Gerade einmal zwei Sekunden ist sie zu sehen. Weite schwarze Hose, ein altrosaner Mantel, die große Sonnenbrille im Gesicht. Und ein Kopftuch verdeckt ihre Haare – Millionenfach wurde H&Ms Video „Close The Loop“ angesehen und geteilt. Aber nicht etwa wegen der Recycling-Botschaft, sondern weil endlich einmal eine große Modekette Muslimas direkt als Kundinnen anspricht. Für die 23-jährige Mariah Idrissi, die in dem Spot als Model zu sehen ist, schließen sich ihr Interesse an Mode und ihre islamischen Überzeugungen nicht aus: Lippenstift und Nasenpiercing sind okay, Kopftuch Pflicht und ihre Füße möchte sie lieber nicht zeigen.
Nach und nach wächst die Nische, in der Mode und der Islam vereinbar sind. Was in Großbritannien schon längst dazugehört, steckt in Deutschland noch ein bisschen in den Kinderschuhen. In England sind Modebloggerinnen wie Dina Tokio oder Amena Khan längst zu Designerinnen avanciert, die ihre nicht immer muslimischen Kundinnen mit weiter Kleidung, auffälligem Schmuck und modernen Tüchern versorgen.
Damit treffen sie genau den Nerv der Zeit, in der junge, muslimische Mädchen sich eigenständig dazu entscheiden, den Hijab, das Kopftuch, zu tragen. Für sie ist das Verhüllen kein Zeichen von Unterdrückung, sondern ein Bekennen zur eigenen Spiritualität. Ihn nicht zu tragen wäre hingegen eine Art Verstecken: Das Verstecken der eigenen Religion. Die Hijabistas (Hijab + Fashionistas) wandeln zwischen zwei Identitäten, zwischen zwei Kulturen. Auf der Straße werden sie kritisch angesehen, werden gefragt, wie sie in Europa als selbstbestimmte Frau ein Kopftuch tragen können. Auf Seiten der Muslime hält man ihre Kleidung für zu bunt, zu eng, zu auffällig. Leicht ist es sowieso nicht, sich als gläubige Muslima modebewusst zu kleiden, da die westliche Bekleidungsindustrie erst nach und nach entdeckt, dass sie Kundinnen haben, die weder Transparenz noch tiefe Ausschnitte wollen. Nachdem im letzten Jahr zwei arabische Modeexpertinnen eine Kollektion aus langen Kleidern, Overalls und langärmligen Oberteilen für Donna Karan designten, zogen in diesem Jahr Mango, DKNY und Hilfiger nach und präsentierten pünktlich zum Ramadan ihre Interpretation von Mode, die halal, also nach islamischem Recht erlaubt, ist. Auch die britische Designerin Barjis Chohan baut mit ihrem Label eine Brücke zwischen westlicher und östlicher Welt und zeigte sogar auf der London Fashion Week.
Hierzulande hinkt der Zeitgeist noch ein bisschen hinterher, doch die Onlinecommunity wächst stetig. Bloggerinnen wie Indah Nada Puspita aus Hannover erreichen mehr als 300.000 Follower bei Instagram, Neslihan Kapucu designt Kleidung, die von ihren türkischen Wurzeln inspiriert ist und Illustratorin Ayse Kilic zeichnet Kopftuch tragende Models. In sozialen Netzwerken tauschen sich junge Muslima über ihre Begeisterung für Mode aus, auf Youtube finden sie Tutorials zum Binden des Hijab in den verschiedensten Variationen und Online-Shops bieten genügend Auswahl, wenn bei der Modekette um die Ecke mal wieder nichts Passendes dabei war.
Diesen jungen Frauen, die oftmals schon zur 3. Einwanderergeneration gehören, mangelnde Selbstbestimmung vorzuwerfen, das wäre nicht richtig. Sie vermitteln ein neues Bild, verstecken sich nicht hinter langen, dunklen Gewändern, mit denen ihnen der Mund verhangen wird. Sie haben etwas zu sagen, entscheiden sich manchmal erst mit 30 dazu, den Hijab zu tragen oder kombinieren ihn mit rotem Lippenstift, Flip-Flops und engen Hosen.
Nur eines wollen sie alle nicht. Dass vergessen wird, dass jede von ihnen sie selbst ist, ihren eigenen Stil und eigene Interessen hat. Dass auch wenn ihre Religion sie prägt, sie nicht ihre ganze Identität ausmacht. Und dass sie eben nicht nur dieses Stück Tuch sind, das sie um den Kopf tragen.
Von Judith Brachem.
Judith Brachem, 23-jährige Wahlhamburgerin, die in einem früheren Leben mal Landei war. Wenn sie nicht gerade Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften studiert, steckt sie Models als Ausgleich zum eigenen All-Black-Everything-Stil in möglichst helle Klamotten, gibt ungefragt ihren feministischen Senf dazu oder schreibt über das coolste Pärchen der Welt: Mode und Kunst.
Mehr von ihr gibt’s hier: http://instagram.com/judithbrachem/
Und manchmal auch hier: http://www.judica.org