Jacquemus & Saint Laurent A/W 15
– Free the nipple?

10.03.2015 Mode, Feminismus

nipple jacquemus saint laurent aw15Rückblickend betrachtet dürfen die Jahre 2013 und 2014 wohl als Hoch-Zeiten der entblößten, nicht selten gigantesquen Hinterteile bezeichnet werden (danke, Kim Kardashian), aber auch der Nippel gewann an Popularität und zwar aus viel ernster zu nehmenden Gründen als zunächst vermutet. Hinter dem Hashtag „#FreeTheNipple“ verbirgt sich nämlich ein bisschen mehr als Miley Cyrus Drang nach Nacktheit, vielmehr haben wir es hier mit einer ziemlich gewaltigen Online-Kampagne zu tun, mit einer weltweiten Frauenbewegung, die sich gegen die archaische Zensur des weiblichen Körpers ausspricht. “I’ve always questioned the fact that women are not equal to men and that really bothered me. It’s not about going topless, it’s about equality,” erklärt Mitbegründerin Lina Esco, die unter anderem für den Film „Girlrillaz“, der selbiges Thema beleuchtet, verantwortlich zeichnet.  

Man kann jetzt natürlich darüber streiten, ob Frau im Allgemeinen überhaupt barbusig durch die Straßen dieser Welt schlendern möchte, Fakt ist jedoch, dass sie es in den meisten Ländern und Staaten nicht dürfte, selbst wenn sie denn wirklich wollen würde. Stattdessen winken in extremen Fällen sogar absurde Gefängnis-Strafen von bis zu drei Jahren. Dass es #FreeTheNipple-Aktivistinnen tatsächlich nur vordergründig um entblößte Brustwarzen geht, im Kern aber um Gleichberechtigung, wird Lina Esco nicht müde zu erklären: „…but if I would have made a movie called Equality, and no one was going topless, nobody would be talking about it.” Ob die freizügigen Laufsteg-Looks von Hedi Slimane für Saint Laurent oder Monsieur Jacquemus wohl eine ähnliche Botschaft in die Welt hinaus tragen sollen?

 

Alle Bilder sehr ihr auf VOGUE.de

Möglich wäre es, vielleicht haben wir es hier sogar mit öffentlichen Sympathie-Bekundungen gegenüber der medienwirksamen Nippel-Verfechterinnen zu tun. Auf der anderen Seite ist uns natürlich klar, dass Laufsteg-Stylings wenig mit dem realen Leben am Hut haben, man kann sich also gut und gern die ein oder andere Bluse dazu denken, bloß wollen Designer manchmal eben nicht allzu sehr vom eigentlichen Augenmerk, beispielsweise der Hosenform, ablenken. Oder auch: Nacktheit als ästhetisches Mittel sozusagen. Was wiederum ein ganz anderer Witz ist, schließlich macht so ein wohlgeformter Busen manchmal mehr her als ein Stück Stoff. Wie dem auch sei, ab und an frage ich mich, wo wir wohl in dreißig, vierzig Jahren stehen werden. Oder besser: Wie wir stehen werden. Im Sommer dann ausnahmslos oben ohne? Und niemanden juckt’s? 
Unwahrscheinlich. Aber immerhin nicht unmöglich.

 

Lina im Interview mit der HUFFPOST:

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6 Kommentare

  1. ira

    Vielleicht machen wir uns auch einmal kurz darüber Gedanken, welche Art von Brüsten wir auf den Laufstegen hier zu sehen bekommen (und welche Art von Brüsten die Modemagazine dominieren). Körbchengrösse A an Frauen, die höchtsens 20 Jahre alt sind. Das ist auch wenig verwunderlich, denn würden Frauen mit grösseren (nicht operierten) Brüsten gewählt, dann würden diese sich während des Laufens bewegen und je nachdem würden sie ein bisschen hängen und dazu möchte man sich die abwertenden und angewiderten Kommentare in den Onlineportalen gar nicht erst vorstellen. Die nackten Frauenoberkörper funktionieren in dieser Form auf den Modeschauen meiner Meinung nach deshalb, weil sie durch den Kontext (und ihre Beschaffenheit) nicht mehr sexuell aufgeladen sind. Mit einer Frau, die sich im Alltag oben ohne bewegen würde, die vielleicht nicht mehr ganz schlank und jung ist, sähe das gleich wieder anders aus. Mir persönlich sagt auch diese Form des ‚Feminismus‘ (wie ihn auch Femen betreibt, die ausschliesslich junge, wohlgeformte Frauen auflaufen lassen) zugegebenermassen überhaupt nicht zu, weil er kein einziges drängendes gesellschaftliches Problem wirklich adressiert. Man erreicht mit dieser Form des „Protests“ sehr leicht Aufmerksamkeit, aber wem ist wirklich geholfen, wenn entblösste Oberkörper in der Öffentlichkeit erlaubt werden? Keiner alleinerziehenden Mutter, keiner Frau, die einfach wegen ihres Frauseins ein bisschen weniger verdient als ihre männlichen Kollegen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern zu wollen, das ist primär kleinteilige, oft auch frustrierende Arbeit, die viele Rückschläge beinhaltet und für die jede/r Einzelne in ihrem persönlichen Umfeld erste Schritte machen muss. Und das ist ungleich mühsamer als ein plakatives #Freethenipples, für das man sich auf seinem instagram-Profil „engagiert“. Ich teile grundsätzlich die Haltung, einer Zensur des weiblichen Körpers entgegenzutreten, aber es sind weder die Körper, die wir hier auf dem Laufsteg sehen, noch derjenige von Miley Cyrus, der zensiert wird.

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  2. Katinka

    Ich seh es wie ira. Auf dem Laufsteg völlig entsexualisiert, aber im Feminismus geht es doch nicht um das Recht, nackt herum zu laufen! Und man ist auch nicht erst dann „ganz Frau“ und ach so befreit, wenn man sich halbnackt in pseudoerotischen Posen auf Fotos räkelt. Das banalisiert das Thema. Es geht um Chancengleichheit, darum, keine Angst vor Vergewaltigung haben zu müssen, nur weil man ein Mädchen oder eine Frau ist, um Selbstbestimmtheit und freie Wahl von Ehemann, Beruf, Partei, Kleidung etc. Darum, am Arbeitsplatz nicht alltags-sexistischen Bemerkungen ausgesetzt zu sein. Bei Ehebruch oder Scheidungs-Wunsch nicht gesteinigt zu werden.
    Es geht nicht darum, mit wippendem, entblößen Busen durch die Straßen laufen zu dürfen. Und dass zu behaupten und mit Feminismus gleichzusetzen ist eine Beleidigung, Frau Esco & Co.

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  3. Nike Jane Artikelautorin

    Gegenfrage: Wäre Feminismus im Allgemeinen überhaupt wieder so ein großes Thema, wenn es Frauen wie Lina nicht gäbe? Daher der Verweis auf die Zitate: “I’ve always questioned the fact that women are not equal to men and that really bothered me. It’s not about going topless, it’s about equality…but if I would have made a movie called Equality, and no one was going topless, nobody would be talking about it.”
    Und es ist ganz klar, dass wir hier von der westlichen Welt reden. Davon, dass auch in Ländern, in denen vermeintlich „Gleichberechtigung“ herrscht, noch einiges schief läuft. MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN überall dort, wo noch immer Steinigungen praktiziert werden, sind noch einmal beinharte weitere Baustellen im Kampf für die Rechte der Frauen (und Männer).

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    1. ira

      Ich finde das eine wichtige Frage, die du da stellst, und bin da auch selbst immer ein bisschen hin- und hergerissen. Klar, es erzeugt Aufmerksamkeit und ja, selbstverständlich sollte es einer jeden Frau erlaubt sein, oben ohne raus zu gehen, wenn sie das möchte, zumal das wie Greta bemerkt hat, in den USA nochmals eine ganz andere Nummer ist als in Deutschland. Ich frage mich einfach, welche Art der Aufmerksamkeit hier eigentlich erzeugt wird und ob diese Aufmerksamkeit dann tatsächlich dazu führt, dass auch andere Themenfelder des Feminismus mehr gewürdigt werden. Ich habe oft das Gefühl, dass Medien solche Themen aufgreifen, weil Nacktfotos schnelle Klicks generieren. Eine vertiefte Auseinandersetzung auf breiter Ebene findet selten statt. Klar kann man argumentieren, dass sich damit die Übersexualisierung des weiblichen Körpers angeeignet und als Empowerment gebraucht werden kann und somit auf jeden Fall seine Berechtigung hat. Was ich einfach schade finde ist, dass feministische Anliegen fast nur dann Aufmerksamkeit finden, wenn sie auf diese Weise transportiert werden. Und zwar auch primär dann, wenn sie von jungen, schlanken (weissen) Frauen vorgetragen werden. Ich finde diese Form des Protests auch durchaus legitim, mir persönlich geht sie einfach zu sehr an meiner Lebensrealität vorbei. Gerade weil wir in der westlichen Gesellschaft leben, wir müssen die „grossen Kämpfe“ für Gleichheit vor dem Gesetz nicht mehr führen. Bei uns kommt es darauf an, wie wir unsere Beziehungen gestalten, wie wir gegenüber Arbeitgebern auftreten und wie sie uns behandeln, darum, dass es Möglichkeiten zur Kinderbetreuung gibt und zwar auch für diejenigen, die keinen 8-17h Bürojob haben, dass es für Eltern nicht normal ist, dass es ihr Sohn völlig am Rad dreht, weil er eben ein Junge ist, wohingegen das Mädchen ermahnt wird, sobald es die Gabel falsch hält, dass Frauen erfolgreich Mode- und Foodblogs führen können und dafür bewundert werden, aber in den Wirtschafts- und Politredaktionen (geschweige denn Chefredaktionen) völlig unterrepräsentiert sind (Das meine ich nicht abwertend gegenüber Modeblogs, mir geht es hier mehr darum, dass Frauen vor allem dann viel Anerkennung finden, wenn sie sich in traditionell „weiblich“ konnotierten Rahmen bewegen, auch wenn natürlich die Modeindustrie selbst auch eine Männerdomäne ist. Ich fand diesen Artikel dazu ganz interessant: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/immer-das-gleiche-strickmuster). Das meinte ich mit kleinteilig. Aber für die Öffentlichkeit sind diese Dinge natürlich eher unsexy und auch für mich selbst rücken sie auch erst jetzt mit Ende 20 überhaupt mehr in den Fokus, während ich, als ich jünger war, der Ansicht war, diese Auseinandersetzungen seien müssig und wir bräuchten sie nicht mehr zu führen. Trotzdem hat Linas Ansatz selbstverständlich auch seine Berechtigung und die unterschiedlichsten Formen der Repräsentation von Frauen in der Öffentlichkeit sind völlig legitim, weil ja auch unterschiedliche Frauen völlig unterschiedliche Bedürfnisse haben.

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  4. Greta

    Es ärgert mich immer, wenn berechtigte Anliegen mit Sätzen wie: „Es gibt doch viel schlimmere Probleme“/“ das trifft doch nur eine kleine Randgruppe“ abgefertigt werden. Ja, es geht im Feminismus nicht um Brüste, mögen sie nun schwingen, wippen oder hängen. Aber meistens hängen diese Brüste an Frauen. Und meistens ist es nicht ok, wenn diese Frauen, gerne ein bisschen Sonne an ihre Brüste lassen wollen. Oder wenn bei 40° im Schatten jedens zusätzliche Kleidungsstück einer ernsthaften Abwägung bedarf. Und das gilt auch, wenn man sie nur im eigenen Garten frei lässt, seine eigenen Brüste.
    Und man darf auch nicht vergessen, dass wir hier im FKK-wir-kennen-alle-unsere-Eltern-nackt-umziehen-am-Badesee-ist-ok-Deutschland leben. Wer mal in einer Damenumkleide in Australien oder USA den Fauxpas begangen hat, den Wechsel von Alltags- zu Sport-BH einfach so (also vor den Augen der anderen) durchzuführen, der versteht, warum es diese Kampagne gibt…

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