten, die Grenzen von dem was „weiblich“ und „feminin“ ist aufzubrechen <3

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  4. Anna

    Liebe Fabienne,
    ich mag deine Texte sehr und diesen finde ich ganz toll. Bleib bitte weiterhin laut und wütend. Lieber übers Ziel hinausschießen, als gar keinen Fußabdruck zu hinterlassen.
    Liebe Grüße!

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  5. Valerie

    Hey Fabienne!
    Danke für diesen Artikel. Ich freue mich über mehr davon und ich liebe Jane Wayne dafür, diesen Themen Raum zu geben. Ich finde es so wichtig Menschen für Themen zu sensibilisieren, die Ihnen nicht direkt begegnen, weil sie eben bestimmte Privilegien inne haben. Much Love, Valerie

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