Zeitmanagement ist ein schreckliches Wort. Es klingt nach ständig-auf-die-Uhr-schauen, nach Stundenplan und nach herzlich wenig Freude. Es klingt wie etwas, was nur höchst disziplinierte und funktionale Roboter-Menschen beherrschen. Zum Gänsehaut-kriegen ist das. Da kann man auch gleich das Handtuch werfen, mit dem Kugelschreiber Kreise und Kästchen in seinen Dayplaner kritzeln und danach den Fernseher anschalten. Im Zuge der Slow Sunday Kategorie möchte ich eine Lanze brechen für das Unwort „Zeitmanagement“. Wenn ich mich in meinem Freundeskreis und in meinem Leben so umschaue, scheint es fast schon normal zu sein, permanent unerledigten Aufgaben hinterherzulaufen und sich von der Komplexität seines Alltags erschlagen zu fühlen. Als wäre Überforderung kein vorübergehender Zustand, sondern ein Grundgefühl. Dabei, und hier liegt meiner Meinung nach oft das Missverständnis, bedeutet „Effektivität“ nicht, mehr Aufgaben in kürzerer Zeit zu schaffen, sondern auch im Umgang mit sich selbst mehr Nachhaltigkeit anzustreben.
Den Anfang machen möchte ich mit etwas, das leicht und fasst selbstverständlich klingt, mir persönlich aber ziemlich schwer fällt und gerade deshalb so am Herzen liegt: Ruhe im Alltag zu finden.
Es fällt mir nicht schwer, mich zu organisieren. Ich kann gut einschätzen, wie viel Zeit Aufgaben in Anspruch nehmen werden, ich plane mit weitem Blick in die Zukunft und sehe Probleme meist kommen, lange bevor sie da sind. Das hat mir immer sehr geholfen, denn ich hatte zeitweise mein Studium, ein zweisprachiges Print-Magazin, die GmbH dahinter und die dazugehörigen Geschäftsführerpflichten sowie obendrauf noch diverse Blog- und Social Media Tätigkeiten parallel zu betreuen. Regelmäßiger Sport und gesunde Ernährung kamen noch hinzu, von einem gesunden Sozialleben und genug Raum für die Liebsten mal ganz zu schweigen. Ich war aber trotz dieser guten Voraussetzungen oft überfordert mit meinen Aufgaben und ehrlich gesagt öfter als mir lieb war alles andere als effektiv.
Der Grund lag, besonders jetzt im Rückblick betrachtet, auf der Hand. Ruhezeiten standen bei mir ganz unten auf der Prioritätenliste und wenn ich mir Zeit genommen habe, um abzuschalten, habe ich keine guten Entscheidungen getroffen. Irgendwann haben mich Erschöpfung, Überarbeitung und / oder Frust auf die Couch geschickt, erschlagen vom Tag, unzufrieden wegen der vielen unerledigten Dinge und in einen Zustand von passivem Konsum, damit das Hirn schweigt. Das macht auf Dauer kein gutes Gefühl und hilft wirklich gar nicht weiter, denn Entspannung und Ruhe fühlen sich nun mal leicht nach Faulsein und unverdientem Luxus an, wenn man sich nicht beigebracht hat, den Unterschied zwischen „komatös berieseln lassen“ und „bewusster Erholung“ wahrzunehmen und zu leben. Dazu kommt, wie einfach es ist, sich unter Druck zu setzen oder setzen zu lassen. „Nur wer Raubbau an sich selbst betreibt, hat Erfolg verdient“, so gaukelt sie, die Leistungsgesellschaft. Und es ist so verdammt leicht, auf ihr Säuseln reinzufallen, wenn man grade mal nicht aufpasst.
Denn – und das ist die Krux – echte Ruhezeiten müssen mehr sein als das abendliche Kontrolle-abgeben an Fernseher, Couch und gesalzene Pistazien. Mehr als Berieseln-lassen von Zombieserien oder Liebesdramen. Es muss um echte Quality Time für sich selbst gehen, um Miniurlaub im Alltag. Ich habe lernen müssen, dass sich unser Akku nicht wie durch ein Wunder selber wieder auflädt, sondern dass ein aktiver Prozess der Energierückgewinnung in Gang gesetzt werden muss – eigentlich eine logische Erkenntnis, die sich aber, zumindest in meinem Kopf, herzlich spät hat blicken lassen.
Ruhezeiten sind etwas ganz persönliches und wollen individuell gestaltet werden, soviel ist sicher. Manche Menschen brauchen den 15min Powernap, andere ein warmes Bad nach dem Arbeitstag, ausgiebig kochen, ein Hörspiel hören, alleine Spazierengehen, Yoga, Malen, Gymnastik…Ich habe mir zum Beispiel angewöhnt, jeden Morgen eine halbe Stunde zu lesen. Ganz bewusst bevor ich mit dem Tag beginne, bevor ich auch nur eine Aufgabe erledigt habe. Ohne Musik und künstliche Hintergrundgeräusche, das Handy auf lautlos und in einem anderen Zimmer, dafür mit offenen Fenster und Vogelgezwitscher. Das klingt so einfach, war für mich aber eine gewaltige und etwas seltsame Umstellung, als würde ich versuchen, ein Naturgesetz zu überwinden. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ wurde zu „erst das Vergnügen dann die Arbeit“. Nur, dass es sich eben um ein für die Arbeit dringend notwendiges Vergnügen handelt, das gelernt werden will. Denn Ruhe zu schaffen ist überraschend schwer, wenn die dauerpräsente digitale Ablenkung so nah und vermeintlich befriedigend ist.
Mir hat dabei eine Sache ganz besonders geholfen: Ich habe mich einmal entschieden, diese Sache jetzt so anzugehen und mir dabei vorgenommen, diese Entscheidung einfach nicht mehr zu hinterfragen. „Es ist beschlossen, also mache ich das jetzt so!“ Einmal so festgelegt muss ich nicht jeden Tag aufs Neue entscheiden, ob ich mir die Zeit wirklich nehme oder nehmen kann. Es gibt nichts daran zu rütteln. Ich kann mich also entspannen und den Kopf ausschalten. Und das Fenster aufmachen.
Bei mir hat sich übrigens schon nach einer Woche eine Veränderung eingestellt: Ich war ausgeglichener und hatte mehr Energie und Motivation für den restlichen Tag. Und Ich habe mehr geschafft, obwohl ich früh morgens schon „Zeit vergeudet“ habe. Und inzwischen „schwappt“ diese Ruhe auch in andere Bereiche meines Alltags. Netflix darf gern mal ausbleiben und stattdessen ist Platz für einen stillen Abend. Der kommt mit Kerzenschein und meinem Lieblingsplatz auf unserem Flauschteppich. Und ein Tee-Ritual ist immer inklusive.
Fotocredit: Lauren Peng