Fast 8 Wochen ist es her, dass ich einen Artikel darüber schrieb, wie sich eine Woche ungeschminkt sein für mich angefühlt hat. Seitdem habe ich keinen einzigen Tag mehr zum Schminkpinsel gegriffen, weder für einen Tag im Büro, noch einen Clubbesuch und auch nicht für mein letztes Beautyevent.
Das Verrückte: Lese ich meinen Text von damals heute nochmal, erkenne ich mich kaum darin wieder. Ich bin erschrocken darüber, wie viel Unsicherheit meiner Beschreibung mitschwingt, wie viel sich in meinem Text ums Verstecken und um Veränderung dreht. Obwohl nur wenige Wochen dazwischenliegen, würde ich keine einzige Zeile heute nochmal so formulieren. Ist es die große Umstellung in meinem Leben, mein Umzug nach Berlin oder einfach die Tatsache, dass mein Verzicht auf Schminke mir tatsächlich etwas ganz wichtiges gezeigt hat?
Manchmal warte ich monatelang auf Veränderungen, die sich doch bitte endlich mal in meinem Kopf einstellen sollen und dann passieren nicht selten die Größten fast über Nacht. Die Entscheidung, Köln hinter mir zu lassen und einen beruflichen und privaten neuen Abschnitt in Berlin zu beginnen, habe ich innerhalb weniger Tage getroffen und auch die Trennung von allem, was mich in irgendeiner Art und Weise emotional belastet oder lähmt, dauerte weniger als 24h. Dieses unbändige Gefühl, sich von allem lösen zu müssen und nicht genug von neu gewonnenem Freiraum zu bekommen, lassen für mich einige in der Vergangenheit fast unüberwindbare Aufgaben jetzt viel leichter erscheinen. So geschehen eben auch mit dem Gefühl, eine Weile ohne Make-Up auskommen zu wollen.
Was ich mir vor einem Jahr noch gar nicht vorstellen konnte, ist für mich heute überhaupt kein Thema mehr. Von Tag 1 an ging es mir jeden Tag ein bisschen besser mit der Entscheidung mein Gesicht nicht mehr anzumalen und anfängliche Unsicherheit verwandelten sich doch tatsächlich in mehr Selbstbewusstsein – was ich ehrlich gesagt selbst schwer finde zu glauben. Ich mag mich ohne Make-Up, Mascara und Farben im Gesicht nun wirklich viel lieber und finde das verrückt – und die Erklärung dafür ist vielleicht total einfach:
Ungeschminkt bedeutet, dass keine Schicht mehr über meinem natürlichen Aussehen liegt; außer meiner selbst ist jetzt nichts mehr sichtbar. Und das heißt auch, dass ich nichts mehr verstecken kann. Man sieht viel schneller, ob ich einen guten oder schlechten Tag habe, ob es mir gut oder weniger gut geht. Mein Umfeld nimmt mich also so wahr, wie ich tatsächlich bin und akzeptiert mich entweder genau so oder eben auch nicht. Zweiteres kommt gefühlt öfter vor, aber auch damit kann ich jetzt viel besser umgehen. Mir bleibt quasi nichts anderes übrig, denn an meinem natürlichen Aussehen kann ich ja nichts mehr verändern oder wegnehmen. Und wem das nicht gefällt, von dem weiß ich dann, absolut neutral gemeint, dass wir eben nicht zusammenpassen. Diese Einstellung hat sich dann von der plakativen Form „geschminkt – ungeschminkt“ auch auf mich als Person übertragen. „Ich mag dich“ und „Ich mag dich nicht“ sind für mich jetzt viel offensichtlicher und besser anzunehmen. Dieser Entwicklung sind bestimmt auch eine gehörige Menge anderer Begleitumstände beigemischt, aber kein Make-Up mehr zu tragen, war für mich auf jeden Fall ein sehr entscheidender Schritt. Und ein wichtiger kommt noch hinzu: Es ist schön zu merken, dass ich mich gefühlt viel mehr zeigen kann als früher.
In meiner ganzen Euphorie möchte ich mich deshalb für so viel mehr Mut aussprechen, was Neuanfänge und umfassende Veränderungen angeht. Es ist meistens nur der erste Schritt, der sich unsicher anfühlt, was aber danach alles kommt, ist so schön, wichtig und wiegt die anfängliche Schwere definitiv auf <3