Wenn man früh Mutter wird, dann hagelt es von allen Seiten Kommentare, gute und schlechte, solche, die man als Lobhudelei verbucht und andere, die den Denkapparat zum Knirschen bringen. Womöglich kann man „Mutter“ an dieser Stelle auch gut und gerne durch Ist-Zustände wie „wenn man älter wird / wenn man einen guten Job hat / wenn man in einer Beziehung steckt“ ersetzen. Am Ende kommt immer das Gleiche dabei heraus: Die große Frage, ob man annähernd so reif ist, wie man sollte. Als sei der Grad des geistigen Erwachsenwerdens ein Glücksbarometer, sowas wie der Schlüssel zur lasterlosen Erleuchtung. Höchstwahrscheinlich bin ich etwas schief gewickelt, aber mich beschleicht immer mehr das Gefühl, dass alles genau anders herum ist. Dass unsere Sozialisierung hin zur Vernunft zwar zweifelsohne gesund, aber ganz gewiss nicht der ultimative Weg oder gar abenteuerlich ist, wo das Gegenteil von Abenteuer doch im besten Fall als Routine bezeichnet werden kann. Wer das will, hat Glück. Wer nicht, dem gehts wie mir. Weil ein bisschen Krawall durchaus erquickend sein kann. Und wichtig für die wilde Seele.
Nehmen wir beispielsweise das vergangene Wochenende. Plötzlich saß ich da und wollte gar nicht viel, bloß raus und zwar alleine. Wein trinken, Hirngespinsten Luft machen, eine Tonne Pizza verdrücken, mit extra Mascarpone, und in der Nacht verloren gehen. Nichts Besonderes, nur das, was man eben so macht, wenn man zwei Beine, gute Freunde und ein bisschen Freizeit hat. Bis ich eine wirklich weit entfernte Bekannte traf, die in etwa so viel Ahnung von Spaß hat wie ich von Stochastik. Wo sind denn deine Jungs, musst du nicht gleich nach Hause, einen Kater kannst du dir doch jetzt wirklich nicht erlauben. Typisches Moralapostelgejaule im Deckmantel der freundlichen Besorgtheit. Ich frage mich dann immer, ob es denn wirklich so schwer ist, zu begreifen, dass in meinem Körper noch genau der selbe Mensch sitzt, wie all die Jahre zuvor. Jedenfalls erinnere ich mich nicht daran, jemals ein Heimscheißer gewesen zu sein.
Am nächsten Morgen natürlich die Quittung, ein Kater aus der Hölle, Belag auf der Zunge, ein Blitz im Kopf. Aber ich habs ja gewusst. Wie schön, denke ich. Alles wie immer und früher und vorher. Bloß ist es noch dunkel draußen, als ich geweckt werde, weil neben mir eine kleine Hand auf dem Kissen herum patscht und nach dem Schnuller sucht. Und die Erschöpfung? Halb so wild. Fühlt sich nach lebendig sein, nicht nach Katastrophe an.
Achtung, Schnittchen auf 12 Uhr, mit Bart und Knackpo dran. Ich sage sowas manchmal. Weil ich Männer mag und Gucken ja sowieso erlaubt ist, sogar nach zehn Jahren Ehe. Ehm, du weißt aber, dass du hast ein Kind zuhause sitzen hast?! Danke für den Reminder. Meine Augen gehören aber schon noch mir, oder wie ist das jetzt? Scheuklappen und totale Selbstaufgabe? Kenn ich aus Büchern und üblen Anekdoten, dass ich aber heilfroh bin, nicht selbst von dieser Pest betroffen zu sein, kommt mir nur selten über die Lippen. Betroffene treffen nämlich gern auf Gleichgesinnte. Wer nicht mitreden kann, dem klebt deshalb sehr schnell ein Rabenmutter-und-Freundin-Stempel auf der Stirn. Wasserfest, da hilft auch verbales Rubbeln nicht.
Wenn das Kind erstmal da ist, ist dein Leben echt vorbei. Schlaf auf jeden Fall schonmal vor und geh nochmal richtig aus, das ist dann alles Schnee von gestern. Wenn man nicht am Leben interessiert ist, dann bestimmt. Ansonsten gibt es Väter, Tanten oder Babysitter. Wie war das noch gleich mit der elendigen Floskel „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied?“ Wahre Worte, ganz im Gegensatz zu den soeben voran gegangenen. Tausend Mal gehört, tausend mal zu den Ohren wieder raus gekotzt. Ein Scheiß ist vorbei. Und zwar nur der, auf den man ohnehin keine Lust mehr hatte, weil 1000 und eine Nacht erlebt.
Ein anderer Tag. Ich sitze mit einer Tragik-besudelten Freundin beim Spanier. Als ich gerade heimlich und genüsslich an der ersten Zigarette des Jahres ziehe, obwohl ich eigentlich längst Nichtraucherin bin – die Umstände und die Frechheit des Auslösers der Tragik trieben mich für einen kurzen Moment in die Sucht zurück -, faucht jemand am gegenüberliegenden Tisch „Die kenn ich aus dem Internet, die ist Mutter und jetzt pafft die hier.“ Erwischt. Mein Kind ist zwar 30km weit von meinem Rauch entfernt, aber dennoch beschleicht mich ein schlechtes Gewissen. Trotz Pfefferminzkaugummis und der Zahnbürste, die daheim auf mich warten, um jegliche Spuren rechtzeitig zu verwischen. Ich bin noch immer nicht erwachsen, das ist der Beweis. Erwachsene benehmen sich anders, immer den Erwartungen entsprechend, nie daneben. Gibt es überhaupt Erwachsene? Wenn ich so darüber nachdenke, dann kenne ich keinen einzigen. Ich kenne bloß Menschen unterschiedlichen Alters, die alle mal im Dunkeln tapsen. Der Kniff liegt allerdings darin, die Taschenlampe nicht zu vergessen. Damit man pünktlich zurück auf die Straße der inneren Reife gelangt.
Am Ende bin ich vielleicht nicht unreifer als gedacht, aber erwachsener als vermutet. Weil ich meine eigenen Entscheidungen treffe, statt unbefriedigt jeglicher Konformität zu folgen. Weil ich erhobenen Hauptes sämtliche Konsequenzen trage, statt verbittert nach fremden Fehlern zu jagen, um meine eigenen zu überbieten. Weil ich es lieber wie Hunter S. Thomson halte:
“Life should not be a journey to the grave with the intention of arriving safely in a pretty and well preserved body, but rather to skid in broadside in a cloud of smoke, thoroughly used up, totally worn out, and loudly proclaiming „Wow! What a Ride!”. Amen.