FEMINISMUS // Buchtipp: „Sex Object“
von Jessica Valenti

02.08.2016 Buch, Feminismus

sex object

In ihrer Essay-Sammlung Sex Object erzählt die amerikanische Feministin Jessica Valenti wie es ist, als Frau in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die Frauen verachtet. Und zeigt, welche Macht persönliche Geschichten haben.

Um es gleich klar zu machen: Sex Object ist kein Buch, das man lesen sollte, wenn man sich entspannen will – am Strand, abends vorm Schlafengehen. Sex Object macht stellenweise nämlich ganz schön wütend, fassungslos, traurig. Und genau das macht dieses Buch so gut.

Sex Object ist eine Sammlung biografischer Essays der Amerikanerin Jessica Valenti. Die hat 2004 den bekannten amerikanischen Blog Feministing gegründet. Valenti arbeitete für eine Frauenorganisation und fand, dass junge Feministinnen aus dem feministischen Diskurs ausgeschlossen wurden. So entstand die Idee für Feministing, ein Blog von und für junge Feministinnen. Heute ist Valenti eine gefragte Rednerin, schreibt als Kolumnistin für die US-amerikanische Ausgabe des Guardian und hat mehrere Bücher zu feministischen Themen veröffentlicht. Sex Object ist ihr bisher persönlichstes Werk und setzt sich damit auseinander was es bedeutet, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die Frauen verachtet. Gleich zu Beginn fragt Jessica Valenti sich: „Who would I be if I didn’t live in a world that hated woman?“

Dinge darstellen, wie sie sind

Eine Antwort darauf gibt das Buch nicht. Wie könnte es auch? Valenti erzählt lose chronologisch von übergriffigen Lehrern, von erigierten Penissen, die sich in der U-Bahn von hinten an sie pressen, von Abtreibung und Mutterschaft, vom Gefühl, wertlos zu sein – und von einer sexuellen Begegnung, die eindeutig eine Vergewaltigung war. Das dazugehörige Kapitel heißt schlicht Grilled Cheese: „I have never called this assault“, schreibt Valenti, „I’m not really sure why. As a feminist writer I’ve encouraged others to name the thing that happened to them so our stories can be laid bare.” Sie ergänzt: “I know that if any young woman told me the same story I would not hesitate to call it what it is. I don’t know why I don’t allow myself the same courtesy.” Die Vergewaltigung hätte aus ihr keinen anderen Menschen gemacht, erklärt Valenti. Sie war einfach etwas, das passiert ist und von ihr abgehakt wurde. Die Schilderung zeigt: Die Opferrolle muss nicht unbedingt eine Identität sein, sie kann auch einfach das Ergebnis von Fakten sein. Das Kapitel ist exemplarisch für Valentis Herangehensweise. Ihr Ziel ist es nicht, Analysen zu liefern, Antworten, Zahlen und Statistiken. Sie will feststellen, festhalten, die Dinge so darstellen, wie sie sind – ohne theoretischen Unterbau.

„Who would I be if I didn’t live in a world that hated woman?“

Valentis Erlebnisse sind persönlich und sie betont mehrfach, dass sie sich nicht anmaßen möchte, zu generalisieren. Trotzdem wirft Sex Object Fragen auf, mit denen sich Frauen weltweit identifizieren können. Vor allem die nach der Wirkung des alltäglichen Sexismus, danach, was es mit Mädchen und Frauen macht, wenn ihnen immer und immer wieder vermittelt wird, dass sie keine Subjekte sind, keine Personen. Was es mit uns macht, wenn dieser Umgang mit Frauen als normal und unumgänglich gilt. Mehr noch: Wenn nicht von Männern erwartet wird, dass sie sich ändern – sondern von Mädchen und Frauen, dass sie diese gefährliche Situationen meiden, vorsichtig sind. Für Jessica Valenti ist das überhaupt der größte Mythos: Dass sexuelle Belästigung, sexuelle Gewalt und ein generell herabwürdigender Umgang mit Frauen sich vermeiden lassen, wenn Frauen nur lernen, darauf richtig zu reagieren. Männer, so Valenti, würden nicht verstehen, wie es sei, in einem Körper zu leben „that attracts a particular kind of attention with magnetic force“.

Feministinnen wissen es nicht automatisch „besser“

Valentis Ton ist oft melancholisch, resigniert. An mehreren Stellen wird deutlich, wie sehr sie selbst mit ihrem Dasein als Feministin kämpft. Damit, was es bedeutet, eine in der Öffentlichkeit stehende Feministin zu sein – mit Erwartungen umzugehen, insbesondere von anderen Feministinnen und Frauen. Valenti hält sich in vielerlei Hinsicht für keine „gute Feministin“: Da wäre zum Beispiel die Sache mit der Vergewaltigung oder ihr Bedürfnis, von Männern gemocht zu werden. Da wäre der Humor, mit dem sie lange Trollen und sexistischen Beschimpfungen im Internet begegnete – ja nicht das Klischee der zickigen Feministin bedienen, immer gut drauf und zugänglich sein. Sex Object macht klar, dass ein feministisches Bewusstsein nicht immun gegen Sexismus macht, dass Feministinnen es eben nicht automatisch „besser wissen“ – sie sind auch nur Teil dieser Gesellschaft und als solche oft hilflos.

Sex Object ist kein Buch, das Hoffnung macht. Im Gegenteil. Sex Object bietet keine Lösungen, keine „Girl Power“-Slogans, mit denen sich das alles irgendwie richten lässt. Es ist ein Buch, das sagt, wie es ist. Und gerade das macht es so bewegend und wichtig. Zu oft wird Frauen gesagt, ihre Geschichten seien unwichtig, ich-bezogen. Die Stärke von Sex Object liegt darin, genau solche vermeintlich individuellen Geschichten zu erzählen. Denn das Private ist immer noch politisch.

Zum Reinschnuppern: Der Guardian hat einen Auszug aus Sex Object veröffentlicht. Sex Object ist in Deutschland nur über Amazon erhältlich.

Collage: Buchcover „Sex Object“ und Illustration Feministing.

 

Julia Korbik (*1988) lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin. 2014 erschien ihr Buch Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene (Rogner & Bernhard). Julia ist Gründerin und zuständige Redakteurin von Mind the Gap, der Gender-Rubrik des sechssprachigen Europa-Onlinemagazins cafébabel. Auf ihrem Blog Oh, Simone dreht sich alles um die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir.

Alle Artikel von Julia auf einen Blick.

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