Ich habe das Gefühl, in Sachen Zusammenziehen kann man mehr falsch als richtig machen, so ganz allgemein betrachtet, weil man entweder viel zu früh oder gar reichlich spät dran ist, je nachdem, wen man denn nun um Rat fragt. Meine Mutter zum Beispiel würde vermutlich immer für einen Aufschub plädieren, fürs Ausreizen und Abwarten, der Vernunft wegen. Aber auch, weil zwei wahrhafte Turteltauben im besten Fall ohnehin noch ein ganzes Leben lang Zeit zum Züngeln auf dem gemeinsamen Sofa hätten. Da bekäme meine Freundin Anna hingegen die Krise: Ja bist du denn irre, würde sie entgegen, rein in die geteilte Bude, zackzack, sonst kaufste doch die Katze im Sack. Meine Güte, wozu die Aufregung, hör doch einfach auf dein Bauchgefühl, fände derweil der beste Freund, ich weiß es ganz genau – obwohl ich noch überhaupt niemand anderen gefragt habe, außer mich selbst. Nämlich erstens: Will du? Ja, ganz klar. Und zweitens: Warum? Wegen der Übernachtungstasche, auch. Die fängt gerade nämlich an zu nerven. Und das, obwohl sie mir zu Beginn doch so viel Freude bereitet hat.
Heimlich gepackt habe ich diese Tasche, die eigentlich mehr ein Beutel war, immer dann, wenn ich morgens schon wusste, dass der Abend noch nicht verplant ist, bei ihm nicht und bei mir auch nicht. Zwei Socken rein und einen frischen Schlüpfer, Parfum und Krams zur Pflege. Vielleicht noch ein gewaschenes T-Shirt, vielleicht aber auch nicht, weil es herrlich war, einfach eines von seinen zu mopsen, am nächsten Morgen. Und auch sonst war diese Routine sehr praktisch, half sogar in Sachen Kommunikation. Ich habe meinen Beutel bei dir vergessen, tippte ich nach ein paar Wochen. Bitte vergiss ihn ab jetzt immer bei mir, kam ratzfatz zurück, woraufhin ich vor Freude fast in mein Handy biss.
Die Monate vergingen, und dann mehr als ein Jahr, aber der Beutel blieb. Trotz angehäufter Socken und Schlüppis und Kleider im gar nicht mehr fremden Schrank. Auch das Badezimmer ist voll mit allerhand Dingen, die mir gehören, aber genug steht da noch lange nicht. Weil es ist, wie es so häufig ist, wenn man halb hier wohnt und halb dort: Irgendwas fehlt immer. Das Buch, der Sportschuh, die Pinzette für den Oberlippenbart. Der Badeanzug, die Wasserflasche und vor allem: Die Auswahl. Aber meistens auch das, was man gerade am dringendsten braucht oder will oder mag. Es nervt, an jedem einzelnen Tag. Weshalb ich inzwischen bei Frage #3 angelangt bin: Wann ist denn eigentlich der richtige Zeitpunkt gekommen, um zusammenzuziehen? Gibt es den überhaupt? Natürlich nicht. Und doch: Auf jeden Fall. Weil, na klar, kein Paar dem anderen gleicht.
Wenn wir jetzt aber mal davon ausgehen, dass alles richtig knusper und die Liebe vorhanden ist, genau wie die Lust darauf, auch die seltsamsten Gewohnheiten des anderen zu akzeptieren und aufkommende Probleme in Zweisamkeit zu lösen, wenn die Vorstellung des gemeinsamen Seins in einer Wohnung, die auch mal geputzt werden muss, uns knallvergnügt stimmt, ja ist es dann nicht eine gute Idee, den nächsten Schritt zu wagen? Ich finde ja. Und der Mann auch. Und trotzdem sage ich immer: Ruhig Blut. Denn mir sind zwar Bartstoppel im Waschbecken egal, aber eines treibt mich in den Wahnsinn: Das Gefühl von Abhängigkeit. Und das käme, auf eine gewisse Art und Weise, gratis obendrauf, da müssen wir uns nichts vormachen.
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Als der Vater meines Kindes und ich uns damals getrennt haben, da bin ich stolz und stur wie ein Ochse in der gigantischen Wohnung sitzen geblieben. Ein Umzug kam mir nicht in die Tüte, ganze dreieinhalb Jahre lang. Das ging damals noch sehr gut. Nur sind die Mieten längst wie irre gestiegen, die Ansprüche und Bedürfnisse in der neuen Patchwork-Konstellation noch dazu, denn wir sind schon jetzt zu dritt und möglicherweise irgendwann auch zu viert. Ich sage außerdem immer: Meine Wohnung ist so schön, ich ziehe nur um, wenn es mindestens so bleibt. Es wird also so oder so: Teuer. Er sagt: Egal, wir bezahlen ja beide, 50/50. Ich dann: Aber was, wenn wir uns trennen?
Mittlerweile habe ich kapiert, dass es verletzend für das Gegenüber sein kann, wenn man nicht müde wird, bei jedem zweiten Gespräch über die gemeinsame Zukunft auch gleich das potenzielle Ende mit einzukalkulieren, scheinbar ganz ohne Grund, weil man sich doch zum Fressen gern hat. Ganz nehmen lassen will ich mir den Realismus, der so gern als Schwarzmalerei verkannt wird, trotzdem nie und nimmer. Es macht nämlich sehr wohl einen Unterschied, ob man sich eine Wohnung im Fall der Fälle auch alleine leisten könnte – oder eben nicht. Vor allem, wenn ein Kind im Spiel ist. Das Gefühl ist plötzlich ein anderes, ein neues und großes, eines, das mir einerseits wohlig und wichtig vorkommt, weil beide bis über beide Ohren genug sind, das alles und mehr zusammen zu wollen, aber es bleibt eben auch: Ein bisschen verrückt.
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Hast du denn kein Vertrauen?, fragen die einen. Und ich rolle dann jedes Mal mit den Augen. Natürlich habe ich das, bis nach Montecuccoli, sonst würde ich ja keine Beziehung führen, aber das Leben misst sich doch nicht am Vertrauen, es passiert einfach, zum Glück. Ich muss also zwangsläufig einen Weg finden, der es ermöglicht, sowas wie Frieden zu schließen mit der Unkontrollierbarkeit der Dinge. Zum Beispiel durch eine Art „Gütertrennung“. Wie unromantisch! Aber essenziell, jedenfalls für mich. Erstmal möchte ich nämlich ganz genau wissen, was mir gehört. Zum Beispiel: Schreibtisch, Schrank, Lampe, Bett. So weit, so einfach. Aber was, wenn etwa ein neues Sofa, das groß genug für alle ist, das alleinige Budget überschreitet? Wenn Zusammenschmeißen die Lösung ist? Auch okay. Dann würde ich im Zweifel eben auf eine schriftliche Auflistung pochen. Und abklären, wer es im Worst Case behalten darf. Oder auch: Was vorerst mit der Miete passiert, wenn einer geht. Was mit der Wohnung? Dran halten muss sich am Ende wohl keiner. Aber es würde vieles einfacher machen, für beide, für alle. Zumindest das weiß ich ganz sicher.
Vielen mag so viel Theorie und Ernstfall-Planung scheußlich und scheiße vorkommen, sogar von Grund auf falsch, wegen der Liebe und alldem. Ich verstehe das sogar, jeden kleinsten Gedanken. Auch, weil ich eine Trennung gerade selbst für so unwahrscheinlich halte wie eine Zeitreise im fliegenden Auto. Aber Leute, ich kann es nur immer wieder sagen: Das Leben. Ich würde jeder einzelnen Freundin, die gedenkt, ohne Ehevertrag zu heiraten, ja auch nicht ohne Grund eine riesengroße Standpauke halten, aus der tiefsten Tiefe meines Herzens, das deshalb keinen Furz weniger mit Liebe gefüllt ist.
Natürlich kann man auch sagen: Scheiß drauf. Warum jetzt schon an morgen denken? Klaro. Aber irgendwie ist es doch auch befreiend, einen Plan B zu haben. Und im besten Fall auch etwas, worüber man gemeinsam lachen können wird, eines Tages, wenn beide grau und noch immer glücklich auf dem Sofa sitzen, von dem keiner mehr weiß, wer’s eigentlich gekauft hat.
Und trotzdem: Keine Eile. Denn so sehr mir meine Übernachtungstasche inzwischen auf den Senkel geht, so sehr werde ich sie auch vermissen, ganz bestimmt. Sogar alles, was an ihr noch mit dran hängt: Das Kribbeln und Improvisieren und Träumen und Mopsen und Fluchen und Besuchen. Die Zeit, die wir gerade haben. Und an der ich eigentlich überhaupt gar nichts ändern will – bis heute Abend, wenn ich zum 100. Mal merke, dass meine Brille schon wieder in der falschen Wohnung liegt.
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