“Beim Feminismus gehts nicht nur um Frauen!”
Die britische Autorin Laurie Penny hat mit ihrem neuen Buch Unsagbare Dinge einen inspirierenden und provokanten Leitfaden zum modernen Feminismus geschrieben. Wir haben uns mit der 28-Jährigen, die derzeit übrigens als eine der wichtigsten Feministinnen unserer Zeit gehandelt wird, über Aktivismus und Geschlechterrollen unterhalten – und darüber, wie sich Männer für den Feminismus engagieren können.
Laurie, unter jungen Frauen scheint es heute einen Backlash zu geben: Viele wollen jung heiraten, Kinder bekommen und zuhause bleiben anstatt Karriere zu machen. In deinem Buch beschreibst du diese Frauen als “50ies-Cupcake-Moms” – was ist falsch an dieser Entscheidung?
Es ist wichtig, einen Unterschied zu machen zwischen dem Kritisieren von Trends und dem Beleidgen von individuellen Personen. Es steht mir nicht zu, über das Leben von anderen Menschen zu urteilen – so lange sie mit ihren Entscheidungen ihre Mitmenschen nicht verletzen. Aber ich habe das Gefühl, dass die Entscheidung zwischen Job und Familie viele junge Frauen überfordert. Für viele ist das immer noch ein unmachbares Dilemma, es ist einfach zu ermüdend. Dazu kommt, dass die traditionelle “Arbeit der Frau” – also der Haushalt, die Kinderbetreuung, und so weiter – schon immer nicht genügend anerkannt und geschätzt wurde. Sie wird als einfach angesehen, nur weil sie von Frauen gemacht wird. Dabei ist das Arbeit, die für uns alle, für die Gesellschaft überlebenswichtig ist! Ich finde, Hausarbeit und Kinderbetreuung sollten im gleichen Mass geschätzt und vor allem bezahlt werden wie Erwerbsarbeit. Vielleicht würden sich dann mehr Männer überlegen, der Frau zuhause unter die Arme zu greifen.
Viele stören sich am Ausdruck “Feminismus”. Sie finden, es müsste Humanismus heissen, das sei treffender. Was denkst du darüber?
Es ist mir nicht wichtig, ob sich die Leute Feminist oder Feministin nennen oder nicht. Es kommt darauf an, wofür man kämpft und wofür man einsteht. Feminismus ist keine Identität, es ist eine Bewegung, eine Lebenseinstellung. Und vor allem: Beim Feminismus gehts nicht nur um Frauen – sondern darum, alle Menschen von den Klischees der aufgezwängten Geschlechterrollen zu befreien. Aber weil Frauen stärker unter diesen Klischees und Gesetzen leiden, und auch weil die Bewegung schon immer vor allem von Frauen angetrieben wurde, ist “Feminismus” ein angebrachter Name. Manchmal kommt es mir fast so vor, als ob es Männer nicht ertragen, Teil einer Bewegung zu sein, die suggeriert, dass Frauen hier den Lead haben.
Heute denken immer noch viele Leute, Feminismus sei der Kampf gegen Männer.
Es geht zumindest nicht immer nur darum. Aber ich bin nicht dafür, meine Politik nett und angenehm zu gestalten, nur damit sie für Männer nicht bedrohlich wirkt. Schlussendlich bekämpft Feminismus den Staus Quo und der ist nun einmal so, dass Männer eine grössere soziale Macht besitzen als Frauen. Beim Feminismus gehts um Gerechtigkeit, die Umverteilung von Reichtum, Macht und Einfluss. Es geht darum, die alte Ordnung, in der Männer alle diese Dinge für die meiste Zeit der Geschichte der Menschheit alleine besassen, aufzubrechen und umzudenken. Man kann die Botschaft einer Bewegung nur in einem gewissen Mass abschwächen, sie nett und flauschig machen, bevor der springende Punkt ganz verloren geht. Und selbst wenn das passiert, selbst wenn man die Botschaft vom Feminismus so angenehm wie möglich gestaltet, auch dann wird man noch angegriffen dafür. Was auch immer man als Frau Politisches sagt in der Öffentlichkeit, man riskiert, dafür angegriffen zu werden. Also kann man genau so gut sagen, was man denkt – und wie man es denkt. Der Einsatz vom Feminismus ist zu hoch, um den Kampf schon mit Entschuldigungen zu beginnen.
Es ist aber wirklich so, dass nicht alle Männer gegen den Feminismus sind.
Das stimmt natürlich. Ich bekomme so viele positive, bekräftigende Nachrichten von Männern und Jungs. Ich denke, der Feminismus spricht heute die Männer und Jungs an, die auch wirklich hinhören wollen – das war wohl schon nur eine Generation früher nicht so.
Was ist heute anders?
Ich denke, immer mehr Männer realisieren, dass das Patriarchat auch sie unterdrückt. Dass auch sie betroffen sind von aufgezwängten Geschlechterrollen – und eben, dass auch sie profitieren können davon, wenn wir dieses uralte System aufschütteln und neu definieren.
Was können Männer tun, um den Feminismus zu unterstützen?
Der beste Weg ist, den Frauen zuzuhören. Einfach zuzuhören. Die Schriften von Frauen zu lesen, zu analysieren und versuchen, die eigene Beziehung zu Frauen zu hinterfragen und zu verbessern. Denn das Persönliche ist politisch. Das Wichtigste ist, dann auch aktiv zu werden. Theorie ist super, sich zu informieren und entsprechend zu reagieren ist toll – aber ruft mich an, wenn ihr dann wirklich regelmässig den Abwasch macht und die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmt. Viele Männer erzählen mir, dass sie Frauen lieben und respektieren – und fügen dann hinzu, wie sehr sie ihre Mutter lieben, weil sie eine “starke Frau” ist. Ich will das nicht mehr hören! Es ist einfach, die eigene Mutter zu respektieren, sie hat einen gross gezogen. Schwieriger ist es, zu lernen, dass man alle Frauen und Menschen generell respektieren muss. Darüber hinaus ist es wichtig, die Stimmen der Frauen zu verstärken, gegen Sexismus einzustehen wenn man ihn erlebt. All das ist sehr kraftvoll und kann andere Männer mitziehen. Denn nicht-feministische Männer tendieren immer noch dazu, eher auf andere Männer zu hören als auf Frauen.
Erschreckend oft höre ich von Frauen, hier in einem der privilegiertesten westlichen Ländern, dass Feminismus doch gar nicht mehr nötig sei.
Ich finde es sehr beleidigend zu denken, dass die Sorgen und Anliegen von Frauen in nicht-westlichen Ländern so viel anders sind als unsere hier. Tatsächlich ist es doch so, dass die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts und die starren Geschlechterrollen globale Probleme sind, die sich in den verschiedenen sozialen Gesellschaften auf unterschiedliche Art und Weise zeigen. Jeden Tag sagen mir Leute, ich soll endlich die Schnauze halten mit meinem Feminismus-Geschwafel, denn immerhin seien wir hier nicht in Afghanistan. Nun ja, dann könnte man den Menschen in Europa genau so gut sagen, sie sollen sich nicht über Sparpolitik in den ärmeren Ländern beschweren oder sich nicht um die Hungersnot in Afrika kümmern. Eine solche Haltung ist faul, ignorant und beleidgend – und man gibt den betroffenen Menschen so das Gefühl, dass ihre sozialen Probleme nicht wichtig sind.
Frauen – vor allem jungen, hübschen Frauen – die sich öffentlich für Feminismus einsetzen wird oft vorgeworfen, nur nach Aufmerksamkeit zu geifern. Hast du das selbst auch schon erlebt?
Grundsätzlich werden alle Frauen bedroht und beschämt, wenn sie sich für Feminismus aussprechen. Und ja, jeden einzelnen Tag werfen mir Leute vor, dass ich zu alt und hässlich sei, um öffentlich aufzutreten und dass ich nur neidisch sei. Aber auch das Gegenteil wird mir vorgeworfen: Ich sei zu jung und zu hübsch und dass mein Mund eher dafür geeignet sei, Blow Jobs zu geben als zu sprechen. Das ist alles getrieben vom Hass auf Frauen, die sich trauen, in der Öffentlichkeit über Politik zu sprechen. Viele Männer beurteilen Frauen ausschliesslich nach ihrem Auftreten – und nennen uns oberflächlich und aufmerksamkeitsgeil. Wie heuchlerisch! Ich habe noch nie gehört, dass ein Mann als aufmerksamkeitsgeil verurteilt wurde. Wenn Männer nach Aufmerksameit streben, egal ob für ihre Arbeit oder für die Dinge, an die sie glauben, wird automatisch angenommen, dass ihr Anliegen wichtig ist.
Du schreibst, das Wort “Schlampe” sei ein kraftvolles Wort – und dass du es zurückerobern willst.
Ich denke, für viele Mädchen und Frauen ist das Zugeständnis, die eigene Sexualität, die eigene Lust, das eigene Verlangen, die eigene sexuelle Macht zu kontrollieren und auszuleben fast ein bisschen wie ein Coming Out. Wenn ich an Slut Walks mitmarschiere, fühlt sich das jedes Mal an wie eine riesige Pride Parade. Frauen und Mädchen mit allen möglichen sexuellen Orientierungen stehen ein für einander und sagen: „Ich kann alles tun mit meinem Körper, ausser einer anderen Person damit weh zu tun. Und du hast nicht das Recht dazu, mich dafür zu bestrafen oder mich zu missbrauchen!“ Wenn wir öffentlich über sexuelle Gewalt, Belästigung und Slut Shaming diskutieren wollen, dann müssen wir die weibliche Macht über die eigene Sexualität und den weiblichen Körper reden – und zwar positiv!
Laurie Penny, geboren 1986 in London, lebt derzeit in England und den USA. Sie hat Englische Literaturwissenschaft in Oxford studiert. Ihr Blog „Penny Red“ wurde 2010 für den George Orwell Award für politisches Schreiben nominiert. Sie schreibt regelmässig für den „New Statesman“ und für „New Inquiry“ sowie auf Twitter, wo sie inzwischen über 100 000 Follower hat. Zuletzt erschien bei Edition Nautilus: „Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus“ (2012).
Buch: Unsagbare Dinge (Edition Nautilus), Fr. 23.90
Am 18. Juni liest und diskutiert Laurie Penny im Literaturhaus Zürich, Moderation: Noëmi Landolt. Karten unter literaturhaus.ch
Von Miriam Suter.
Miriam Suter lebt in der Schweiz und arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Kulturmagazine. Ihre Kurzgeschichten erscheinen auf zeitnah.ch und in der Schweizer Autorenzeitschrift “NaRr”. Sie ist 27, mag Katzen und ist nebenher Presse-Mädchen für das coolste Underground-Plattenlabel der Schweiz.
Collage oben: This is Jane Wayne