Wenn ich irgendwann mal groß bin, werde ich ein Buch schreiben. Ich habe eine Menge sehr wertvoller Geschäftsideen, aber keine ist so herausragend wie diese hier: Einen Bullshit-Katalog mit Fragen und Antworten zu Nachhaltigkeit und Veganismus, 100 Seiten stark, gedruckt auf Recyclingpapier, natürlich mit tierfreier Klebebindung. Ich dachte an eine unverbindliche Preisempfehlung von 9,99 Euro für das Taschenbuch und auch eine E-Book Version wird es geben. Ich erhoffe mir damit nicht nur, mir eine sehr goldene Nase zu verdienen, sondern auch, dass der Menschheit auf lange Sicht unnötig hitzige Diskussionen erspart bleiben. Ich glaube nämlich, dass die Grillpartys dieser Welt wieder friedlicher, Freundschaften gerettet und Gehirnzellen geschont werden können.
Einfach mal wieder zu Sinnen kommen, das wär’s doch, am besten auf einem sachlichen Fundament, mit gesundem Menschenverstand und all diesen Dingen. Als kleinen Vorgeschmack gibt es heute einen Auszug, quasi ein Mini-SOS-Paket mit den wichtigsten schlauen Antworten auf für mich nicht-ganz-so-schlaue Fragen – für die nächste Familienfeier, den Betriebsausflug oder den ganz normalen Wahnsinn. Denn Onkel Ewald und Tante Ursel sind grundsätzlich überzeugt: Für dein Sojawürstchen wird der Regenwald abgeholzt. Isso!
„Das kann doch nicht gesund sein.“
Vegane Ernährung kann, wie jede Ernährungsweise auch, gesund oder ungesund praktiziert werden – ich kann den ganzen Tag vegane Sahnetorte essen oder halt eben Couscous-Salat. Wenig verarbeitete Produkte, viel Gemüse – die Regeln für eine gesunde Ernährung gelten überall. Es ist ein Vorurteil, dass vegane Ernährung ungesund sei. Ich würde mal behaupten, dass sich 80 Prozent der Bevölkerung noch nie mit den Nährstoffen ihrer Lebensmittel auseinander gesetzt hat. Vegane Ernährung hat zum Beispiel den gesundheitlichen Vorteil, dass sie cholesterinfrei ist. Ein zu hoher Cholesterinspiegel, der unter anderem durch tierische Fette verursacht wird, erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So lange also bis aus dem „das kann doch nicht gesund sein“ ein belesenes und informiertes „das ist nachweislich ungesund“ wird (not gonna happen), hätten wir diesen Punkt geklärt.
„Was isst du denn überhaupt noch?“
Nicht verarbeitete Lebensmittel sind in der Regel zu 90 Prozent vegan. Verarbeitete Lebensmittel sollte man sowieso nur in Maßen genießen und auch hier gibt es mittlerweile eine Menge Alternativen. Ich esse also alles, was ich möchte, erweitere meinen Horizont und erwecke verborgene Geschmacksnerven wieder zum Leben. Es ist erschreckend, dass es Menschen gibt, die denken, ohne Milch, Käse, Fisch und Fleisch hätte man nichts mehr zu essen. Das ist doch unheimlich beschränkend und einseitig.
„Und woher kriegst du dein Protein?“
Also diese Proteinfrage hält sich von allen Vorurteilen am hartnäckigsten. Es scheint die allgemeine Auffassung zu sein, dass wir mit pflanzlicher Ernährung zu wenig Protein aufnehmen und dadurch schwächeln und natürlich auch keine Muskeln aufbauen können. Besonders in Richtung der Männer soll das wohl als vernichtendes Argument wirken. Aufklärung muss also her.
100gr Hähnchenbrust haben weniger Eiweiß als beispielsweise 100gr Seitan. Seitan wird ohne Zusatzstoffe aus Weizen hergestellt, hat eine fleischähnliche Konsistenz und kann variabel zubereitet werden. Es stammt übrigens ursprünglich aus Japan und gehört dort seit über 45 Jahren zur traditionellen Küche, also keine Spur von „ungesunde chemische Fleischalternative“. Seitan enthält natürlich Gluten und ist deshalb für Menschen mit einer tatsächlichen (oder eingebildeten) Glutenunverträglichkeit wohl keine gute Wahl. Ein paar weitere Alternativen für pflanzliche Proteinquellen sind deshalb außerdem: Linsen und Bohnen aller Art, Hanf, Quinoa, Amaranth, Soja, Erdnüsse, Reis, Mais, Hafer.
„Vegetarisch finde ich ja noch okay. Aber vegan ist doch extrem.“
Als Veganer versuche ich in allen Lebenslagen möglichst wenig Leid zu verursachen. Warum ist das extrem? Ist es nicht eher extrem, dass wir alleine in Deutschland jedes Jahr mehr als 700 Millionen Tiere rein für unseren vermeintlichen Genuss schlachten? Die Fleischindustrie beutet nicht nur Tiere, sondern auch Menschen auf der ganzen Welt aus. Sie ist außerdem mit Abstand der größte Verursacher von klimaschädlichen Gasen und stellt mit ihrem riesigen Bedarf an Futtergetreide eine direkte Konkurrenz zum Anbau von beispielsweise Lebensmittelgetreide dar. Das wiederrum verschärft die Engpässe für Wasser- und Lebensmittelversorgung in der dritten Welt zusätzlich. Mehr dazu gibt es hier.
„Ich esse auch nur ganz wenig Fleisch und wenn, dann nur aus artgerechter Haltung.“
Es ist verrückt, wie mir in meinem Alltag wirklich ausschließlich Menschen begegnen, die nie Fleisch aus Massentierhaltung konsumieren und ganz genau wissen, woher ihr Fleisch stammt und unter welchen Umständen es „entstanden“ ist. Der bekannte „Metzger des Vertrauens“ ist außerdem immer fußläufig erreichbar. Da frage ich mich manchmal, wer das ganze riesige Angebot aus unwürdiger Massentierhaltung im Supermarkt kauft. Was genau soll das überhaupt sein, diese artgerechte Tierhaltung? Ist es artgerecht, männliche Küken zu schreddern, weil sie für die Eierproduktion nichts taugen und für die Fleischproduktion zu mager wären? Ist es artgerecht, ein Tier nach kurzer Lebensdauer für den eigenen Genuss zu töten? Ich finde es toll, wenn Menschen weniger Fleisch essen, aber am besten wäre es, gar keins mehr zu essen. Deshalb: Ja, ich sehe eure Bemühungen. Nein, das reicht mir nicht. Natürlich darf und kann es jedem Schnuppe sein, was ich darüber denke. Aber weniger Fleisch und eine vermeintlich artgerechte Haltung sind argumentativ keine ethisch angemessene Alternative zum Veganismus.
„Wenn morgen alle vegan werden, wohin mit den ganzen Tieren?“
Als die Glühbirne erfunden wurde, hat doch auch niemand gesagt „ja toll, aber wohin mit all den Kerzen?“. Es gibt keinen natürlich Zwang, Tiere weiter zu produzieren und zu töten. Es handelt sich um einen künstlich herbeigeführten Zustand. Da es in der Tierindustrie quasi keine natürliche Befruchtung mehr gibt, kann die Produktion von Ferkeln, Küken und Co. sofort gestoppt werden. Für alle anderen Tiere müsste bis an ihr Lebensende gesorgt werden. Außerhalb der Ställe, auf Weiden und in natürlichen Umgebungen. Wir können außerdem beruhigt sein, da ein nicht unerheblich großer Teil der Tiere durch genetisch optimierte Leistungszüchtung nicht lange leben würde oder aufgrund von physischen Beschwerden eingeschläfert werden müsste. Was traurig ist – aber deutlich weniger traurig, als so weiter zu machen.
„Du bist Veganer? Also isst du auch kein Fisch?“
Nein. WTF?
„Ich könnte das nicht.“
Zu diesem Phänomen habe ich mich an dieser Stelle schon geäußert, fasse aber gerne nochmal zusammen: Es stimmt nicht, dass du das nicht könntest, sondern schlichtweg nur, dass du nicht willst. Und das ist dein gutes Recht. Aber bitte versuche diese bewusste Entscheidung nicht zu etwas zu machen, für das du nichts kannst. Aber vielleicht glaubst du das wirklich – und dann muss ich sagen, dass ich es erschreckend finde, dass man eine so niedrige Meinung von sich selbst haben kann. Du kannst noch ganz andere Dinge.
„Aber wenn du auf einer einsamen Insel strandest, dann würdest du doch auch ein Tier essen bevor du verhungerst, oder?“
Ja, vielleicht würde ich ein Tier töten und essen, bevor ich selbst verhungere. Vielleicht esse ich aber auch einfach das, was das Tier isst. Das lebt schließlich auch auf deiner imaginären Insel, die mit unserer gemeinsamen Lebensrealität absolut nichts zu tun hat und deswegen auch ü-ber-haupt keine Rolle spielt. Deutschland ist keine Insel, weder eine einsame noch sonst irgendeine. Wir haben außerdem Supermärkte und Tomaten.
„Tiere werden extra dafür gezüchtet.“
Und das steht wo, in der Bibel? In China werden Hunde auch zum Essen gezüchtet und Pelztiere für ihr Fell. Orang-Utans werden an manchen Orten dieser Welt kahl rasiert, ruhig gestellt und zur Prostitution gezwungen. Wenn sie extra dafür gezüchtet wurden, ist das ja in der Konsequenz auch alles okay, oder?
„Konsequenterweise dürfte man dann aber gar nichts mehr essen, oder?“
An dieser Stelle verweise ich gerne auf meinen Artikel über Konsequenz und möchte außerdem nochmal betonen, dass diese Frage auf Folgendes abzielt: Wenn man also etwas nicht 100% richtig machen kann, dann ist es in Ordnung, wenn man es 100% falsch macht?
„Der Mensch hat schon immer Fleisch gegessen.“
Zielt die Frage aufs Überleben ab oder auf unsere Tradition? Zum ersten lässt sich sagen, dass nicht genau belegt werden kann, ab wann und in welcher Kontinuität der Mensch Fleisch gegessen hat. Auch lässt sich nicht sagen, ob sich der Mensch so entwickelt hat, weil er intuitiv Fleisch gegessen hat oder weil er mangels Nahrungsalternativen gar keine andere Wahl hatte. Wir picken uns außerdem genau das heraus, was uns gerade in den Kram passt. Das Verzehren von Fleisch ist okay, weil der Mensch schon immer so gehandelt hat. Aber das Jagen, Töten und Zubereiten von Fleisch müssen wir heute nicht mehr selbst machen. Wir können uns außerdem genau aussuchen, welche Teile des Tieres wir verwenden und essen und was einfach in den Müll fliegt. Ich finde diese Argumentation alles andere als wasserdicht. Spielt die Aussage wiederrum auf Tradition an, dann halte ich das für ein gefährliches Unterfangen. Es gab in der Geschichte der Menschheit eine Menge „Traditionen“, die aus gutem Grunde abgeschafft wurden. Traditionen entstehen aus vielen Gründen, aber nicht selten aus völlig an den Haaren herbeigezogenen, die einzig und allein ein paar Individuen bevorteilen während sie an anderer Stelle Leid verursachen. Man darf sie hinterfragen.
„Für die Sojaprodukte der Veganer wird der Regenwald abgeholzt.“
Der Regenwald wird vor allem aus folgenden Gründen abgeholzt:
- Weidefläche für Tiere (Fleischproduktion)
- Anbau von Futtergetreide (Fleischproduktion)
- Gewinnung von Tropenholz oder Holz für die Papierherstellung
- Abbau von Bodenschätzen
- Anbau von Ölplantagen (z.B. Palmöl)
So gut wie nie werden für vegane Sojaprodukte Waldflächen abgebrannt. Soja wird inzwischen sehr oft in Europa angebaut und einige vegane Hersteller verpflichten sich sogar dem Schutz von Regenwäldern. Biozertifiziertes Soja kommt außerdem obendrauf noch ohne den Einsatz von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden aus.
„Dein Essen isst meinem Essen das Essen weg.“
Keine Sorge, ich esse kein genmanipuliertes Getreide oder Soja, das auf gerodeten Regenwaldflächen angebaut wurde. Das Verhältnis von Futterinput und Fleischoutput hält sich außerdem kein Stück die Waage. Würde man statt Futtergetreide dieselbe Menge Lebensmittelgetreide anbauen, könnte man deutlich mehr Menschen ernähren, als es das durch das Futter gewonnen Fleisch je könnte. Dein Essen isst also der dritten Welt das Essen weg. Autsch.
Keine Frage: Man kann selbstverständlich auch ein Buch über die größten Nachhaltigkeits-Irrtümer veröffentlichen. Ich denke aber, dass es weniger Seiten hätte. Zum größten Teil würde es darin wohl um völlig überteuerte Superfoods mit riesigem CO2-Fußabdruck gehen und darum, dass man mit veganer Ernährung eben nicht automatisch abnimmt.
So. Und jetzt esst ihr was auch immer ihr wollt und ich meinen Grünkernburger. In Frieden. Ohne nervige Sprüche, die keine Substanz haben.
Fotocredit: Jazmin Quaynor