Es war schmerzhaft, die Anhörung zu verfolgen, in der Dr. Christine Blasey Ford vorletzte Woche vor dem US-Senat unter Eid erklärte, wie Brett Kavanaugh sie 1982 zu vergewaltigen versucht hatte. Es tat weh, die Details jenes Abends zu erfahren und gleichzeitig zu sehen, wie gefasst und klar und sachlich Ford blieb, neun Stunden lang. Vielleicht, weil sie musste und wusste, dass sie an diesem wichtigen Tag nicht nur für sich selbst aufstehen und laut und stark sein würde, sondern auch für alle anderen Opfer – oder besser: Für alle Überlebenden. Aber auch gegen die letzten zähen Überbleibsel des Patriarchats, das sich in Zeiten der Trumpisierung schon allzu häufig pudelwohl und sicher fühlen durfte. Auch diesmal wieder – angeführt von Kavanaugh, der sich im Gerichtssaal rüpelhaft und respektlos gab. Ford schien dennoch beeindruckend fokussiert und ruhig – als ginge es gar nicht um ihren eigenen Körper, um ihre persönliche Gesichte, der nun die ganze Welt lauschen konnte. Stimmt ja auch. Es ging tatsächlich um viel, viel mehr als „schuldig“ oder „unschuldig“, als Ford und Kavanaugh sich gegenüber saßen.
Kavanaugh, und das war von Anfang nicht fair, hatte ohnehin so gut wie nichts zu verlieren. Er wäre so oder so weich gefallen, in ein warmes Nest aus Macht und Privilegien. Weil er, das vergisst er selbst zwar gern, einer Elite angehört, weil er weiß, männlich und reich ist und sich noch dazu vor gar nichts fürchtet – außer vor der Wahrheit aus menschlicher statt aus männlicher Sicht und vor Gleichberechtigung natürlich. Dabei gelten für Frauen doch ohnehin ganz andere Regeln, noch immer, das wurde binnen der vergangenen Wochen auf tragische Weise deutlich:
Blasey Ford etwa erhielt zum Zeitpunkt der Anhörung längst Morddrohungen aus konservativen Kreisen. Sie, die mit 15 Jahren wahrscheinlich nur knapp einer Vergewaltigung entgangen ist, musste ihre Söhne aus Sicherheitsgründen bei Freunden unterbringen und wurde aufgrund ihrer Aussagen über den versuchten Missbrauch in aller Öffentlichkeit ausgelacht und bloßgestellt, von Präsident Trump höchstpersönlich, dem die Wählerschaft während seines munteren Victim Blamings zujubelte. Der treue Katholik Kavanaugh durfte trotz weiterer Beschuldigungen beinahe unverändert dem Alltag frönen. Es tat also auch weh, diese verkehrte Welt zu beobachten. Dabei zuzusehen, wie David gegen Goliath verliert. In jedweder Hinsicht.
Die Anhörung Kavanaughs am 8. Oktober blieb für ihn trotz erdrückender Sachlage aufgrund mangelnder Beweise folgenlos. Fast. Denn quasi zeitgleich wurde er zum Richter am obersten US-Gerichtshof berufen. Er, der wütende Brett, der vor dem Senat häufig nur ekelerregend selbstverliebt und pubertär durch die Gegend grinste statt ernsthaft zu antworten, er, der sich in Widersprüche verstrickte und sich als Chauvinist mit geschwollener Brust präsentierte, er, der seit Aufkommen der Anschuldigungen gegen seine Person weder den Dialog suchte, noch Reue oder Respekt zeigte und dem noch dazu und ohne jeden Zweifel nicht die geringste notwendige moralische Integrität innewohnt, um überhaupt über Recht und Unrecht urteilen zu können, bekleidet ab sofort und auf Lebenszeit also eines der wichtigsten Ämter der U.S.A.
Nein, es geht dieser Tage also keineswegs nur um einen persönlichen Rückschlag für Dr. Christine Blasey Ford oder um die kollektive Kränkung der Frau, es geht auch um die Zukunft einer Weltmacht, über die sich spätestens seit Trumps Tweet an Nordkorea, der einen Atomkrieg immerhin wahrscheinlicher gemacht haben soll, niemand mehr wundert. Die parallel zum wachsenden Wahnsinn immer gefährlicher wird und jetzt noch nicht einmal mehr einen vertrauenswürdigen Obersten Gerichtshof vorzuweisen hat. Dieser Prozess mitsamt seiner Kür, die sich aus Kavanaughs Beförderung speist, bringt Konsequenzen mit sich, die größer sind als Trump. Und die vermutlich länger bleiben werden.
Kavanaugh als oberster Richter, bis der Tod ihn von diesem Amt scheidet, das heißt vor allem: „Women don’t matter“. Weil sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen, so wie Dr. Christine Blasey Ford sie damals mit großer Wahrscheinlichkeit erfahren hat, für Männer wie Trump oder Kavanaugh nichts weiter als ein Kavaliersdelikt ist, einer, mit dem man vor seinen Kumpels munter prahlen kann. In sexistischen Lagern wie diesen existiert diese Form von Gewalt und Machtmissbrauch offenbar nicht, jedenfalls nicht als Straftat, höchstens als Grauzone oder blinder Fleck. Grab her by the pussy. Und dann eben Aussage gegen Aussage. Ist doch nichts dabei. Es bedeutet auch, dass jene Menschen, die gegen die Nominierung Kavanaughs und für das Credo „BelieveWomen auf die Straße gegangen sind, für die Regierung nicht weiter von Interesse sind. Verlässt man sich nämlich auf Erfahrungswerte, dürfte zumindest eine Hälfte des Landes nach diesem öffentlichkeitswirksamen Prozess noch verliebter sein in die Republikaner, die das lästige #MeToo nicht gewähren lassen. All die Menschen, die an Fortschritt und Chancengleichheit und Gerechtigkeit glauben, sind sozusagen egal geworden. Genau wie die essenzielle Rolle des obersten Gerichtshofs als neutraler „Rat der Weisen“ – diese Ära wird wohl spätestens mit dem Abdanken von Ruth Bader Ginsburg und Stephen Bayer Geschichte sein. Das Rechtssystem ist längst dabei, von einer Machtpolitik überrollt zu werden. Schon jetzt.
Denn mit der Berufung Kavanaughs ist der Supreme Court bereits besorgniserregend parteiisch und konservativ aufgestellt – verfolgt man die internationale Presse, sind sich die meisten jedenfalls einig: Jetzt könnte es Minderheiten, der Umwelt und, genau, Frauen so richtig an den Kragen gehen. Die Abkehr vom Recht auf Abtreibung jedenfalls steht irgendwo ganz oben auf Brett Kavanaughs Liste und an das Thema Gun Control mag ich gar nicht erst denken. Leise sein ist also längst keine Option mehr. Auch nicht für euch, liebe Männer.