„Oh, kann ich mal deine Haare anfassen?“ – Ähm, warte, lass mich kurz überlegen: NEE!
Wenigstens hatte sie vorher gefragt. Das ist nicht immer der Fall. Letztens im Café bekam ich von Fremden am Tisch hinter mir ganz unerwartet, aber nicht zum ersten Mal, einen Griff ins Haar. Die typischen ‚Oh’, ‚Ah’, ‚Interessant!’ Ausrufe ließen auch nicht weiter auf sich warten. Und schon gar nicht ihre beleidigten Gesichter, die meine Humorlosigkeit strafen sollten. Wie kann ich auch nur diese Aktion weder witzig noch angemessen finden?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Ereignis nicht böse gemeint war. Ebenso wenig sind es neugierige und beiweilen distanzlose Kommentare beim Friseur, von Bekannten und Fremden auf der Straße, die mein Haar wie ein seltenes Insekt anstarren, es als wild, lustig oder urig beschreiben und dabei komisch das Gesicht verziehen. Bei Vergleichen mit Mogli, dem Dschungel-Kind, bin ich mir mit dem guten Willen dann aber nicht mehr so sicher.
Als feministische Soziologin, die sich mit den unterschiedlichsten Formen und Spielarten von Diskriminierung beschäftigt, könnte ich darauf mittlerweile doch eigentlich entspannter, vielleicht sogar verständnisvoller reagieren. Und auch die 30-jährige Koexistenz mit meinen Haaren hätten zu Gelassenheit in puncto solcher Alltagssituationen führen können. Das haben sie auch. Aber dennoch wird es mal Zeit die Karten auf den Tisch zu legen und Tacheles zu sprechen: meine Haare gehören mir; hört auf sie anzufassen und dadurch politisch zu machen!
Was an Haaren politisch ist, ist komplex aber ich erklär’s mal so: Haare sind Teil des menschlichen Körpers und damit genauso wie dieser stets einer gesellschaftlichen Kategorisierung unterzogen. So liest man meine Locken auf dem Kopf als Afro (auch wenn’s keiner ist) und wirft sie zusammen mit der Farbe meiner Haut, der Formung meines Körpers und meinen Gesichtszügen in einen Topf. Dieser heißt dann wahlweise und recht beliebig: ‚nicht-europäisch’, ‚afrikanisch’, ‚brasilianisch’ oder auch gern ‚Schokoladen-Baby’, ‚Cappuccino-Schönheit’ oder schlicht ‚exotisch’. Mein Haar, als Teil meines Körpers, wird also ethnisiert, sexualisiert und einem vermeintlich normalen, ‚weißen’ Haar entgegengesetzt. Das ‚andere’, unnormale’ ‚nicht-weiße’ ist dann auch immer gleich ‚wild’ und somit ‚unzivilisiert’‚ kulturell unterlegen’. Diese Logik steht – ob die lieben Bestauner*innen meines Haares das beabsichtigen oder nicht – jahrhundertealten rassistisch-sexistischen Diskursen gefährlich nah.
Ist auch nicht schwer, so hartnäckig wie dieses Bild medial am Leben gehalten wird. Schönes (Frauen-)Haar ist hier vor allem glatt, lang, glänzend und entspricht dem, was man als ‚europäisch, kategorisiert. Bei den vereinzelt auftauchenden Models und Stars, die nicht in die Schublade ‚weiß’ passen, wird das Äußere auf Fotos entsprechend angepasst. Die Nase wirkt schmaler, die Haut heller und das Haar glatter. ‚White-Washing’, Weißwaschen, nennt man dieses Vorgehen. Mit ihm entstehen gesellschaftliche Schönheitsideale und die fassen sich ganz einfach mit ‚weiß’ sein = schön sein zusammen. Auch das ist eine politische Dimension ‚schwarzer’ Locken.
Beispiele dafür finden wir mit einem wachen Blick überall in unserer Lebenswelt: auf Werbeplakaten für Kosmetik, Musik-Plattencovern, in Kinofilmen, Serien und Mode-Magazinen.
Nur muss man, um das auch zu erkennen, erstmal wissen, wonach zu suchen ist – und das ist leider nicht voraussetzbar. ‚White-Washing’ ist ein so selbstverständlicher Teil unserer Welt, dass wir es gar nicht merken. Vielmehr prägt es ganz beiläufig unsere alltägliche Wahrnehmung von uns selbst, von anderen Menschen und unser Verhalten ihnen gegenüber – solange wir nicht ‚anders’ sind und uns jede Shampoo- Werbung daran erinnert.
In den USA führen Feminist*innen und ‚schwarze’ Aktivist*innen schon seit Jahrzehnten heiße Debatten und politische Kämpfe zum Thema. Dort ist es auch unübersehbar. Schließlich besteht ein sehr großer Teil der Bevölkerung aus ‚Schwarzen’ und ‚People of Colour’. Dennoch regieren die gleichen weißgewaschenen Schönheitsideale wie hier und auf anderen Teilen der Welt: Eine globale, rassistisch-sexistische Struktur, in der Haar als Mittel der Unterdrückung bzw. Herabsetzung fungiert. Natürlich lässt sich das Spiel auch umdrehen, was viele Aktivist*innen in den USA auch tun. Sie tragen ihre Haare lockig, kraus, in Afros, Cornrows, Dreads, Braid-Outs und tausend anderen Varianten, aber eben nicht ‚weiß’. So setzen sie ein politisches Statement, in dem sie selbstbewusst ihr Aussehen als schön und erstrebenswert verteidigen. Das sickert auch so langsam in den Mainstream und färbt großstädtische Straßen bunt und vielfältig.
In Deutschland ist das alles noch Zukunftsmusik. Hier herrscht weiterhin breites Unverständnis der Haar-Politik gegenüber. Ihre Bedeutung ist weder Teil öffentlicher Debatten, noch im alltäglichen Umgang miteinander angekommen.
Und damit haben wir den Salat! Ein unbedachter Kommentar, eine blöde Aktion und schon reproduzieren wir, gewollt oder nicht, diskriminierende Strukturen. Also wird’s Zeit aufzuklären und das Thema mal anzusprechen, damit die Bewunder*innen meines Haares nächstes Mal mit weniger ignoranter Eingeschnapptheit und etwas mehr Feingefühl reagiert können:
Ich bin keine ‚exotische’ Kategorie, sondern ein Individuum, dass du nicht einfach antatschen darfst. Denn hey! Schließlich antworte ich auf die Frage, ob jemand mal meine Haare anfassen kann, auch nicht mit: „Klar! Kann ich mal deine Brüste anfassen, nur weil du ne Frau bist?“
Von Katharina Warda
Katharina ist 30 Jahre jung, lebt in nicht mehr in Schweden, sondern mittlerweile wieder in Leipzig und hat nicht nur einen Magister in Soziologie und Literaturwissenschaften in der Tasche, sondern auch einen Master in African Studies. Katharina engagiert sich im Bereich Menschenrechtsbildung, leitete bis vor kurzem eine eigene Kino- und Diskussionsreihe und werkelte außerdem an einem feministischen Performance Projekt. Mittlerweile hat sie außerdem ihre Finger bei einer Arbeitsgruppe zum Thema „Rassismus und soziale Kämpfe“ im Spiel und so ganz nebenbei schafft die niemals still stehende Rakete es auch noch, eine wissenschaftliche Publikation über „Tagebuch-Blogs – zwischen Identitätsarbeit und Popkultur“ zu tippen und gemeinsam mit Freund_innen ein Blog aus dem Boden zu stampfen, der sich mit Filmen, Serien und TV aus soziologisch-kritischer Perspektive auseinandersetzt. Haben wir was vergessen? Bestimmt.