Vor einiger Zeit, ich weiß nicht mehr genau, wann das war, da schrieb ich, dass ich Angst davor hätte, dass dem Feminismus, von dem es in Wahrheit viele verschiedene Arten gibt, schon sehr bald etwas schlimmes zustoßen könne. Dieser Gedanke kam mir, weil ich einerseits nicht verstand, weshalb sich eine große Masse unaufgeklärter aber auch aufgeklärter Bürger*innen per se nicht mit diesem bestimmten und großen und wichtigen „Ismus“ identifizieren will, schon allein wegen des angeblich negativ besetzen Begriffs etwa, und anderseits, weil mir schwante, dass nicht wenige Aussagen ein paar weniger Hardlinerinnen statt für Aufklärung bloß für Erregung sorgen könnten. Unter Frauen, aber noch mehr unter Männern. Jens Jessen ist wohl das aktuell beste Beispiel für solche absonderlichen, aber offensichtlich real gefühlten Verzerrungen der Dinge. Was fatal ist, denn in Sachen Gleichberechtigung sollten im besten Fall ja alle mitmachen. Man kann jetzt wütend sein und polemisch werden. Nicht weniger sollte man sich aber fragen, woher dieser große Mist da gerade rührt, weil sich sonst womöglich nicht viel ändern, sondern vielleicht sogar verschlechtern wird.
Ich denke da, in all meinem geistigen Gewusel, das versucht, sämtliche Seiten ernst zu nehmen, zum Beispiel an einen Kommentar in der Zeitschrift „Emma„. Dort hieß es anlässlich der furchtbaren Germanwings-Tragödie, von der wir sicher alle hörten: „Die Selbstmordquote, so hörte ich bei meinem Radio- und TV-Marathon seit der Katastrophe in den französischen Alpen, ist bei Männern viermal so hoch wie bei Frauen. Die Lufthansa könnte also das Risiko, dass ihre Piloten das Flugzeug zu Selbstmord und vielfachem Mord missbrauchen, mit jeder Frau, die sie zur Pilotin ausbilden, ganz erheblich reduzieren.“ Nach dem Lesen kann man natürlich denken: Recht hat sie ja, die Luise Pusch. Man darf sich nur nicht darüber wundern, dass einige eine solche Annahme im Rahmen der Umstände für pietätlos hielten und halten. Oder darüber, dass in einem solchen Fall selbstredend die Frage aufkommt, wann Grenzen überschritten werden, wo eine gute Absicht zur schlechten Stimmungsmache verkommt oder wann die Deklaration „Feminismus“ zwar benutzt wird, womöglich aber gar nicht angebracht ist. Eine öffentliche Meinung, die Männer per se an den Pranger stellt, kann auch einfach eine Meinung, muss aber nicht immer gleich feministisch sein. Was ich damit sagen möchte:
Eine Frauenquote im Cockpit ist ohnehin überfällig, das bezweifelt im Grunde kaum jemand, der denken kann. Bloß darf der Grund hierfür hoffentlich nicht eine männliche Neigung zu Suiziden sein. Die Angst davor, mit Piloten zu fliegen. Viel interessanter wäre doch die Fragestellung gewesen: Warum ist die Selbstmordrate bei Männern überhaupt höher als bei Frauen? Und wie schaffen wir es, tatsächlich mehr Frauen in die Lüfte zu bringen? Wie machen wir die Welt für alle Geschlechter besser? Und zwar gemeinsam. Nunja. Das ist selbstverständlich auch geschehen, aber nicht bei der Emma. Nicht in dem Artikel, der überaus viral ging. Ausgerechnet dieser. Dafür wiederum kann niemand etwas, bloß ist exakt das die Kehrseite der Medien-Medaille: Meist bleibt in den Köpfen der Lesenden ja das Extreme hängen. Und nicht all die differenzierten Beiträge kluger pro-menschlicher aber keinesfalls anti-männlich eingestellter Autorinnen und Autoren. Was ebenfalls jüngst dazu führte, dass sich der Streit um ein spanisches Gedicht auf einer Universitätswand, in dem Frauen mit Blumen verglichen und dann auch noch von einem Bewunderer heim gesucht wurden, wie ein Laubfeuer verbreitete und für überaus erhitzte Gemüter sorgte. „Und das soll jetzt Feminismus sein? Die Zensur von Kunst?“ fragte man sich, aber auch frau. Sogar wir. Nur dass wir differenzieren und auf eine ganze Masse von Wissen über aktuelle Debatten und Missstände zugreifen können. Das können andere aber nicht. Vielleicht auch, weil sie nicht wollen. Alles, was dann also hängen bleibt, ist: Die spinnen, doch die Feministinnen.
Auch deswegen frage ich mich derzeit vermehrt, ob es nicht langsam an der Zeit wäre, den Elfenbeinturm tatsächlich zu verlassen. Weil wir nicht davon ausgehen können, dass alle da draußen die Komplexität dieser Bewegung, dieses Themas, dieses Diskurses (be)greifen können. Manchmal noch nicht einmal die, die alle Voraussetzungen dazu hätten: Jens Jessen etwa, der mit seinem Titelthema auf dem ZEIT-Cover, „Schäm dich, Mann“ einen regelrechten Skandal auslöste. Wer diese Seiten gelesen hat, wird entweder mit dem Kopf geschüttelt oder heftig genickt haben. Ich habe mit dem Kopf geschüttelt, heftigst, er wäre mir fast abgefallen. Aber nicht, weil ich nun wütend bin auf Herrn Jessen (auf die ZEIT aber sehr wohl – es fühlt sich fast an als wäre mir, nein, uns, wer in den Rücken gesprungen, um der angestrebten Gleichberechtigung mal kurz eine Lähmung zu verpassen). Ich bin bloß enttäuscht, dass er seine Angst und seine Befürchtungen so weit hat kommen lassen. Alles Quatsch, mag man meinen, weil der Typ sie nicht mehr alle beisammen hat. Das wäre einfach und vielleicht sogar logisch. Aber eben auch gefährlich. So gefährlich, wie die Hasstiraden, die da nun auf den Feuilleton-Chef niederprasseln. Dass in diesem Land Meinungsfreiheit herrscht, ist nämlich erst einmal etwas Gutes. Könnte daraus ein Dialog entstehen. Eine respektvolle Diskussion. Aber nein, die Fronten verhärten sich stattdessen.
Was wir da nämlich bei Jens Jessen beobachten ist, so glaube ich, kein Einzelphänomen. Ganz im Gegenteil sogar, die Reaktionen und Leser*innenkommentare machen das ganz deutlich. Ich denke noch nicht einmal, dass Jens Jessen ein wahrhaftiger-Anti-Feminist oder Frauenhasser ist. Dass er wahrlich nicht möchte, dass Frauen mit Männern auf Augenhöhe agieren (können). Er steigt aber offensichtlich einfach nicht mehr durch. Versteht den Feminismus falsch und begeht einen Fehler, den viele anderen auch begehen: Er betrachtet nicht das große Ganze, das Ziel einer gleichgestellten Gesellschaft, eines Miteinanders ohne Erschwernis, sondern erschaudert vor den Extremen, die, das muss man sehr wohl auch als Feministin feststellen dürfen, hin und wieder etwas einseitig oder polemisch wirken können. So als nehme frau „diese Männer“ nicht für voll. Jaja, das gibt es schon. Und auch das ist ok und verständlich, man muss das bloß nicht gut finden. Kann man aber! Was hingegen falsch ist: Dass wir gekommen sind, um die Männer platt zu machen. Oder dass die #MeToo Bewegung einen „neuen feministischen Volkssturm entfacht“ habe. Dass schlussendlich ein „Willkürregiment“ herrsche, in dem es keine „unschuldigen Männer mehr gebe“. Hier spricht tatsächliche Furcht aus Jessen. Die wir ernst nehmen sollten, statt sie zu verspotten.
Vermutlich kommt diese Angst tatsächlich daher, dass Jessen ein Mann ist und sich wirklich, wirklich nicht vorstellen kann, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Und dass „wir“ alle diese Dinge nicht aus Böswilligkeit behaupten, sondern weil wir frei sein wollen. Auch, weil wir Macht haben wollen. Aber nicht mehr als „diese Männer“. Die Frauen, die Männer – was soll überhaupt das Gegeneinander? Wir wollen Menschen sein, alle. Aber was können wir tun, um genau das all jenen klar zu machen, die sich von Jessen verstanden fühlen? Eine richtige Lösung habe ich auch nicht parat. Aber eine ernstgemeinte Frage. Herr Jessen, glauben sie wirklich, was sie da schreiben, haben sie wirklich Angst, oder sind sie in Wahrheit nur genervt? Ich kann das, was ich da am vergangene Donnerstag las, nämlich nicht so recht glauben.
Falls es aber doch alles aus Jessens Herz kommt, würde es ihm im Grunde genommen ja schon helfen, würde er kurz in sich gehen und sich einen der Sätze aus seiner Feder noch einmal symbolisch für alle anderen Sätze, die da angstvoll aus ihm heraus sprudelten, zu Gemüte führen. So richtig mit Hirn, den Groll mal beiseite geschoben. Zum Beispiel jenen, in dem er sich fragt, weshalb Frauen denn Angst vor K.O-Tropfen in Bars hätten, ob sie vielleicht einfach in den falschen Bars verkehren würden. Klar. Ich mag auch nicht dort meinen Amaretto Sour trinken, wo ich das Gefühl habe, nicht sicher zu sein. Ich vertraue in diesen feuchtfröhlichen Momenten also auf meine Lieblingsbar und glaube daran, dass mir nichts passiert. Es könnte aber dennoch etwas passieren. Weil K.O. Tropfen keine Erfindung von tobenden Feministinnen sind. Deshalb: Lieber Jens Jessen, denken Sie denn tatsächlich, dass ich, würde ich nun in Ohnmacht fallen und vergewaltigt werden, weil ich mal kurz nicht auf meine Cola geachtet habe, selbst Schuld daran wäre? Wegen der falschen Wahl der Lokalität? Könnte nicht vielleicht eher der Typ Schuld sein, der mir das alles antäte?
Die Antwort sollte klar sein, eine rhetorische Frage, schon klar. Nur ist Jens Jessen offenbar nicht klar, dass wir schon als junge Mädchen oft mindestens eine Freundin haben, der genau „so etwas“ schon passiert ist. Wir haben auch keine Angst im Dunkeln, wenn uns ein Mann forsch hinterher schlendert, weil da noch nie etwas passiert ist. Sondern wegen, ja, genau, #MeToo. Weil wirklich beinahe jede Frau schon angepöbelt oder belästigt wurde, auf dem Weg nach Hause etwa. Dieser Umstand soll aber nicht bedeuten, dass wir alle Männer für Täter halten. Wir haben nämlich auch alle männliche Freunde, die ganz und gar ein anderer Schlag Mensch sind. Die hingegen, haben keine Angst. So wie Sie, Herr Jessen. Sie sind mutig und stehen für uns ein. Für #MetToo. Und alles, was dazu gehört. Sie sehen hin, statt weg. Sie engagieren sich, statt beleidigt zu sein. Sie geben auch gern etwas von ihrem Kuchen ab, für ein neues Gleichgewicht. Für ihre Töchter, Freundinnen, Partnerinnen, Ehefrauen, Nichten oder Kolleginnen.
Dennoch verstehe ich, dass man(n) nun, wenn man(n) sich nicht genug mit dem Thema auseinander gesetzt hat, Angst haben kann, unter falschem Verdacht zu stehen. Dieses Empfinden sollten wir als Frauen nicht klein reden. Wir können aber versuchen, allen Verängstigten einen Teil der Sorgen zu nehmen. Denn wer nichts getan hat, dem wird auch nichts passieren.
Doch, schreit jetzt ein Jessen. Schaut euch doch den Kachelmann an! Ja. Auch diese Seite der Medaille wurde vielleicht wirklich zu wenig thematisiert, Ansichtssache, und ja, sie existiert. Aber in so geringem Ausmaß, dass es beinahe ebenso wahrscheinlich erscheint, vom Auto angefahren zu werden (nein, in Wahrheit ist genau das noch viel wahrscheinlicher). Aber Sie, Herr Jessen, überqueren ja sicher trotzdem noch immer die ein oder andere Straße. Dann können Sie jetzt auch locker Feminist werden und alle Sorgenfalten aus der Stirn schütteln. Ich verspreche nämlich außerdem: Wir sind nicht hier, um den „Planet Frau“ zu erschaffen. Aber ein „Planet Mensch“ wäre schön, endlich. Und auf dem könnten wir dann alle in Frieden leben, ohne Sorgen und Ängste und Barrieren zwischen den Geschlechtern.