Wo Entscheidungsmimosen wuchern, wächst kein Liebesfarn mehr
Mitternacht im Prenzlauer Berg, Helmholzplatz, Hinterhaus – In meinem Bett tindere ich mich mal wieder in den Schlaf. Es ist wie Schafe zählen, irgendwann fallen beim monotonen Swipen die Augen dann zu. Nope, Nope, Nope, Nope – ah was mit Tieren – like – MATCH – gute Nacht. Getroffen habe ich mich noch nie mit einem, obwohl ich schon oft kurz davor war – aber kurz vor was? Kurz vor Kaffee? Kurz vor Sex? Kurz vor verlieben? Oder kurz vor kompletter Desillusionierung? Ich sage es euch, die Dating-Straßen der Stadt sind gepflastert mit Missverständnissen und Befindlichkeiten. Die Kunst Single-Berlin zu kapieren, ist so schwer wie sich beim Engtanz nicht vom Nachbarn vollschwitzen zu lassen. Also quasi unmöglich. Aber wem erzähle ich das. Zeit ein paar Regeln aufzustellen, Großstadt-Phänomene einzuordnen, alte Romantik-Zöpfe abzuschneiden und fehlkonstruierte Gefühls-Mauern niederzureißen. Und wofür? Für die Liebe! Die echte, motherfucking ewige Liebe – natürlich.
Heute erzähle ich euch von einem Un(möglichen)Kraut
Es macht sich seit einiger Zeit und vor allem im Single-Land Berlin ein beunruhigend stinkendes Gewächs breit: Die sogenannte Entscheidungsmimose. Charakteristisch sind ihre zarten, eingerollten Blätter und ihre Unfähigkeit sich auf Gefühlsböden und eigentlich auch überall sonst festzugraben, eine Meinung zu haben oder zu etwas Stellung zu beziehen. Sobald sie sich mit einer Entscheidungsfrage konfrontiert sieht, zuckt sie zusammen und macht sich klitzeklein – rollt sich ein und robbt davon. Sie wuchert überall da, wo Taten verlangt werden. „Komm, spring auf – wir fahren ans Meer!“ – hat jedenfalls noch nie eine Entscheidungsmimose jemals gesagt.
Neulich bin ich so einer Mimose begegnet. Ein unkompliziertes Wesen, offen für Neues, freundlich, aufgeregt und sensibel. Wir wurden sogar schnell lieb miteinander und säten Gefühle durch die ganze Stadt. Am Ende des Sommers zählte ich, etwas erschöpft zwar aber immer noch glücklichen Herzens, wie oft diese Pflanze schon etwas für uns bestimmt hatte und die Antwort war: nie. Mir dämmerte, ich bin zum unfreiwilligen Beziehungsleithammel geworden, hatte bis dahin jedes einzige Mal beschlossen wie unser Abendbrot, unser Sex, unsere Wochenenden, unsere Streitverläufe und unsere Versöhnungs-Playlists aussehen. Am Ende war auch ich es, die unsere Trennung in die Hand nahm.
Wo ist der Rock’n’Roll geblieben? Nur die Harten kommen in den Garten Eden, erinnert sich denn keiner?! Ich wate gern mit dir durch den Modder, solange wir das zusammen tun und mit Anlauf. „Liebe wird aus Mut gemacht“, setzt an dieser Stelle ein klebriger Nena-Song ein. Alles was ich sagen will: Ich danke dir, liebe Entscheidungsmimose, für so viel Raum zur eigenen Entfaltung, den du mir damit gibst. Das tut gut und lässt mich wachsen – macht auf Dauer aber auch furchtbar müde und irgendwie einsam. Manchmal geb ich die Gießkanne nämlich gern mal an dich ab. Also los, schalt auf Attackemodus und begeistere – mit dir! Sei spontan, seltsam, irre oder so langweilig wie du nur willst. Aber mit Überzeugung und lass mich dir nicht ständig sagen, dass du irgendwas davon sein sollst. „Ich fahr’ mit dir wohin du willst, ob ans Meer oder nur zum Falafelmann an der Ecke“, zirpst dabei schon wieder igendeine Nena-Stimme.