Ich sollte gerade eigentlich gar nichts schreiben und lieber noch ein bisschen faul sein, sagt mein Arzt, der übrigens tatsächlich ein Arzt und keine Ärztin ist, was im Grunde nichts zur Sache tut. Ich erwähne diesen Umstand dennoch, weil die ignorante Verwendung des generischen Maskulinums mich vielerorts noch immer auf die Palme bringt. Welchen Sinn macht es denn zum Beispiel, wenn ein etabliertes Onlinemagazin das gigantische Porträt einer sauschlauen Frau mit den Worten „Amanda, Chef von Montekukuli“ betitelt? Gar keinen. Amanda war und ist und bleibt nämlich eindeutig eine Chefin. Ich lasse immer gern mit mir streiten, etwa darüber, dass es kompliziert sein kann, ein komplettes Buch der geschlechtergerechten Sprache zu unterwerfen. Aber Himmel, es würde doch auch niemand sagen: Schaut mal, der Dieter, der ist Gründerin von Dieters Daumenkino Inc. Manche Dinge machen wirklich wenig Sinn. So auch der Umgang mit Lob innerhalb der Arbeitswelt.
Es gibt dieses wunderbare Comic, in dem eine Frau eingekesselt von applaudierenden Kolleginnen und Kollegen schweißgebadet in eine Computertastatur hackt, kurz vor dem Abnippeln. Die dazugehörigen Sprechblasen visualisieren vor allem Anerkennung und Respekt. Getreu dem weit verbreiteten Motto: Nur wer am Boden liegt, hat richtig was geleistet. Der Rest gilt als faul, wenig belastbar und naja, im besten Fall durchschnittlich talentiert. In diversen Publikationen ist derzeit außerdem nachzulesen, dass solche für die Seele toxischen Mechanismen inzwischen ganz reflexartig funktionieren. Und zwar nicht nur im Umgang mit anderen. Sondern vor allem im Umgang mit uns selbst. In meinem Umfeld sagt tatsächlich kaum jemand voller Stolz: Ich habe schon einen Monat Urlaub gemacht in diesem Jahr! Da lautet der Tenor eher: Ich bin seit zwei Jahren nicht mehr raus gekommen. Und alle so: Boah, krass. Du fleißiges Scheißerchen. Wow. Das will man ja auch irgendwie. Anerkennung dafür, dass man nie Pause macht.
Was falsch ist, unlogisch und auch dumm. Es ist nämlich ganz und gar nicht gesund oder schlau, sich selbst runterzuwirtschaften bis das Burnout einem am Schlafittchen packt. Schlau ist, die eigenen Grenzen erstens zu kennen und zweitens zu akzeptieren. Gelassen zu bleiben. Und zu kapieren, dass es die pure Verschwendung von Lebenslust wäre, sich nur so durch die Tage zu schleppen. Wichtig einzusehen ist zudem die Tatsache, dass die Welt sich auch dann munter weiter dreht, wenn wir mal fehlen. Also Nase runter. Echt. Weil wir als Arbeitsbienen eben doch nicht so unsagbar wichtig sind und zumindest temporär sogar ein bisschen egal. Ganz im Gegensatz zu unserer mentalen und physischen Gesundheit. Die oft über weite Strecken zu kurz kommt, weil wir gelernt haben, dem leistungsgetriebenen Geltungsdrang mehr als der Freude zu frönen.
Leichter gesagt als getan, dieses Loslassen und Auf-Sich-Acht-Geben, schon klar. Weil viele von uns Angst haben, es zu vermasseln. Sorge, nicht aufzusteigen, wenn wir nicht alles geben. Unseren Job im besten Fall ja auch ein bisschen lieben. Oder süchtig sind nach Atemlosigkeit. Und Selbstgeißelung gar nicht mehr als solche erkennen, sondern als Normalzustand verbuchen. Ich ja auch. Bis heute Morgen zierte zum Beispiel ein krabbenroter Gips mein Bein – aus selbstverschuldeter Dummheit wohlgemerkt und auch, weil ich Zeit sparen wollte. Deshalb: Lieber Creme statt Krankenhaus. Eine Nacht später war der verletzte Fuß ein Kloß, die Lymphbahnen leuchtend und so dies und das neben der Spur. Ich hätte es ahnen können. Hab ich eigentlich auch. Nur einsehen wollte ich das Schlamassel nicht. Man verordnete mir schließlich bewegungslose Bettruhe und Zwangsurlaub. Hurra! Ein Segen, könnte man meinen. Nicht aber, wenn man verlernt hat, sich fallen zu lassen. Nichts tun zu können, das kam mir vor wie ein schlechter Scherz, während ich obendrein das Gefühl hatte, den eingebildeten Kranken aus Molières berühmtem Theaterstück zu mimen. Als hätte ich es nicht verdient, herumzuliegen wegen einer solchen Lappalie. Was für ein riesengroßer Unfug, wenn man mal genauer drüber nachdenkt. Und ganz grundsätzlich: Was für komische Ziele. Dabei reden doch seit geraumer Zeit alle von Me-Time. Sogar Spiritualität steigt nach und nach aus der Hippie-Senke empor und Meditations-Apps knacken alle Rekorde. Schön. Aber wer hält sich denn nun wirklich an das Mantra des gelegentlichen Müßiggangs? Immer noch viel zu wenige. Dabei wissen wir es doch eigentlich längst besser.
Nämlich, dass das Handy noch immer nichts im Bett verloren hat. Dass Rescue Tropfen kein Äquivalent zum Kaffee darstellen. Dass Jobs nicht in den Urlaub herein telefoniert gehören. Dass Vorsorge besser ist als Nachsorge und Psychotherapie eine Chance, keine Schande. Dass der Körper Signale sendet, auf die man ruhig hören darf, ohne schlechtes Gewissen. Dass Schwäche nichts zum Schämen ist. Dass wir ein Recht auf Auszeiten haben. Auf Überforderung und das Traurigsein. Weil es menschlich ist, nicht permanent zu funktionieren. Weil es sympathisch ist, das auch mal zuzugeben.
Das Fässchen ist nämlich voll, wie man so schön sagt. Und wenn ich nicht aufpasse, dann gehe ich bald geistig über die Wupper, bemerkte der der Arzt, der mir nicht nur Spritzen, sondern auch eine Kur empfahl. Eine kleine Solo-Reise. Oder ein Yoga-Camp. Kapiere ich nicht, habe ich da gesagt. Mir geht es doch meisten super und manchmal ok aber fast nie richtig kacke. Genau, sagte er da. Das sei ja gerade das Bescheuerte. Dass zu viele Leute heutzutage erst etwas für sich täten, wenn die Waage des Wohlbefindens längst gen Scheiße rüber gekippt sei – Auf dass es irgendwann besser werde. Dabei, erklärte er weiter, wäre es doch viel einleuchtender, schon dann aktiv zu werden, wenn alles so mittelgut sei. Weil es doch eigentlich super sein könnte, würde man sich nicht permanent von sich selbst ablenken und ständig nur an andere(s) denken.
Meine Mama hat demnach wohl schon viel früher als ich verstanden, dass sogar gelegentliches Blaumachen wichtig für die Seele sein kann. Weil wir uns dann aktiv für uns entscheiden. Deshalb bekam jedes Kind in meiner Familie einen güldenen Faulenzer-Joker pro Quartal ausgehändigt – einzulösen am Abend vor dem nächsten Schultag. Gestern habe ich mir ein Beispiel daran genommen und lange gefrühstückt, ohne Laptop auf dem Bauch. Losgelassen und allen abgesagt. Plötzlich war da so viel Zeit! Sogar genug, um einen Wanderurlaub zu buchen. Endlich mal. Denn, stimmt, da war ja was. Nämlich das schöne Leben, über das wir nicht nur ständig reden sollten, in der Theorie, ganz so, als hätten wir noch ewig Zeit. Wir sind ja sowieso schon mittendrin und müssen im Grunde einfach nur mitmachen bevor es wahrhaftig zu spät ist. Zum Beispiel für Applaus – der ab sofort aber vor allen den mutigen Faulenzern gebühren sollte.