Als die Anhänger der Anti-Abtreibungs-Kampagne auf den Begriff „pro-life“ zur Bezeichnung ihrer Überzeugungen kamen, muss es sich angefühlt haben, als seien sie auf Gold gestoßen. Beiden Elementen des Begriffs kann man nicht viel entgegensetzen. Denn dies zu tun würde bedeuten, entweder für den Tod oder gegen das Leben zu stimmen – was jedoch nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte.
„Pro-life“ ist eine trügerische Bezeichnung, die im Mittelpunkt der fieberhaften Abtreibungs-Debatte steht. Im Grunde genommen stellt sie komplexe Situationen in einem vereinfachten Licht dar und reduziert zu einer Schwarz-Weiß-Argumentation, was eigentlich ein Spektrum voller Grautöne ist. Die Abstimmung letzte Woche in Alabama, die Abtreibung effektiv verbietet, ohne Ausnahmen für Vergewaltigungs- oder Inzestfälle zu machen, ist der letzte Beschluss in einer Reihe an Anti-Abtreibungs-Gesetzen, die die Freiheit von Frauen beschränken.
Oft wird der Verfall von reproduktiven Rechten und Freiheiten mit Margaret Atwoods dystopischem Roman „The Handmaid’s Tale“ verglichen. „Nichts verändert sich auf einen Schlag“, schrieb sie. „In einer nach und nach immer heißer werdenden Badewanne wäre man totgekocht, ehe man es merkt.“ Sexuelle Aufklärung in der Schule einzukürzen oder die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln durch die Krankenkasse zu verbieten – von außen betrachtet könnte man denken, dass es sich hier um frustrierende, regressive und belanglose Beschlüsse handelt, jedoch nicht um tödliche. Das ändert sich, wenn sie es tatsächlich werden.
Eine Frau posiert als Figur aus
„The Handmaid’s Tale“ anlässlich
der Ernennung von Brett Kavanaugh
als Richter am Obersten Gerichtshof,
September 2018.
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Denn die Realität ist, dass 70 000 Frauen im Jahr durch gefährliche und illegale Prozeduren in jenen Ländern sterben, in denen Abtreibungen verboten sind. Ist das „pro-life“? Es gibt entscheidende Hinweise darauf, dass die Anzahl an Abtreibungen in Ländern mit gutem Aufklärungsunterricht und Zugang zum Gesundheitswesen und Verhütungsmitteln sinkt. Seit Abtreibungen in Frankreich, Italien, der Türkei und Südafrika legalisiert wurden, sind die Zahlen gesunken.
Diese neuen Gesetze sind Waffen, die genutzt werden, um Kontrolle über Frauen und ihre Körper auszuüben. Sie sind wie eine Zwangskontrolle, die auch noch vom Gericht befürwortet wird, eine Beurteilung von Sex auf der Grundlage von Tugend und Keuschheit, an deren Ende Freiheitsstrafen und, wenn die Schwangerschaft gefährdet wird, auch der Tod stehen können.
Länder verändern sich, neue Regierungen kommen an die Macht. Währenddessen schwingt die ganze Welt wie ein Pendel zwischen konservativen und liberalen Tendenzen hin und her. Anti-Abtreibungs-Gesetze nehmen dabei keine Rücksicht auf Frauen, ihre Autonomie, seelische Gesundheit und ihre Fähigkeiten als Eltern, die, wenn überhaupt, als zweitrangig angesehen werden.
1992 Journalistin Gloria Steinem (3. von rechts) und v
erschiedene Ex-Abgeordnete bei einer
Pro-Abtreibungsrechts-Demo, 1992
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In Irland, berüchtigt für sein historisches Bündnis zwischen Staat und katholischer Kirche, wurden Abtreibungen in der Verfassung unter dem Eighth Amendment, das das „gleiche Recht auf Leben“ für die Mutter und ihr ungeborenes Kind anerkennt, festgelegt. Abtreibungsgegner haben sich stark für die Einführung des Gesetzes eingesetzt, aus Angst vor dem, was sie für die zunehmende Liberalisierung der entwickelten Welt hielten. (Das Vereinigte Königreich hat Abtreibungen 1967 legalisiert, und Roe v. Wade, ein richtungsweisendes Urteil des US Supreme Court, das den Zugang zu einer sicheren und legalen Abtreibung als verfassungsmäßiges Recht ernannte, wurde 1973 auf Grundlage des „Rechts auf Privatsphäre“ schwangerer Frauen beschlossen.)
Die Furcht der Iren verbreitete sich jedoch, sodass sie 1983 für das Eighth Amendment in ihrer Verfassung stimmten. Das Gesetz hatte eine abschreckende Wirkung auf Ärzte und Frauen. Schätzungsweise zehn bis zwölf Frauen pro Tag reisten für Abtreibungen nach Großbritannien, und in den letzten Jahren haben sich weitere drei Frauen pro Tag Abtreibungspillen zu Hause selbst verabreicht, online gekauft und illegal eingeführt.
Der Tod der 31-jährigen Zahnärztin Savita Halappanavar im Jahr 2012 löste dann einen riesigen Aufschrei in der Öffentlichkeit aus. Mitten in einer Fehlgeburt kam sie unter Schmerzen in ein irisches Krankenhaus. Ihre Schwangerschaft und ihr eigenes Leben unter Gefahr, bat sie nach einer Abtreibung, die ihr jedoch verweigert wurde. Eine Woche lang lag Halappanavar im Krankenhaus, während sich eine Blutvergiftung in ihrem Körper ausbreitete. Dabei wurde alle paar Stunden überprüft, ob ihr zum Tode verurteilter Fötus noch einen Pulsschlag hatte. Er hatte einen. Sie jedoch starb unter Qualen, während ihr Mann hilflos zusah.
In Irland schlug das Pendel nun um: Im Mai 2018 wurde mit 66,4 Prozent gegen das Eighth Amendment und für die Abtreibung unter beschränkten Umständen gestimmt. Dieses Pendel schwingt nun weltweit weiter. In vielen Staaten der USA wird mit den „Heartbeat Bills“ kein Gedanke an Frauen wie Halappanavar verschwendet. Sie sehen nicht die Grauzonen. Sie sehen nur das Absolute; schwarz und weiß, richtig und falsch. Sie nennen sich „pro-life“ – aber für welches Leben?
Vor allem männliche Abgeordnete handeln in dieser Debatte nach konservativem Vorbild. Und die Auswirkungen, die ihre restriktiven Maßnahmen auf den Zugang zu Abtreibungen haben, sind nicht messbar. Vielleicht werden sie nicht aufhören, bis der „Roe v. Wade“-Beschluss vom Obersten Gerichtshof der USA ebenfalls zerschmettert wird und sie ihre eigene Version des irischen Eighth Amendment haben.
Fragen Sie nicht, für wen das Pendel hier schwingt. Es schwingt für uns alle.
Dieser Artikel ist zuerst auf Vogue.de erschienen.
Autorin Theresa Newman ist eine in Dublin ansässige Politik- und Wahlkampf-Beraterin. Als ehemalige Journalistin schreibt sie Reden für Kate O’Connell TD (ein gewähltes Mitglied des irischen Parlaments Dáil Éireann) und unterstützt sie dabei, ihre Politik zu entwickeln. Newman hat sich aktiv für die „Repeal the Eighth“-Kampagne eingesetzt, die zur Legalisierung von Abtreibung in der irischen Verfassung beigetragen hat.