Kiki sitzt in einem Café neben mir, wache Augen, dunkles langes Haar, ein ordentlicher Seitenscheitel, aber Sorgenfalten auf der Stirn. Kann ich mir kurz den Zucker borgen? fragt sie mich, während ihre Freundin immer lauter wird und damit beschäftigt ist, nach Luft zu schnappen: Du musst dich entscheiden, Herrgott. Was ich als Tischnachbarin denn eigentlich von dieser Geschichte halten würde, raunt es mir entgegen. Ich höre zu, eine Stunde lang – Der Anfang von „Protokolle aus dem Leben“. Ich verabrede mich mit Kiki, selber Ort, gleiche Zeit, bloß zwei Tage später. Und sie fängt nochmal von vorn an:
„Es ist doch so, das halbe Leben dreht sich darum, den richtigen Partner zu finden, um irgendwann häuslich zu werden, Kinder zu kriegen und für immer zu zweit zu sein. Ich wäre aber ganz ehrlich lieber zu dritt. Was ein Problem ist, schon allein wegen unserer Sozialisierung, man muss erstmal jemanden finden, der das versteht, geschweige denn mitmacht. Angefangen hat das alles eigentlich mit meinem Exfreund. Wir waren ein Traumteam, aber irgendwann fragte er mich, ob ich mir eventuell vorstellen könnte, ab und zu mit anderen zu schlafen, er denke nämlich manchmal selbst darüber nach, nicht, weil er den Akt an sich mit mir nicht wunderbar finden würde, sondern weil er nach viel hin und her eingesehen habe, dass Monogamie irgendwann zwangsläufig zu Seitensprüngen führe, ich solle bloß mal einen Blick auf die Statistiken dieser versauten Erde werfen.
„Alle machen das, früher oder später, aber niemand redet drüber, so läuft der Hase, aus die Maus.“ Im wahrsten Sinne des Wortes, zwei Monate später habe ich die Beziehung beendet. Ich glaube doch an die große Liebe, hab ich mir damals geschworen, und diesen Urquatsch kann er seinen Kumpels erzählen, aber nicht mir. Es folgte eine phänomenale Zeit des Singledaseins, gleichzeitig fingen im Freundeskreis aber die Hochzeitsglocken an zu leuten. Und dann passierte etwas Seltsames: Nach und nach schenkten mir sämtliche Bekannte immer mehr reinen Weinen ein. Mit den Jahren kommen nunmal Zweifel, aber dass eigentlich jede meiner im Grunde glücklich vergebenen Freundinnen plötzlich ähnliche, verbotene Schlingel-Gelüste verspürte, wunderte mich zuweilen schwer. Da ging es dann darum, dass man sich wirklich aufrichtig liebe, aber „ach Kiki, wenn ich wie du doch auch ab und an mal knutschen könnte, einfach nur weils Spaß macht und dann Tschaui.“ Die spinnen, dachte ich. Bis ich Ben kennenlernte, der irgendwie zur falschen Zeit in mein Leben schlidderte. Ich hatte mich nämlich gerade erst an meine neue Freiheit gewöhnt und konnte mir alles vorstellen – außer mich wieder fest zu binden. Naja, Pustekuchen, gegen das Verliebtsein ist man ja machtlos. Das einzige Problem: Ben ist butterweich, so einer, der mich auf Händen trägt, aber keiner für Einbrüche ins Schwimmbad. Alles andere ist perfekt, echt wahr.
Jedenfalls sitze ich jetzt hier und denke an die Worte meines nach Köln ausgewanderten Exfreundes. Wenn ich ganz tief in mich rein horche, muss ich tatsächlich feststellen, dass kein einziger Mann, den ich je geliebt hatte, es drauf hatte, mich in allen Punkten zu befriedigen. Irgendwas fehlt immer, das ist menschlich, Perfektion existiert nur in Hollywood. Also Butter bei die Fische: ich weiß nicht, ob ich viel von offenen Beziehungen halte, das kommt mir seltsam vor, ständig seine Zunge durch fremde Münder zu schleudern. Aber so ein Dreier-Konstrukt, das macht für mich irgendwie ganz unverhofft Sinn. Wenn doch immer irgendwo eine Lücke klafft, dann ist es womöglich schlau, sie zu stopfen, bevor man anfängt, sich aus Frust zu hintergehen. Schon klar, am Anfang bekommt man nicht viel von den Defiziten mit, rosarote Brille und sowas, aber nach ein paar Jahren, kommt das schon relativ häufig vor. Tilda Swinton, der alte Schlaufuchs, hat das Dilemma früh erkannt und schlängelt sich seither ganz ungeniert mit vier starken Armen an ihrer Seite durchs Leben. Wieso auch nicht, ist vielleicht einen Versuch wert. Bloß versteht das natürlich wieder niemand, gehört sich ja nicht sowas. Ehrlicher wäre es aber allemal. Ich stelle mir das so vor: Auf der einen Seite ist da Ben der Butterweiche. Vor ein paar Wochen stolperte aber ein Herr mit langem Haar und Gitarre in mein Leben, einer von der wilden Sorte, der mehr Künstler als Alltagsmaterial ist, aber derart viele Reize hat, dass das Widerstehen schwer fällt. Und außerdem schlägt er genau in die Kerbe, hat also diese kleinen Feinheiten, die ich beim aktuellen Traumprinzen vermisse. Nur will ich den auch auf keinen Fall missen, zusammen alt werde wäre sogar durchaus denkbar. Bitte liebes Universum, so schicke mir doch eine Antwort auf all meine Fragen, ich komme nämlich nicht mehr weiter.
Das stärkste Argument jeder Freundin: Dann ist Ben halt nicht der Richtige. Nach dieser Logik wäre aber niemand der Richtige, weder für mich, noch für meine Freundinnen. Gut, dann muss man eben Kompromisse eingehen, man kann eben nicht alles haben, folgt dann. Aber soll das wirklich der Sinn der Sache sein? Ich glaube, es ist vielleicht an der Zeit, eingerostete Strukturen zu überdenken, nicht umsonst wird jede zweite Ehe geschieden und all das. Vielleicht müssen wir uns endlich locker machen. Damit nicht nur jeder sein darf, wie er oder sie will, sondern auch selbst entscheiden kann, welches Beziehungsmodell das passendste ist. Jeder Jeck ist schließlich anders. Vielleicht klappts dann auch irgendwann wieder mit dem Treusein, sogar doppelt gemoppelt.“
P.S: Wer (anonym) eine Geschichte zu erzählen hat, der melde sich gern bei mir! (nike@thisisjanewayne.com)