„Und es stimmte, ich war mir dessen immer bewusst gewesen: Ich hatte kein Recht zu existieren. Ich war zufällig erschienen, ich existierte wie ein Stein, eine Pflanze, eine Mikrobe. Mein Leben wuchs auf Geratewohl und in alle Richtungen. Es gab mir manchmal unbestimmte Signale; dann wieder fühlte ich nichts als ein Summen ohne Bedeutung.“
Jean-Paul Sartre ist mein Lieblingsschriftsteller. Nicht, weil das, was er schreibt „ach so intellektuell ist“ und auch nicht weil ich dem Existentialismus sonderlich verfallen wäre. Ich mag diesen feschen, aber leider toten Franzosen so sehr, weil er mit Worten umgeht als seien sie Stecknadeln im Heu. Er sucht behutsam nach dem einen Ausdruck, der einen Umschreibung, die alles Gesagte bettet wie ein Federkern-Plümo den Arsch der Queen. Wörter legen sich um Gegebenheiten wie Latex um die Haut – alles passt perfekt.
Vor ein paar Jahren fing alles mit der „Geschlossenen Gesellschaft“ an. „Die Hölle, das sind die anderen“, yeah, Jean-Paul, du bist mein Mann. Dann „Das Spiel ist aus“, „Die Fliegen“, „Das Sein und das Nichts“. Später bekam ich „Die Wörter“ vorgelegt – ein Fehler, denn nach dieser Biografie wandte ich mich vom Liehaber der schrägen Simone de Beauvoir ab und widmete mich protestvoll ihren Werken. Vor ein paar Wochen trat sein Roman „Zeit der Reife“ in meinen Leben und mit ihm auch die neuentfachte Liebe zum hippsten französischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Ich versuche nun, Verpasstets aufzuholen, denn irgendwann will ich sagen können „Ich hatte sie alle“. „Der Ekel“ sollte es nun sein und wieder bin ich gefangen in Satres Wörter-speiendem Werk zwischen Existenz und Sein.
Worum geht es?
Antoine Roquentin ist 35 Jahre jung, als er beginnt, sich zu ekeln. Er ekelt sich vor so ziemlich allem: Vor seiner Visage, vor Kieselsteinen und all seinen Mitmenschen, das Leben wird für ihn zur Qual. Statt sich zu verkriechen, beschließt Roquentin, fortan mit offen Augen durchs Leben zu schreiten, seine Umwelt zu analysieren und der Tasache für sein Brechreiz-erzeugnedes Gefühl auf den Grund zu gehen.
Die Erzählung ist weder sonderlich spannend, noch packend und es bedarf gewiss ein wenig Geduld, sich in den Protagonisten einzufühlen. Doch hat man erst einmal die Schwelle überschritten, auf der die Langeweile beginnt zu kippen, ist man der Wortgewandtheit Sartres und seinen komplexen Gedankengängen verfallen. Denn schnell kristalisiert sich heraus, dass die Ursache für Roquentins Leiden recht simpel zu finden ist: Es ist die Sinnlosigkeit und Zufälligkeit seiner Existenz, die er mehr und mehr zu begreifen scheint.
Nach und nach deutet sich Sartres Hoffnung an: „Auch wenn die Existenz einsam und demnach auch frei ist, muss sich das Individuum in dieser Welt selbst erfinden und kann darüber frei entscheiden, was es sein will.“
„Der Ekel“ erschien übrigens im Jahr 1938 und gilt als Hauptroman des Existentialismus. Na, denn: Viel Spaß beim Lesen und allerhand Denkfalten bekommen.
„Das ist die Spiegelung meines Gesichtes. Oft, an diesen verpfuschten Tagen, sehe ich es lange an. Ich werde aus diesem Gesicht nicht schlau. Die der anderen haben einen Sinn. Meines nicht. Ich kann nicht einmal entscheiden, ob es schön oder häßlich ist. Ich denke, es ist häßlich, da man es mir gesagt hat. Aber das trifft mich nicht. Eigentlich bin ich sogar schockiert, daß man ihm derartige Eigenschaften zusprechen kann, so als wollte man einen Erdklumpen oder einen Felsblock schön oder häßlich nennen.“
Zitat aus „Der Ekel“