Über meinen eigenen Schwangerschaftsabbruch vor etwa zwei Monaten habe ich neulich in diesem Podcast gesprochen. Nicht, weil ich öffentlich leiden wollte, sondern weil ich mir mehr Öffentlichkeit für ein Thema wünsche, das bis heute als Tabu gilt. Weil ich während dieser schwierigsten Phase meines bisherigen Lebens feststellen musste, dass ich mich trotz etlicher Pro Choice Kampagnen allein gefühlt habe. Dass zu wenig über diese vermeintliche Freiheit, über den eigenen Körper und das eigene Leben bestimmen zu können, gesprochen und informiert wird. Dass das Bemalen von bunten Plakaten als Zeichen des Einstehens für die Möglichkeit jener Selbstbestimmung nicht ausreicht, um die vor allem psychische Komplexität eines solchen Eingriffes aufzuzeigen, dass die seelischen Aspekte zumeist in den Schatten akademischer Abhandlungen, beziehungsweise gesetzlicher Forderungen rücken. Ich hatte, bevor ich trotz festsitzender Kupferspirale schwanger wurde, schon häufig über Abtreibungen debattiert, meist bei Rotwein und irgendwie nebenbei. Der Tenor war jedes Mal sehr ähnlich, modern und dennoch gefühlsbetont. Jede meiner Freundinnen war wie selbstverständlich davon überzeugt, Schwangerschaftsabbrüche müssten ein Menschenrecht sein. Niemand war dagegen. Bloß konnten sich viele nicht vorstellen, je selbst eine solche Entscheidung zu treffen. Ich auch nicht. Und dann habe ich es doch getan, aus vielerlei Gründen, die an dieser Stelle egal sein müssen, weil ich es als mein Recht betrachte, über meinen Körper und meinen Bauch bestimmen zu dürfen.
Trotzdem kann ich nicht behaupten, glücklich mit dem zu sein, was geschehen ist. Mir fehlte Bedenkzeit, denn ich wollte, dass es schnell ginge, würde ich mich gegen das werdende Kind entscheiden. Ich wollte das Herz nicht schlagen und keine winzigen Hände greifen sehen. Alle Rationalität half nicht. Trotz der menschenunähnlichen Bohnenform füllten sich meine Augen mit Tränen, wann immer mir jemand Mut machen wollte und zaghaft den Begriff „Zellhaufen“ wählte. Für mich war es schon mit dem positiven Schwangerschaftstest viel mehr als das. Und ich glaube, hier kommen wir zur großen Diskrepanz zwischen medialer Aufklärung und realem Empfinden. Schwangerschaftsabbrüche stellten für mich stets einen medizinischen Anker dar, der bis zur 12. Woche selbstredend von jeder Frau in jeder denkbaren Lage genutzt werden dürfen sollte. Deshalb ging ich schon früh auf die Straße und schrie im Chor mit vielen anderen „My Body, my choice!“. Ich hatte die Eventualität, dass ich mich irgendwann selbst in einer solchen Lage wiederfinden würde, nur niemals zu Ende gedacht. Das Lautwerden war für mich stets eine Solidaritätsbekundung mit anderen, mit Fremden gewesen, die vermeintlich wenig mit mir persönlich zu tun hatte. Bis zu jenem Tag, an dem ich mir einen salzigen Ayran statt Kakao zum Frühstück bestellte, um ihn kurz darauf ins Gebüsch zu erbrechen. Magendarm, dachte ich. Eineinhalb Wochen später war die Übelkeit noch immer da, der Hosenknopf ließ sich nicht mehr schließen, meine Brüste schmerzten, der Bauch sah schon am Morgen aus als hätte ich ein üppiges Festmahl verdrückt. Meine Periode blieb aus. Die 6. Schwangerschaftswoche.
Was dann folgte, war eine Art Trancezustand. Ich trank und rauchte nicht mehr, weil ich weder vor noch zurück wusste. Ich wusste im Grunde gar nichts mehr, außer, dass ich mich mit dem Einsetzen der Spirale bereits gegen ein zweites Kind oder zumindest gegen den jetzigen Zeitpunkt entschieden hatte. Ich wollte nicht schwanger sein, weil die Angst vor allem, was kommen würde, mich lähmte. Aber ich war es. Und zwar mit jedem Gefühl und jedem Gedanken meiner Existenz. Das war es, was mir zuvor niemand recht erzählten mochte, was mich wie eine Abrissbirne aus dem Alltag warf und mir jede Stärke nahm. Dass die Dimensionen eines Schwangerschaftsabbruches jede rein medizinische Ebene überschreiten, dass Hormone zuverlässig dafür sorgen können, dich selbst im Angesicht eines schwarzweißen Fleckes auf dem Ultraschallbild schützend die Hände auf den Bauch legen zu lassen, wie eine Löwenmutter, die sich selbst egal wird, solange das Junge in Sicherheit ist. Die Gewissheit, so etwas Kleines nicht beschützt zu haben, ihm die Möglichkeit genommen zu haben, mit seinem großen Bruder am Frühstückstisch zu sitzen oder die Welt zu bereisen, wird mich womöglich nie wieder loslassen. Für den Schmerz, den ich seither zu tragen habe, kann ich niemand anderen als mich selbst in die Verantwortung ziehen und vielleicht ist es genau das, was hin und wieder zu einem heilsamen Gedanken wird. Freiheit funktioniert nunmal nicht ohne Eigenverantwortlichkeit. Aber jede Entscheidung gegen etwas ist auch stets eine Entscheidung für etwas (anderes). Ich muss also nicht glücklich sein, aber möchte dankbar bleiben. Dafür, dass ich die Wahl hatte, weil ich weiß, dass es für mich und meine Familie in jenem Moment zwar nicht das Richtige, aber das vielleicht einzig Mögliche war. Ob ich diesen Schritt bereue, werde ich oft gefragt. Nein, sage ich dann meist als hätte man einen Knopf gedrückt. Aber das stimmt nicht. Jeder Tag ist anders. Manchmal mache ich schlechte Witze, weil Humor, und sei er noch so düster, mir wie nichts anderes hilft. Ich atme sogar hin und wieder erleichtert auf, weil ich angesichts all der Windelgrößen im Supermarkt daran erinnert werde, warum ich mich noch nicht bereit gefühlt habe. Es gibt diese Momente, in denen ich Pipi in den Augen habe, weil es sich zu Dritt so wundervoll anfühlt. Und dann wieder heule ich so laut wie das Feuerwehrauto meines 3-Jährigen Sohnes, weil der Postbote wieder Prospekt über reduzierte Babysöckchen durch den Briefschlitz geschoben hat.
Ich denke schon. Und zwar ehrlicher, offener, emotionaler, aber vor allem viel häufiger. Betroffenen Frauen nützen all die Plakate und Märsche emotional meines Erachtens wenig, aber dennoch ein bisschen. Damit das Mörderinnen-Stigmata, das uns von Gegner*innen immer wieder aufgedrückt wird, endlich verschwindet. Das habe ich vor allem beim Durchforsten diverser Foren gemerkt, in welchen nach Rat Suchende oft mit Müttern konfrontiert werden, die ein solches Handeln fassungslos zurück lässt. Gegenseitige Akzeptanz und das Auslassen unerschütterlicher Extreme wäre ein erster Schritt, wo persönliche Beweggründe doch unergründlich sind und der Kern dieser langjährigen Debatte trotz allen Fortschritts bestehen bleibt. Was wiegt schwerer: Der Schutz des ungeborenen Lebens – oder das Recht der Mutter, über ihren Körper selbst zu bestimmen? Schwarzweißdenken kann offenbar keine Lösung sein. Auch ich begreife das Dilemma, aber habe für mich eine klare Antwort gefunden:
Der weibliche Körper kann nicht dem Gesetzgeber gehören. Abtreibung muss, so grausam und schwer der Beschluss sein kann, ein Frauenrecht sein. Alles andere käme einer Entmündigung gleich. Und führt seit jeher zu nichts als Unheil.
Überall auf der Welt wird abgetrieben, ob legal oder illegal, aus unterschiedlichsten Gründen, die in schwerwiegenden Fällen Behinderung oder Vergewaltigung heißen können. Nicht wenige Frauen erliegen bis heute ihren verzweifelten Versuchen, das eigene Leben zu schützen, indem sie ohne ärztliche Aufsicht abtreiben oder gar dazu gezwungen werden. Die Länder Chile, die Dominikanische Republik, El Salvador, Nicaragua, Malta und der Heilige Stuhl verbieten einen Schwangerschaftsabbruch unter allen Umständen. Polen erlaubt eine Abtreibung nur im Fall einer Vergewaltigung, einer eugenischen oder einer medizinischen Indikation. In Deutschland, denken viele, hätten wir die restriktiven gesetzlichen Überbleibsel der Nazizeit längst beseitigt. Auch sollte man meinen, dass die Kämpfe der 68er Bewegung für Selbstbestimmung und die Gleichstellung von Mann und Frau längst Früchte getragen hätten. Und das stimmt auch. Wir dürfen im Grunde genommen ja abtreiben. Das bestehende Gesetz dazu macht mich dennoch konstant wütend. Es wird nämlich benutzt. Von der AfD zum Beispiel. Für irrsinnige Kommentare, die ihr euch vielleicht vorstellen könnt. Man denke bloß kurz an die Wahlplakate, auf denen vor wenigen Monaten noch Schwangere prangten. Das ist es aber nicht nur. Es geht auch um die persönliche Ebene.
Denn so verrückt wie die Hormone nach der Befruchtung eines Eis spielen, so irre dreht sich zuweilen auch der Kopf im Kreis, wenn man etwa den allerersten Absatz des § 218 StGB zu Schwangerschaftsabbrüchen liest, während man selbst schwanger ist:
-
Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (…)
Daraufhin folgen unter § 218a, der die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs festlegt, selbstverständlich Ausnahmeregelungen. So etwa:
- die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen,
- der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und
- seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.
Dennoch bedeutet das: Abtreibungen sind in Deutschland weiterhin rechtswidrig, bleiben aber unter gewissen Voraussetzungen straffrei. Ob eine Reform des Gesetzes, vielleicht im umgekehrten Sinne („Abtreibungen sind erlaubt, außer wenn…“) sinnvoll wäre, halte ich für einen durchaus wichtigen Diskurs, und sei es nur, um ein weiteres Zeichen zu setzen. Damit sich das Denken verstärkt öffnen und das Tabu endlich gebrochen werden kann. An dieser Stelle schlittern wir dann auch schon geradewegs in mein nächsten Anliegen. Den Fall der Ärztin Kristina Hänel.
Hat man sich nämlich dazu entschieden, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, folgt ein mehr oder weniger langwieriger Prozess. Entgegen vieler Vorurteile ist es schier unmöglich, gleich einen Termin für den Abbruch zu bekommen. Natürlich vor allem, um Fremdeinwirken und unbedachte Akffektentscheidungen auszuschließen. Normalerweise steht also zunächst ein Gespräch bei der eigenen Frauenärztin oder dem -Arzt an. Es folgt aber zusätzlich ein externes Beratungsgespräch, etwa bei ProFamilia, um grob gesagt eine Bescheinigung darüber zu erhalten, dass man eigenmächtig entschieden hat und außerdem in der Lage dazu ist, das Kommende zu bewältigen. Nach dem Erhalt der Bescheinigung darf schließlich ein Termin zum Vorgespräch in einer entsprechenden Klinik bzw. in einer medizinischen Praxis, die besagte Leitung anbietet, gemacht werden. So war das jedenfalls bei mir. Hat man dann etwa 40 Seiten Aufklärung durchgelesen und unterschrieben, zu medizinischen wie psychischen und gesundheitlichen Faktoren, folgt der eigentliche Termin zum Abbruch, der frühestens drei Tage nach dem Erhalt der zuvor angesprochenen Bescheinigung stattfinden darf. Was hier meines Erachtens ganz deutlich wird, ist die dringende Notwendigkeit von Informationsfreiheit. Keine Frau kann schließlich wissen, welche Klinik oder Praxis die richtige für einen solchen Eingriff ist. Wir müssen also entweder privaten Ratschlägen vertrauen oder recherchieren. Zum Beispiel darüber, welche Praxen Schwangerschaftsabbrüche überhaupt anbieten. Und hier kommt Hänel nun wirklich ins Spiel.
Noch einmal zur Erinnerung: Schwangerschaftsabbrüche sind faktisch rechtswidrig – gefundenes Fressen also, um Ärzt*innen und Schwangere weiterhin unter Druck zu setzen.
Hinzu kommt nämlich Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB), der die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ seit den Zeiten des Nationalsozialismus verbietet. Jetzt könnte man natürlich meinen, diese Regelung sei dennoch logisch. Aber was bedeutet „werben“? Im Fall Hänel nicht mehr und nicht weniger als „informieren“. Auf ihrer Website findet sich unter dem Punkt „Frauengesundheit“ sämtlicher aufgelisteter Dienstleistungen nunmal auch der Begriff „Schwangerschaftsabbruch“. Wegen dieses Begriffes muss sie sich am Freitag vor Gericht verteidigen, Grund dafür ist eine Anzeige der radikalen Initiative Nie wieder. eV, die Hänel bereits drei Mal vor den Richter zerren wollte. Diesmal wurden die Ermittlungen allerdings nicht, wie zu Beginn angenommen, eingestellt. Denn schon die Auflistung der Leistung gilt als Delikt. Ganz einfach, weil am Ende Geld mit ebenjener Leistung verdient wird. Kann das richtig sein? Wohl kaum. Zur dazugehörigen Petition, die bereits mehr als 70.000 Menschen unterschrieben haben, und einem offenen Brief der Ärztin geht es hier entlang – denn Unterstützung ist jetzt dringend nötig. Auch, weil es höchste Zeit wird, die medizinische Dienstleistung „Schwangerschaftsabbruch“ für Frauen zu entkriminalisieren. Hänel steht in diesem Verfahren, wenn man so will, nämlich nicht nur für sich allein, sondern ganz klar stellvertretend für sämtliche Ärzt*innen, die permanent unter Strafandrohung arbeiten und sich mit Schikanen sogenannter „Pro Life“ Aktivist*innen herumschlagen müssen. Der Fall betrifft uns alle. Er betrifft Frauenrechte, das Recht auf Informationen und Gesundheit. Und ich finde, deshalb dürfen wir gerade jetzt nicht wegschauen.
Schlussendlich ist vermutlich niemand wirklich für Abtreibungen, am wenigsten die Betroffenen selbst. Aber sollte nicht jede*r von uns lauthals dafür sein, dass sämtlichen Frauen dieser Welt ein vernünftiger, informativer, transparenter und sicherer Zugang zu medizinischer Betreuung gewährleistet wird? Ja. Ein „nein“ lasse ich im Jahr 2017 schlichtweg nicht mehr gelten.