Ich trug meine Zahnspange ungefähr von 14 bis 17. Vielleicht aber auch ein bisschen kürzer und ganz und gar nicht sonderlich regelmäßig, weil mir die Klammer immer irgendwie lästig war, nachts aus meinem Mund plumste und mir irgendwann vor anderen schlicht und ergreifend peinlich wurde. Ich hatte nicht nur einen ordentlichen Überbiss, der familiär bedingt durchaus äußerst markant ist, im Vergleich zur Größe meines Kopfes, steckten da auch ziemlich große Wrigley’s im Mund, die krumm und schief ihr Dasein fristeten. Zumindest sah ich das so, ebenso wie meine Kieferorthopädin. Ach, und meine ältere Schwester, die mich im Kindesalter gerne als Bugs Bunny bezeichnete, um mich zu ärgern. Nun, ihr kennt das vielleicht mit der Geschwisterliebe. Schon klar, das alles klingt nach einer fürchterlich schlimmen und prägenden Zeit, aber keine Sorge, so fürchterlich war sie gar nicht. Denn zumindest war sie nicht so einschränkend wie heute – gute 15 Jahre später. Damals, da trugen wir schließlich alle unsere Hauer zur Schau und freuten uns über bunte Gummibänder auf den Zähnen und kicherten darüber im Kollektiv.
Mit 17 war meine Zahnkorrektur also schließlich abgeschlossen, meine Zähne reihten sich ganz wunderbar aneinander und ich war glücklicher denn je. Bloß dauerte dieser Zustand keine drei Jahre an. Es ist nicht so, als würde in meinem Mund Kraut und Rüben herrschen wie damals. Nein, so schlimm ist es nicht. Und trotzdem fällt mir auf jedem zähnezeigenden Foto und bei jedem Blick in den Spiegel diese neugewonnene Fehlstellung in der Front auf, die mich mittlerweile sogar dazu bringt, vermehrt mit geschlossenem Mund zu lächeln, statt meinem Naturell entsprechend lauthals und mit weit geöffnetem Mund alle Emotionen herauszulassen. Makel sind schön und wichtig, sagt die eine Seite meiner Hirnhälfte, während die andere stark mit dem Kopf schüttelt und erwidert: „Aber nicht dieser hier.“ Und es ist wirklich so: Ich habe Freundinnen, die haben so grandios schöne, ungleiche und alles andere als gerade stehende Zähne, dass ich liebend gern mit ihnen tauschen würde, während ich meine Ideal-Abweichung so blöd finde, dass es wirklich immer absurder wird:
Comme des Garçons A/W88 via Another Mag.
SS1998 Alberta Ferretti für Vogue Italia
So sitze ich beispielsweise im Garderobenraum der KiTa und plaudere mit einer Handvoll metergroßer Menschen über die Zahnfee, übers Zähneputzen und über Milchzähne. Darüber, wie wichtig es, dass wir gut Acht geben auf unsere Beißerchen. Ihr wisst schon. Und während wir so vor uns hinplänkeln, spricht T. irgendwann von schiefen Zähnen – und weil ich mir offensichtlich so sehr einen auf meine leichte Fehlstellung eingefangen habe, beziehe ich ihren Kommentar gleich auf mich und schwafle von meiner halben Zahngeschichte als Rechtfertigungsversuch, warum es in meinem Mund so aussieht, wie es aussieht. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass komplett verwirrte Gesichter mich anschauten und ich offensichtlich etwas auf mich bezog, dass gar nicht an mich gerichtet war. Himmelherrgott, ist das wirklich passiert? Ich schäme mich – für meine Vorbildfunktion und darüber, dass diese Lappalie so festsitzt
Aber dann mach doch was, wenn es dich so sehr stört. Tatsächlich wäre das natürlich die einfachste und naheliegendste Aktion, bloß bin ich wirklich bereit, mich jetzt mit 30 noch mal einer Zahnkorrektur hinzugeben? Immerhin handelt es sich hier nur um eine optische Geschichte, keineswegs um eine Notwendigkeit.
Außerdem: Will ich wirklich jetzt noch ein gutes Jahr lang mit fester Zahnspange herumlaufen – mit fast 31? Ich könnte die Lingualtechnik ausprobieren, also auf eine feste, innenliegende Spange bauen, bloß kenne ich in meinem Umkreis tatsächlich niemanden, der mir von seinen Erfahrungen berichten könnte. Von den neuen Invisalign halte ich persönlich leider gar nichts: Tagtäglich mit einer transparenten Schiene herumlaufen? Nein, dann ziehe ich die Nummer mit der festen, sichtbaren Zahnspange doch lieber vor.
Warum auch nicht? Aussehen wie einst mit 16, das wär doch was, non? Tatsächlich schüttelte ich stets feste mit dem Kopf, wenn Nike Jane mit der Zahnspangenidee um die Ecke kam – einfach, weil die Vorbilder fehlten und das Bild in meinem Kopf nicht funktionierte.
Aber wie das so ist mit dem Beispiel vom roten Auto, sehe ich mittlerweile immer häufiger ganz großartige Ladies mit Metal von dem Zahnschmelz. Der Gedanke jedenfalls ist gepflanzt. Stellt sich mir bloß die Frage, ob ich es wirklich durchziehe oder doch einfach mit meinen Zähne lebe und meinem weiter verschwindenden Schneidezahn bald einfach lächelnd Lebewohl sage, weil er lieber mit seinem nebenstehenden Freund kuschelt, statt sich zu zeigen und in Reih und Glied zu stehen.
Das Heilsamste an der ganzen Geschichte ist und bleibt aber wohl, das eigene Problem zu benennen. Nicht, um hier Fishing for Compliments zu betreiben, noch um blankes Unverständnis einzuheimsen, sondern um endlich „reinen Tisch“ mit sich zu machen, das eigene Wehwechen zu benennen – und schon ist alles ein klein wenig besser. Zumindest bei mir. Mal sehen, wie lange es anhält. Mit dem eigenen Frust im Mund kann es jedenfalls nicht länger so weitergehen. Dafür ist mir meine Zeit auch viel zu schade. Also: Aktiv werden oder nicht, das ist hier die Frage.
First World Problem olé.
Collage: Wood Wood Kampagne 2018